Der starke Staat im schwachen

Libanon: Chaos und Hisbollah

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Selbst für Nahost-Verhältnisse ist das ungewöhnlich: Seit dem 24.November ist der Libanon ohne Präsident. Nach monatelangem Tauziehen zwischen Regierung und Opposition wurde am vergangenen Wochenende endlich ein gemeinsamer Kandidat für das Amt des Staatspräsidenten gefunden: Armeechef General Michel Suleiman. Morgen soll gewählt werden.

Einigkeit unter den beiden gegnerischen Lagern bedeutet der Kompromisskandidat Suliemann noch lange nicht. Die Opposition feierte am vergangenen Samstag das einjährige Jubiläum ihrer zivilen Protestaktionen gegen die Regierung. Auch beim Wiederaufbau sind die Differenzen zwischen Regierung und Opposition erkennbar. Hisbollah bleibt ein Staat im Staate und ein Sicherheitsrisiko für Israel.

Im Dezember letzten Jahres waren auf den Riad el Solh Platz etwa 200 Zelte aufgeschlagen, um den Rücktritt von Premierminister Fuad Siniora zu erreichen. Damals dachte man, es sei nur eine Frage von Tagen oder Wochen, bis zur Amtsausscheidung des Premiers. Ein Jahr später ist sein Rücktritt jedoch in weite Ferne gerückt.

Von den ehemaligen Zeltbewohnern sind nur mehr wenige übrig geblieben. Im Lager der Freien Patriotischen Front bleiben nachts die meisten Zelte leer. Im Camp der Hisbollah ist es nicht anders. Trotzdem will man die beiden Lager, unweit des schwer bewachten Regierungssitzes von Premier Siniora, nicht aufgegeben. Im Schichtdienst werden die Zeltlager als Symbol des Protestes gegen die Regierung weiter betrieben.

Seit Einrichtung der Camps wurde das Zentrum Beiruts lahm gelegt. Rund 200 Geschäfte, Cafes, Bars und Restaurants mussten im Laufe des letzten Jahres schließen. Kaum jemand will mehr im sonst so beliebten Vergnügungsviertel der libanesischen Metropole Essen, Trinken, Tanzen oder Einkaufen gehen. Die Leute bleiben zuhause oder ziehen andere Stadtviertel vor, in dem es keine Proteste, keine militärischen Kontrollpunkte gibt und man keine Angst vor Auseinandersetzungen haben muss.

Der Wiederaufbau von Südbeirut in den Händen der Hisbollah

Konstruktiver geht es dagegen für Bewohner und Geschäftsleute in Südbeirut zu. Dort waren die schiitischen Stadtteile während des Libanon-Kriegs im August 2006 schwer zu Schaden gekommen. Bombardements der israelischen Luftwaffe zerstörten 300 Gebäude und zusätzlich 3700 Wohnungen, Geschäfte, Büros oder Lagerhäuser. Die Aufräumarbeiten in der „Dahiyeh“ (Vorstadt) sind bereits abgeschlossen, tausende von Arbeitern legen nun Fundamente für den Neubau der Gebäude.

An den Baustellen sind Banner angebracht, die versprechen: „Wir werden schöner bauen, als es war“. Tatsächlich sollen die Straßen verbessert, zusätzliche Parkplätze geschaffen und Gärten angelegt werden. Alles Dinge, die in Beirut und im Libanon außergewöhnlich sind.

Planung und Durchführung des Wiederaufbaus liegen in der Hand von „Waad“ (Arabisch: Versprechen). Der Name dieser Hisbollah-Organisation bezieht sich auf eine Rede von Generalsekretär Hassan Nasrallah, die er unmittelbar nach dem Beginn des Waffenstillstands am 14. August 2006 hielt. Darin versprach er, den Libanesen beim Wiederaufbau zu helfen, was den „göttlichen Sieg gegen Israel vervollständigen“ würde.

Die Bewohner der zerstörten schiitischen Vorstädte leben zurzeit noch in Hotels oder angemieteten Wohnungen - auf Kosten der Hisbollah versteht sich. Der Wiederaufbau ihrer Viertel, ein insgesamt 370 Millionen Dollar teueres Projekt, dürfte noch mindestens ein Jahr dauern.

Von der libanesischen Regierung bekommen die ausgebombten Familien jeweils 53.000 Dollar als Entschädigung. Die meisten haben sich jedoch entschieden, das Geld an „Waad“ weiterzugeben. Die Hisbollah-Firma erklärte sich bereit, alle Kosten der Bauarbeiten, die über den Betrag der Regierung hinausgingen, zu übernehmen. Von den Eigentümern der insgesamt 300 Häuser banden sich 213 vertraglich an „Waad“ sowie die 3700 Einzelbesitzer der separat beschädigten Appartements. Die verbleibenden 87 zerstörten Häuser werden von den jeweiligen Eigentümern in Eigenregie gebaut. Die Bewohner der vormals bis zu 12 Stockwerke hohen Wohnblocks stimmten in Versammlungen für oder gegen einen Vertrag mit „Waad“.

