Schleichwerbung der Bundesregierung

Wie geheim gehalten wird, wer von getarnten Werbefeldzügen profitiert

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Nicht nur das Bundesfamilienministerium, sondern auch das Bundeswirtschaftsministerium beauftragten Werbeagenturen, vorproduzierte Beiträge mitsamt Moderationsvorschlägen und O-Tönen über deren Projekte für den Hörfunk zu liefern und im redaktionellen Bereich unterzubringen. Doch auch nach dem Bekanntwerden dieser Praktiken weigert sich die Bundesregierung, über die PR-Agenturen und ihr Auftragsvolumen Auskunft zu geben.

Familienministerin Ursula von der Leyen vergibt Propaganda-Aufträge, sagt aber nicht an wen. Bild: CDU

In der Anfrage "Public Relations-Kampagnen der Bundesregierung 2.0" vom 2. November wurde diese aufgefordert, der Allgemeinheit nähere Informationen zu ihrer "Öffentlichkeitsarbeit" und zu den Etatvergabepraktiken des Bundespresseamtes zukommen zu lassen – was sie jedoch verweigerte. In seinem Ablehnungsschreiben beruft sich der Parlamentarische Staatssekretär Hermann Kues (CDU) auf eine vor drei Jahren von der rot-grünen Bundesregierung abgegebene Stellungnahme auf eine "Große Anfrage" der CDU/CSU-Fraktion, in der diese eine öffentliche Bekanntgabe ihrer PR-Praktiken ebenfalls ablehnte – und dabei ein schweres Geschütze auffuhr:

„Zahlreiche Fragen der Großen Anfrage sind auf die Bekanntgabe der Namen von Agenturen gerichtet, die die Bundesregierung beauftragt hat, nebst der Bekanntgabe von Einzelheiten der mit diesen Agenturen geschlossenen Verträge. Insbesondere die Grundrechte aus Artikel 2 Abs. 1 in Verbindung mit Artikel 1 Abs. 1 GG (Recht auf informationelle Selbstbestimmung) sowie aus Artikel 14 Abs. 1 GG verbürgen ihren Trägern – ggf. in Verbindung mit Artikel 19 Abs. 3 GG – jedoch Schutz gegen eine unbegrenzte – insbesondere öffentliche – Verwendung individualisierter oder individualisierbarer Daten. Diese Verbürgung darf nur im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eingeschränkt werden. Die Einschränkung darf nicht weitergehen, als es zum Schutze öffentlicher Interessen unerlässlich ist (vgl. BVerfGE 65, 1 [44], 67, 100 [143]).“

Nimmt das Bundesverfassungsgericht diesen Schutzumfang als Maßstab für die Anwendung der informationellen Selbstbestimmung, dann sieht es möglicherweise sehr trübe für einige sowohl von der Regierung Schröder und ihrem Innenminister Schily als auch von der großen Koalition und dem Traumpaar Schäuble/Zypries vorgenommenen Eingriffen aus. Denn wenn dieses Grundrecht schon die Daten der Nutznießer von Regierungsaufträgen stärker schützt, als das Interesse der Öffentlichkeit an der Aufklärung solcher Fälle, wie stark muss es dann erst die Daten unbescholtener Bürger schützen, deren wirtschaftliche Aktivitäten kein solches "Geschmäckle" haben?

Zusätzlich zum Grundgesetz wurde zur Begründung der Geheimhaltung der Auftragsnehmer aber auch noch das Vergaberecht herangezogen:

„Das allgemeine parlamentarische Fragerecht ist dadurch gekennzeichnet, dass Fragen und Antworten der öffentlichen Kenntnisnahme unterliegen. Dies ist ein wesentlicher Unterschied zu vertraulichen Ausschussberatungen. Dort können und müssen ggf. Vorkehrungen für den Geheimschutz getroffen werden (vgl. BVerfGE 67, 100 [144]). Daraus folgt für die Beantwortung parlamentarischer Fragen, dass die Bundesregierung bei der Abwägung der Interessen des Parlaments und der durch die Übermittlung grundrechtsrelevanter Daten Betroffenen einen strengeren Maßstab anlegen muss als bei der Unterrichtung parlamentarischer Ausschüsse. Grundsätzlich sind die geschlossenen Verträge als interne Unterlagen vertraulich. Von detaillierten Übersichten der auf den jeweiligen Auftragnehmer entfallenden Aufwendungen muss daher abgesehen werden.“

Für die Verweigerung der Bekanntgabe der betreffenden PR-Agenturen wird von der großen Koalition also genau jene Begründung herangezogen, mit der seinerzeit Rot/Grün auf die Beanstandung des gleichen Sachverhalts durch die CDU/CSU reagierte. War es möglicherweise der verhängnisvolle rechtsdefätistische Einfluss des sozialdemokratischen Koalitionspartners, der die Christkonservativen in so bemerkenswert kurzer Zeit vom Paulus zum Saulus entkehrte?

In der Anfrage an die aktuelle Bundesregierung wurde zusätzlich um Erläuterung gebeten, warum diese vorgibt, keinerlei Kenntnis davon zu haben, wie oft und von welcher Anzahl Menschen die maßgefertigten Beiträge zum Thema Elterngeld gehört wurden, während laut "Report Mainz" diese “Berichte“ über 300 Mal ausgestrahlt und damit an die 55 Millionen Hörer angesprochen wurden.

Die Bundesregierung antwortete darauf, dass die beauftragte Medienbeobachtung zwar solche Zahlen ergeben hätte – allerdings würden diese dem Anspruch auf Vollständigkeit nicht genügen und überdies liegen keine Daten darüber vor, in welchem Maße außerhalb des beobachteten Zeitraumes Radiostationen auf die kostenlosen Werbespots der Bundesregierung rückgegriffen hätten. Ein weiterer Grund, den Herr Kues nicht nennt, könnte sein, dass politische Schleichwerbung im Auftrag eines Ministeriums nach dem Rundfunksstaatsvertrag (zumindest nach Auffassung des Sprechers der Landesmedienanstalt NRW) unzulässig ist.

Trotz dieser Informationsaskese der Bundesregierung wurde bekannt, dass weitere PR-Kampagnen geplant sind - u.a. zu den Themen “Altervorsorge“, “Niedriglohnsektor“, “Rente“, “Pflegereform“ und “Gesundheitskarte“. Über das Auftragsvolumen will die Bundesregierung jedoch keine Auskunft geben, weil über die „Werbekampagnen in 2008 noch nicht abschließend entschieden wurde.“ Zu einem späteren Zeitpunkt dürfte es mit der Bekanntgabe, wie gesehen, gleichfalls schwierig werden – der Catch 22 hat sich wieder einmal von einem vorzüglichen Roman in das politische Leben geschlichen.