Überwachung ohne Richter?

Die österreichische Polizei könnte künftig Handys ohne richterliche Genehmigung orten und auch leichter Zugriff auf IP-Adressen erhalten

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Seit 2003 steigt in Österreich die Zahl der Polizei-Anträge zur Überwachung von Telefon und Handy. Nicht immer stimmen Richter zu. Jetzt ist eine Novelle des Sicherheitspolizeigesetzes geplant, die so unscharf formuliert ist, dass eine Standortfeststellung auch ohne Gerichtsbeschluss möglich sein könnte. Auch die Erhebung von IP-Adressen könnte der Polizei leichter gemacht werden. Ein rotes Tuch für Datenschützer aber auch ein Problem für Mobilfunkbetreiber beziehungsweise Provider.

Vor Weihnachten werden im österreichischen Parlament gerne Marathon-Sitzungen anberaumt. Auch dieses Jahr standen beziehungsweise stehen eine Reihe von Gesetzesänderungen zur Abstimmung. Besonders heikle Novellen werden interessanterweise oft in den späten Abendstunden abgehandelt. Darunter fällt diese Jahr auch eine Novelle des Sicherheitspolizeigesetzes, gegen die Datenschützer Sturm laufen. Sie kritisieren, dass es der Polizei künftig relativ einfach gemacht wird, Standortdaten von Handys festzustellen. Die umstrittene Passage der Novelle im Wortlaut:

"§53(3b) SPG Ist auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen, dass eine gegenwärtige Gefahr für das Leben oder die Gesundheit eines Menschen besteht, sind die Sicherheitsbehörden zur Hilfeleistung oder Abwehr dieser Gefahr darüber hinaus berechtigt, von den Betreibern im Mobilfunkbereich Auskunft über Standortdaten der von dem gefährdeten Menschen mitgeführten Endeinrichtung zu verlangen sowie technische Mittel zur ihrer Lokalisierung zum Einsatz zu bringen. Die Sicherheitsbehörde trifft die Verantwortung für die rechtliche Zulässigkeit des Auskunftsbegehrens, dessen Dokumentation dem Betreiber unverzüglich, spätestens innerhalb von 24 Stunden nachzureichen ist. Die ersuchte Stelle ist verpflichtet, die Auskünfte unverzüglich und gegen Ersatz der Kosten nach § 7 Z 4 der Überwachungskostenverordnung – ÜKVO, BGBl. II Nr. 322/2004, zu erteilen."

Damit wolle man Opfern von Lawinen oder sonstigen Katastrophen und auch suizidgefährdeten Personen helfen, argumentieren die Befürworter der Novelle. Für den Datenschützer Hans G. Zeger wird der Anwendungsbereich doch wesentlich weiter gefasst werden. Die Novelle umfasst seiner Ansicht nach „natürlich auch alle Fälle bei denen eine Gefährdung durch Dritte vorliegt oder auch nur behauptet wird oder wo eine beobachtet Gefährdung behauptet wird. Wie soll jedoch das Telefon einer Person geortet werden, die man namentlich noch gar nicht kennt?“ Also wird es im Anwendungsfall „darauf hinauslaufen alle Handys einer bestimmten Stelle, eines bestimmten Bereiches zu orten und die Daten aufzuzeichnen“, meint Zeger. Er befürchtet, dass eine künftig eine Vielzahl von Handydaten „nunmehr ohne Gerichtsbeschluss verwertet werden“. Ginge es tatsächlich um den bloßen Opferschutz hätte man das auch wesentlich klarer formulieren können, heißt es von Seiten Zegers - aber auch bei den Grünen.

Peter Pilz, Sicherheitssprecher der Grünen, hatte bereits im Oktober vor der Novelle gewarnt. Damals hatte das Innenministerium diverse Begehrlichkeiten auch mit dem Verweis auf „Terrorbekämpfung“ begründet. Pilz hingegen kritisierte auch den Einsatz von IMSI-Catchern. Der Abgeordnete in einer Aussendung:

