Polizisten gegen Polizeigewalt

In Berlin, aber auch im Wendland, gibt es fast bei jeder Demonstration Haue von der Polizei für einzelne Demonstranten. Das finden nicht alle Polizisten so in Ordnung

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Polizeiübergriffe sind spätestens seit dem G8-Gipfel wieder ein Thema. In Berlin, aber auch im Wendland, gibt es fast bei jeder Demonstration Haue von der Polizei für einzelne Demonstranten. Das finden nicht alle Polizisten so in Ordnung. Einige wenige, früher schon bei den Kritischen Polizistinnen und Polizisten sind heute in amnesty international aktiv und sprechen mit Rechtsanwälten und Bürgerrechtlern über Ursachen und Gegenstrategien zu ungerechtfertigter Polizeigewalt.

Der Berliner Rechtsanwalt Alain Mundt, Mitglied des Republikanischen Anwältinnen - und Anwälte Vereins und im Anwaltlichen Notdienst anlässlich der Anti-G8-Proteste engagiert, zieht eine vorläufige Bilanz der Festnahmen bei den Protesten in Rostock und Heiligendamm (Parlamentarisches Nachspiel vorbehalten): Es gab 1.112 Festnahmen, aber nur 321 wurden einem Richter vorgeführt. Lediglich in 10 Prozent der Fälle bestätigten Richter die Ingewahrsamnahme.

Oftmals vermochten die Richter den Festnahmegründen der Polizisten nicht zu folgen. So sei eine Festnahme damit begründet worden, dass der Festgenommene „einen roten Kapuzenpullover trug“ und er sich nach Ansicht des Polizisten mit diesem Kleidungsstück als „gewaltbereit“ geoutet habe. Andere wurden festgenommen, weil sie zur Clownsarmee gehörten. In einem Fall, habe die Polizei die vorläufige Festnahme damit begründet, dass die betreffende Person nicht aus Rostock stamme, also angereist sei – obwohl doch bekannt gewesen sei, dass es in Rostock zu gewaltsamen Ausschreitungen kommen werde.

Opfer von Polizeigewalt müssen die Täter selbst ermitteln

Karen Ullmann, Polizeirechtlerin mit langjähriger Gorleben-Erfahrung, weiß aus Erfahrung - Betroffene von ungerechtfertigter Polizeigewalt müssen selbst ermitteln und können sich auf den Rechtsstaat, also auf Ermittlungen der dafür bezahlten Beamten, leider nicht verlassen. Im Unterschied zu anderen Beschuldigten dürfen beschuldigte Polizeibeamte ihre schriftlichen Stellungnahmen in Kenntnis der Ermittlungsakten selbst schreiben und brauchen keine mündlichen Aussagen bei der Staatsanwaltschaft zu machen. Der strafverschärfende „Vorsatz“ zu einer Prügeltat werde Polizeibeamten nie unterstellt. Zudem trage die jeweilige Polizei-Gewerkschaft des Beamten dessen Risiko. Karen Ullmann beschrieb in einem Aufsatz ihre Erfahrungen aus dem Wendland:

Trotzdem gibt es einen „polizeilichen Notstand“ während der Castortage im Wendland, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Die Untaten der Bewaffneten in Grün zu zählen ist fast unmöglich – einmal deshalb, weil fast alle Widerständischen aus gutem Grund das Vertrauen in Polizei und Staatsanwaltschaft verloren haben, dass polizeiliches Unrecht geahndet wird – auf der anderen Seite, weil es so häufig ist, dass die Staatsanwaltschaft Lüneburg wahrscheinlich ein paar neue Stellen schaffen müsste, um die Fälle überhaupt in annehmbarer Zeit zu bearbeiten. Allein die kleineren Körperverletzungen bei der Räumung von Sitzblockaden – schmerzhaftes Arm umdrehen, Handgelenk verbiegen, an den Haaren ziehen, Treten, auf die Nase drücken - stellen im zivilen Leben Körperverletzungen dar, kommen im Wendland dagegen nie zur Anzeige, auch dann nicht, wenn sie filmisch dokumentiert sind. Denn versuchen sie mal, den Übeltäter zu beschreiben: männlich, zwischen 20 und 35 in Uniform, mit Helm. Ein Namensschild trug er nicht. Ganz zu Schweigen von Beleidigungen, die sich viele Demonstrantinnen und Gefangene anhören müssen...

