Gegen das Aushebeln des Rechtssystems

Wolfgang Kaleck über das Völkerrecht, die Legitimierung der Folter und die Möglichkeit, Menschenrechtsverletzer zur Verantwortung zu ziehen

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Wolfgang Kaleck arbeitet als Strafverteidiger in Berlin und ist der Bundesvorsitzende des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV). Für eine breite Öffentlichkeit bekannt wurde er vor einem Jahr, als er, zusammen mit der US-amerikanischen Bürgerrechtsvereinigung Center for Constitutional Rights, Strafanzeige wegen der Folterungen in Abu Ghraib erstattete (Im Kampf gegen den Terrorismus sind nicht alle Mittel erlaubt). Die Anzeige richtete sich unter anderem gegen den damaligen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und den ehemaligen CIA-Chef George Tenet.

Die Bundesanwaltschaft hat sich geweigert, Ihre Anzeige weiter zu verfolgen – ein Misserfolg?

Wolfgang Kaleck: Natürlich ist es sehr schwierig, mit den Mitteln des Völkerstrafrechts mächtige Menschenrechtsverletzer zur Verantwortung zu ziehen. Dass es möglich ist, daran müssen sich sowohl die Öffentlichkeit, als auch die Juristen im In- und Ausland erst gewöhnen, insbesondere die Bundesanwaltschaft! Wir haben im November einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung beim Oberlandesgericht Frankfurt im so genannten Klageerzwingungsverfahren gestellt. Das Gericht könnte die Bundesanwaltschaft anweisen, Ermittlungen einzuleiten oder gleich Anklage zu erheben. Diese Entscheidung steht noch aus. Spätestens seit der Verhaftung von Augusto Pinochet 1998 in London jedenfalls ist das Völkerstrafrecht keine symbolische Angelegenheit mehr.

In der deutschen und der internationalen Fachwelt ist unsere Anzeige durchaus positiv aufgenommen worden. Der Tatbestand der Kriegsverbrechen ist ja unstrittig, die Frage war, ob es möglich sein würde, ein solches Verfahren in Deutschland zu beginnen. Natürlich sind die USA als Täterstaat sowohl für die Ermittlung als auch die Verfolgung dieser Taten besser geeignet. Aber mindestens solange die Bush-Administration noch im Amt ist, herrscht dort die organisierte Straflosigkeit. Die Menschenrechtsverletzungen werden nicht nur nicht verfolgt, sondern mit dem Military Commissions Act soll auch sicher gestellt werden, dass das so bleibt.

Entsteht im Kampf gegen den Terror ein „Feindstrafrecht”?

Wolfgang Kaleck: Was in Guantánamo geschieht oder Abu Ghraib geschehen ist, das hat mit Recht nichts zu tun. Ganz im Gegenteil, die Bush-Administration will sich den Formen des Strafrechts entziehen! Es handelt sich nicht um ein neues Recht, sondern um den Versuch, bestimmte Individuen aus dem Schutzbereich der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechtes hinauszudrängen.

Angriff auf den Geltungsanspruch des Folterverbots

Aber lässt sich die Erosion des humanitären Völkerrechts mit juristischen Mitteln aufhalten?

Wolfgang Kaleck: Es wäre jedenfalls ganz falsch, diesen Kampf verloren zu geben, nur weil rechtliche Mittel nicht sofort zum Erfolg führen. Es handelte sich um langwierige Auseinandersetzungen, bei denen es auch um die jeweiligen Machtverhältnisse geht, die sich nicht mit einem bloßen Verweis auf geltende Gesetze ändern lassen.

Es ist leider nichts Neues, dass Menschen in Lager verbracht, dort gefoltert und gegebenenfalls auch ermordet werden. Konzentrationslager, in Deutschland Vernichtungslager, hat es im vergangenen Jahrhundert bekanntlich häufig gegeben. Das Erschreckende an der aktuellen Entwicklung ist, dass die US-Administration – besonders am Anfang der Amtszeit George Bushs – versucht hat, das ganze rechtliche System auszuhebeln. Die Chinesen und Russen foltern massenhaft. Aber sie tun das mehr oder weniger heimlich. Dass die amerikanische Regierung es offen getan hat, während sie gleichzeitig den Geltungsanspruch des Folterverbots offensiv angegriffen hat, macht die Sache für das internationale Menschenrechtssystem so gefährlich.