Ausländische Sponsoren des libanesischen Wiederaufbaus hatten sich Sorgen gemacht, ihre Spendengelder könnten auf Umwegen bei der Hisbollah landen. Darunter die USA (140 Millionen Dollar), die Europäische Union (110 Millionen Dollar) und Saudi-Arabien (570 Millionen Dollar zusammen mit anderen arabischen Nationen). Um sicherzugehen, so die US-Botschaft in Beirut, werden die Gelder, die an die Regierung überwiesen wurden, „genau überprüft und nur für ausgewählte Projekte eingesetzt“.

Großer Imagegewinn mit Spenden aus Iran

Hisbollah ist auf Finanzmittel aus den Staaten, die ihre politischen Gegner sind, nicht angewiesen. Die „Partei Gottes“ bekommt ihre Gelder von privaten Sponsoren aus aller Welt, vorwiegend jedoch aus dem Iran. Ayatollah Khameini erhält als religiöses Oberhaupt des Irans jedes Jahr „Khums-Beträge“ in Millionenhöhe. "Khums" bedeutet ein Fünftel und ist eine Art von Spende, die schiitische Gläubige als persönliche, religiöse Pflicht sehen. Khameini muss diese Spenden für soziale Aufgaben ausgeben und er schickt sie in den Libanon zu Hisbollah.

Eine gute Investition, der Wiederaufbau bringt der „Partei Gottes“ einen großen Imagegewinn unter der Bevölkerung. Im Gegensatz zu anderen politischen Parteien und der Regierung hält Hisbollah, was sie verspricht und das, ohne sich finanziell daran zu bereichern. Kaum jemand hätte es für möglich gehalten, dass Hisbollah tatsächlich alles bezahlt und den Wiederaufbau in so kurzer Zeit vorantreibt. Obendrein leben die Bewohner der zerstörten „Dahiyeh“ mit einer verbesserten Infrastruktur.

Die „Partei Gottes“ versucht auch in anderen Bereichen im Gespräch zu bleiben und schlachtet, auch ein Jahr nach dem Ende des 34-Tage-Kriegs im August 2006, den „göttlichen Sieg“ ihrer Guerilla über Israel medienwirksam aus.

“Special Force“

Im Sommer 2007 wurde der zweite Teil des Computerspiels Special Force (vgl. Arabische Computerspiele) veröffentlicht. Ein digitales Erinnerungsstück an den Krieg, nachdem man in Südbeirut bereits ein Museum gebaut hatte, das den erfolgreichen Widerstand gegen den bösen zionistischen Goliath glorifiziert. In „Special Force 2“ ist es die Aufgabe des Spielers zuerst israelische Soldaten zu kidnappen und dann Panzer der Invasionsarmee zu zerstören, Hubschrauber abzuschießen sowie ein gegnerisches Marineschiff zu versenken.

Das neue Computerspiel ist eine Blaupause der Kriegsereignisse des Sommers im Libanon. Trad Hamdeh, ein Ex-Hisbollah-Minister im Kabinett von Premier Fuad Siniora, sagte: „Wir wollen die Realitäten des Kriegs zeigen“. Nebenbei geht es natürlich darum, die „Kultur des Widerstands“ Jugendlichen nahe zu bringen. 10 Dollar kostet ein Exemplar von „Special Force 2“, das wie sein Vorgänger von Freiwilligen gestaltet und erneut rund 10.000 Mal, vorwiegend in arabischen Ländern, verkauft wurde.

Hisbollah-Hacker und rätselhafte Manöver

Nicht bekannt ist, ob an der Programmierung des Spiels auch die Computerspezialisten beteiligt waren, die während des 34-Tage-Kriegs die Software der israelischen Panzer geknackt haben sollen. Nach Berichten sind einige Panzer und ihre Besatzung plötzlich „blind“ durchs Kampfgebiet gefahren, nachdem man ihnen die Kommunikation, den digitalen Datenfluss, abgeschnitten hatte. Angeblich wären Hisbollah-Hacker in das Sicherheitssystem „Sidewinder Security Appliance“ eingedrungen und hatten die Kommunikation der feindlichen Truppen abgehört.

Zum medialen Säbelrasseln Hisbollahs zählte ebenfalls das Militärmanöver, das man im November 2007 im Südlibanon abgehalten haben will. Mehrere tausend Kämpfer, allerdings unbewaffnet und in zivil, sollen daran teilgenommen haben und das unter der persönlichen Leitung von Generalsekretär Hassan Nasrallah, wie verschiedene libanesische Tageszeitungen meldeten.

Weder die 13.500 UN-Friedentruppen, noch die 15.000 Soldaten der libanesischen Armee hatten davon allerdings etwas bemerkt. Premierminister Siniora zweifelte daran, dass überhaupt etwas stattgefunden hat.

Was passierte, war nichts anderes als eine Simulation auf dem Papier, von der nichts im Gelände verwirklicht wurde.