Judith Demba, heute Mitarbeiterin des Europa-Abgeordneten Tobias Pflüger (Die Linke) hat sich lange Jahre als – grünes - Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses auch mit Polizeigewalt befasst. Sie kritisiert, dass es keine systematische Erfassung der angezeigten Polizeiübergriffe gibt. Auch die Kennzeichnung der Beamten würde seit Jahren gefordert, bislang ohne Erfolg. Dass in Berlin jetzt ausgerechnet die SEK-Beamte eine numerische Kennzeichnung erhielten, bezeichnet sie als eine „doppelte Verarschung“ - erstens der Beamten, die vermummt auftreten, und zweitens der Bevölkerung, die sich bei Demonstrationen nicht dem SEK, sondern Einsatzhundertschaften der Bereitschaftspolizei gegenüber sehen.

Gefordert wird ein unabhängiges Kontrollgremium

Die Bundesregierung, so Demba, werde seit Jahren von UNO und Europa Rat aufgefordert, endlich unabhängige Stellen einzurichten, um Vorwürfe wegen ungerechtfertigte Polizeigewalt zu untersuchen.

Auch Vertreter von amnesty international geht die von der Bundesregierung in Aussicht gestellt Umsetzung der Anti-Folter-Konvention nicht weit genug. Bereits im Dezember 2004 hatte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries erklärt:

Der Weg für die Ratifizierung des Zusatzprotokolls zur Anti-Folter-Konvention der Vereinten Nationen (UN) sei frei. Bund und Länder hätten sich geeinigt. Das im Zusatzprotokoll vorgesehene unabhängige innerstaatliche Gremium werde aus vier Experten bestehen. Diese hätten den Auftrag, all jene Einrichtungen regelmäßig und ohne Einschränkung zu besuchen, in denen Menschen die Freiheit entzogen würde. Davon betroffen seien insbesondere Haftanstalten, Einrichtungen zur geschlossenen Unterbringung von Kindern und Jugendlichen, Abschiebezentren, aber auch psychiatrische Anstalten und Pflegeeinrichtungen.

Den Vertretern von amnesty international (ai) ist das zu wenig. Dies wurde auf einer Veranstaltung zum Thema Polizeigewalt in der Berliner Humboldt-Universität Ende November dieses Jahres noch mal bekräftigt: Wie soll ein ehrenamtliches Gremium aus lediglich vier Personen alle Gefängnisse, Polizeizellen und die Psychiatrie kontrollieren? Polizeipraktiker, Rechtsanwälte und Bürgerrechtler fordern deshalb die Einrichtung von Polizeibeiräten oder unabhängigen Polizeikommissionen, wie es sie beispielsweise zwischen 1998 und 2002 in Hamburg gab.

Die Kommission bestand aus drei ehrenamtlichen Mitgliedern, die vom Senat berufen wurden. Die Kommission war bei der Behörde für Inneres angebunden, unterlag aber nur der Dienst- und Rechtsaufsicht durch den Innensenator, nicht der Fachaufsicht. Ihre Unabhängigkeit war gesetzlich garantiert. Bürger konnten sich mit ihren Anliegen direkt an die Kommission wenden, ebenfalls Polizeibedienstete - auch außerhalb des offiziellen Dienstweges. Polizisten, die sich zu diesem Schritt durchrangen, waren durch ein gesetzlich verankertes Benachteiligungsverbot geschützt. Die Kommission hatte ein Recht auf Auskunft und Einsicht in alle Akten und Unterlagen aller Dienststellen der Polizei sowie das Recht auf unangemeldeten Zutritt zu allen Polizeidienststellen. Sie unterlag ausdrücklich keinem Strafverfolgungszwang, konnte aber dem Innensenator Einzelfälle zur Prüfung und weiteren Veranlassung vorlegen. Sie hat der Bürgerschaft einen jährlichen Tätigkeitsbericht vorgelegt, in dem sie ihre Erkenntnisse hinsichtlich institutioneller Missstände und struktureller Fehlentwicklungen darlegte.

Dieses lästige Kontrollorgan abzuschaffen, war eine der ersten Amtshandlungen des zuvor als „Richter Gnadenlos“ bekannt-berüchtigten Hamburger Innensenators Ronald Schill. Er erklärte wörtlich : „Wir werden die Polizeikommission in Hamburg abschaffen, die ein Misstrauensinstrument gegenüber der Polizei ist"

Nach Ansicht vieler Fachleute wäre die Einrichtung einer solchen Polizeikommission in Berlin ein Riesenschritt gegen Polizeiwillkür. Der rot-rote Senat erweiterte stattdessen jüngst die Polizeibefugnisse zur Überwachung der Bevölkerung.