„Neu in dem Vorschlag zur Überarbeitung von Paragraf 53 Abs. 3a Sicherheitspolizeigesetz (SPG) ist die Erfassung der Standortdaten und die internationale Mobilteilnehmerkennung (IMSI). Um Menschen über deren Handy zu lokalisieren, setzt das Innenministerium sogenannte IMSI-Catcher ein. Dabei handelt es sich um Überwachungsfahrzeuge, die nicht nur der Lokalisierung dienen, sondern vor allem zum Abhören von Gesprächen dienen [...]. Wird ein IMSI-Catcher in Betrieb genommen, so buchen sich alle in einem gewissen Umkreis befindlichen Endgeräte bei diesem ein. Somit werden Daten von unbeteiligten Dritten miterfasst und gegen das Kommunikationsgeheimnis verstoßen. Die Provider würden von der Überwachung genau so wenig mitbekommen, wie die Kunden.“

Last-Minute-Änderungsantrag nimmt IP-Daten ins Visier

Auch Hans Zeger wunderte sich über das Ansinnen, IMSI-Catcher einzusetzen. Besonders verärgert zeigte er sich im Telepolis-Gespräch aber vor allem darüber, dass von Abgeordneten der Regierungskoalition zwischen SPÖ und ÖVP offensichtlich noch rasch ein Änderungsantrag eingebracht wird, über den dann in der Nacht von Donnerstag auf Freitag abgestimmt werden soll. Danach könnte auch eine weitreichende Ermächtigung zur Beschaffung von IP-Adressdaten geschaffen werden. Bei „Gefahr in Verzug“ könnte ein Zugriff ohne richterlichen Vorbehalt erfolgen. „Gestrichen werden soll dagegen die sowieso schon schwammig formulierte Dokumentationspflicht gegenüber den Mobilfunkbetreibern. Weiters soll auch der vorgesehene Kostenersatz gestrichen werden“, kritisierte Zeger.

Die Dokumentationspflicht ist in der Regierungsvorlage bereits eine Farce, so der Datenschützer. In der Praxis würde sich diese wohl auf einen schwammigen „Stehsatz“ reduzieren. Zeger betont, dass er den Polizeibehörden selbstverständlich nichts unterstellen wolle, die Gesetzesvorlage aber die Hemmschwelle, „bei Betreibern anzuklopfen doch sehr tief hinunter gesetzt“ habe. Bereits bei den ersten Änderungen und erweiterten Befugnissen, waren von Seiten der Mobilfunker – wenn auch oft hinter vorgehaltner Hand – Beschwerden über die Begehrlichkeiten von Polizeibeamten zu hören. Doch bisher gab es ein klares Prozedere, wonach der Provider auf die Vorlage der richterlichen Anordnung zu pochen hatte. Das könnte künftig unterlaufen werden. Sollten auch noch der Kostenersatz wegfallen, so wird dies ebenfalls kaum für Freude bei den Betreibern sorgen.

Die SPG-Novelle ist für den Grünen-Abgeordneten Peter Pilz ein „Freibrief für die Polizei“. Selbst im österreichischen Datenschutzrat gab es kritische Stimmen, wenngleich sich die Mitglieder nicht auf eine einheitliche Ablehnung einigen konnten. Sollte nun auch noch dem großkoalionären Last-Minute-Antrag – den Peter Pilz von den Grünen als „Sauerei“ und „Affront gegenüber dem Parlament“ bezeichnete - zugestimmt werden, „würden alle noch so zaghaft formulierten Bedenken des Datenschutzrates vom Tisch gewischt und die Überwachungsermächtigungen der Polizei sogar noch gegenüber dem ursprünglichen Beamtenentwurf ausgeweitet“, so Zeger. Tatsächlich erscheint eine Zugriffsmöglichkeit auf Grund einer "ersten allgemeinen Hilfeleistung" mehr als vage, die im Anwendungsfall von keinem Provider geprüft werden kann. Denn die Polizei muss nicht einmal Auskunft über Art und Charakter dieser "ersten allgemeinen Hilfeleistung" geben muss.

Für die Kritiker sind die geplanten Änderungen ein weiterer Schritt in Richtung Überwachungsstaat. Hans G. Zeger dazu: „Besonders bedenklich ist, dass mit dieser Bestimmung ein Systembruch stattfindet und die Polizei wieder ein Stück mehr Überwachung ohne Kontrolle durchführen kann. Damit wird offenbar schon der Boden für die nächste Gesetzesänderung vorbereitet.“ – So wird das Bürgerrecht auf Schutz der Privatsphäre Stück für Stück abgetragen – nicht nur in Österreich.