Auch von den UN-Truppen wurde abgewiegelt. Ohne Waffen und Ausrüstung könne man das kein Manöver nennen. Hisbollah bestätigte dagegen offiziell das Manöver als eine Reaktion auf militärischen Übungen, die Israel wenige Wochen zuvor auf der anderen Seite der Grenze durchgeführt hatte. „Die Manöver des islamischen Widerstands“, so Sheik Hassan Izzedine, ein Hisbollah-Führungsmitglied, „sind eine Antwort auf die Unternehmen des Gegners. Alles dient der Verteidigung des Libanons und seiner Souveränität“.

Timur Goksel, ehemaliger Berater der UN-Truppen im Libanon, meinte, Hisbollah wollte eine politische Botschaft an Israel schicken. „Wenn ihr militärische Übungen macht, so können wir das auch“. Eine Bedrohung für Israel sei das natürlich nicht gewesen.

Dort sah man es als eine politische Spielerei. Israel weiß aus der Luft, was am Boden passiert.

Raketenarsenal verdreifacht

Ende Oktober lieferte Israel einen Bericht an den UN-Generalsekretär Ban Ki-moon, in dem neuste Informationen über die Raketenkapazitäten Hisbollahs gegeben wurden.

Danach hätte die libanesische Miliz ihr Arsenal an C-802 Raketen, mit denen man von der Küste aus Schiffe beschießen kann, verdreifacht. In den ersten Tagen des Libanon-Kriegs hatte eine dieser Raketen die INS Hanit, ein israelisches Kriegsschiff vor Beirut, schwer beschädigt und vier Seeleute getötet.

Im Report der Israelis hieß es weiter, dass Hisbollah auch im Besitz von Langstreckenraketen sei, die Tel Aviv erreichen könnten. Es handelte sich dabei um die iranischen Typen „Zelzal“ und „Fajr“ mit einer Reichweite von 250 Kilometern. Stationiert seien sie nördlich des Litani-Flusses, außerhalb der Kontrollzone der UN-Friedenstruppen.

Letztlich keine wirklich neuen, überraschenden Informationen. Hisbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah hatte in seinen Reden mehrfach von der Möglichkeit eines Beschusses von Tel Aviv und den neu aufgefüllten Waffen- und Raktenlagern gesprochen.

„Der libanesische Widerstand hat den Willen, die Manpower und ausreichend Waffen, um Israel in einem neuen Konflikt zu begegnen“, sagte Nasrallah in einer Ansprache Mitte November auf dem Partei eigenen TV-Sender Al Manar.

„Hisbollah kann von niemand entwaffnet werden“, fügte der Generalsekretär hinzu, der mittlerweile nicht nur in Israel auf der Todesliste steht. Al Qaeda soll letzten Sommer auf den Hisbollah-Chef ein Attentat geplant haben.

Zudem wollten sie Attentate auf die UN-Friedentruppen im Südlibanon ausführen und sie so erscheinen lassen, als wären sie von Hisbollah-Leuten begangen worden. Die libanesischen Behörden hatten drei Al-Qaeda-Zellen ausfindig gemacht und dabei Sprengstoff und 75 Kilogramm Zyanide und andere Chemikalien beschlagnahmt. Hisbollah hat nun selbst die Ermittlungen im Fall Al Qaeda übernommen, um herauszufinden, was und wer tatsächlich dahinter steckt.

Seltsame Fälle

In den USA sorgte Hisbollah für andere Schlagzeilen. Eine ehemalige FBI- und CIA-Mitarbeiterin wurde als Hisbollah-Agentin entlarvt. Sie galt unter Kollegen als eine besten und intelligentesten Mitarbeiter, die man sogar im Irak einsetzte, der höchste Sicherheits- und Geheimhaltungsstufe besitzt.

In Detroit wurde Ende November Fawzi Assi vor ein US-Gericht gestellt. Der 47-Jährige erklärte sich für schuldig, Hisbollah mit technischem Material versorgt zu haben. 1998 hatte er auf einem Flug nach Beirut zwei GPS und zwei Nachtsichtgeräte sowie eine Infrarotkamera in seinem Gepäck versteckt.

Bis 2004 habe er sich im Libanon aufgehalten, um einer Verhaftung durch US-Behörden zu entgehen. Bei seiner Rückkehr wurde Fawzi Assi verhaftet. Nun drohen ihm bis zu 10 Jahren Haft und eine Geldstrafe von 250.000 Dollar. Ein seltsamer Fall, wer kann sich schon vorstellen, dass Hisbollah GPS oder Nachtsichtgeräte einzeln schmuggeln lässt und gleichzeitig ganze Raketenladungen in den Libanon ankommen. Im 34-Tage-Krieg von 2006 fanden israelische Soldaten in Hisbollah-Bunkern an der libanesischen Grenze einige Nachtsichtgeräte, aber die stammten aus Großbritannien, nicht aus den USA.