Aber nicht nur in den USA wird das Folterverbot zur Disposition gestellt. In einem Interview mit der „Zeit“ hat sich der Innenminister Wolfgang Schäuble positiv auf die Ideen des Bonner Staatsrechtlers Otto Depenheuer bezogen, der im Kampf gegen den Terror ziemlich alles für erlaubt hält.

Wolfgang Kaleck: Ich finde, man schenkt Otto Depenheuer zu viel Beachtung. Es ist natürlich wichtig, darauf hinzuweisen, dass es nicht nur einzelne Polizeipräsidenten sind, die das absolute Folterverbot in Frage stellen. Auch in der Rechtswissenschaft tauchen immer mehr Positionen auf, die in Ausnahmesituationen eine Anfechtung der Menschenwürde für möglich halten. Insbesondere gab es in Deutschland eine Diskussion um die Thesen des emeritierten Bonner Strafrechtswissenschaftlers Günther Jakobs, der zwei Kategorien von Strafrecht schaffen will: einerseits das so genannte „Bürgerstrafrecht“, andererseits ein so genanntes „Feindstrafrecht“ für diejenigen, die durch das normale Recht nicht mehr „erziehbar“ und „ansprechbar“ sind. Solche Positionen werden aber im Moment noch von der absoluten Mehrheit der Strafrechtler zurückgewiesen.

In einer Rede vom 1. November sagte Wolfgang Schäuble: „Beispielsweise entspricht die strikte Trennung zwischen Völkerrecht im Frieden und Völkerrecht im Krieg den neuen Bedrohungen nicht mehr. Und auch die Einordnung von Terroristen in das System des humanitären Völkerrechts, das von der Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nicht–Kombattanten ausgeht, bereitet Schwierigkeiten.“

Wolfgang Kaleck: Mit solchen Äußerungen schließt sich Schäuble an die Haltung der Bush–Administration an: Bestimmte Menschen sollen dem Schutz der allgemeinen Menschenrechte entzogen werden und stattdessen nur dem humanitären Völkerrecht unterworfen werden. Das ist etwas „nachgiebiger“, denn in ihm sind Tötungen gerade von Kombattanten nicht prinzipiell verboten. Es geht um Verhältnismäßigkeiten, man darf nicht zu viele Zivilisten töten. Entscheidend ist, dass Schäubles Projekt weder mit der deutschen Verfassung, noch mit dem Völkerrecht in Einklang zu bringen ist.

Die rot-grüne Bundesregierung hat versucht, den Abschuss von zivilen Luftfahrzeugen unter bestimmten Umständen zuzulassen. Das Verfassungsgericht hat dem in seinem Urteil 2006 eine klare Absage erteilt. Schäuble möchte nun diese klare und völlig eindeutige Rechtslage umgehen, indem er sagt, in solchen Fällen solle humanitäres Völkerrecht gelten. Aber es geht ihm ohnehin weniger darum, diese konkreten Projekte durchsetzen, sondern er will ein Klima schaffen, in dem die Bevölkerung bestimmte Maßnahmen der inneren Sicherheit duldet. Generell soll die der Effizienzgedanke über die geltenden Verfahrensregeln und die Menschenrechte gestellt werden.

Wer nach jedem Schäuble-Interview eine aufgeregte Textauslegung betreibt, begeht einen Fehler. Seit Jahren verschieben sich im Bereich der inneren Sicherheit die Gewichte, im Polizeirecht zu Lasten der Betroffenen, im Strafrecht zu Lasten der Beschuldigten. Angesichts dessen bringt es überhaupt nichts, immer wieder solche Äußerungen zum Skandal zu erklären.