Anti-Alkohol-Werbung wirkt kontraproduktiv

Wissenschaftler fanden heraus, dass Saufexzesse bei britischen Jugendlichen das Sozialprestige steigern

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Eine von Psychologen und Marketingexperten gemeinsam erstellte Studie diagnostiziert, dass Kampagnen, die Teenager vor den Folgen von Alkoholexzessen warnen sollten, von der Zielgruppe völlig anders interpretiert werden, als vorgesehen.

In der Kampagne "Know Your Limits" führte die britische Regierung ihrer Jugend unter anderem vor, wie Betrunkene aus Clubs geworfen und heimgetragen werden oder wie sie im Hausflur einschlafen. Das, so meinte die britische Regierung, sollte dem Nachwuchs zeigen, dass Alkohol zu sozialer Ächtung führt. Allerdings schätzten sie dabei die soziale und kulturelle Realität in Großbritannien offenbar völlig falsch ein

Extremräusche dienen britischen Jugendlichen nach Einschatzung der Psychologin Christine Griffin von der University of Bath als Reputationsquelle. Das zumindest ergab eine von ihr durchgeführte Studie, an der neben zwei anderen Psychologen auch die Marketingexperten Chris Hackley vom Royal Holloway und Isabelle Szmigin von der University of Birmingham beteiligt waren.

Für die Studie befragten die Wissenschaftler insgesamt 94 junge Briten. Die Auswertung dieser Interviews ergab, dass die Jugendlichen Alkoholexzesse positiv erinnerten und sie mit Spaß und Freundschaft verbanden. Sie vertiefen in der Wahrnehmung der Jugendlichen Freundschaften und schweißen Gruppen zusammen. Erzählungen über extreme Räusche steigerten die Position von Jugendlichen in der Gruppe. Den weitaus meisten Befragten waren die durch übermäßigen Alkoholgenuss hervorgerufenen Gefahren durchaus bewusst, aber sie bewerteten die positiven sozialen Effekte offenbar stärker. Die Interviews ergaben auch, dass die Teenager besonders starke Räusche als "Marken" in ihren Lebensläufen beschrieben.

Chris Hackley vom Royal Holloway sieht als notwendige Konsequenz der Studie, dass sich die Alkoholpolitik der britischen Behörden von Grund auf ändern und bei einem Neuanfang die soziale Rolle des Alkohols realistisch einbeziehen sollte. Allerdings ist fraglich, inwieweit sich daran ausgerichtete Kampagnen auch als Regierungs-PR für ältere Wählerschichten verkaufen lassen würden.

Bei der letzten Donnerstag angelaufenen Kampagne "The Choice is Yours", die vom weltweit operierenden Getränkekonzerns Diageo initiiert wurde, ließe sich mit etwas bösem Willen sogar darüber spekulieren, ob den Produzenten der tatsächliche Effekt möglicherweise nicht sogar bekannt war. Für einen begründeten Verdacht zur wirklichen sozialen Rolle von Alkoholexzessen war eigentlich wenig mehr als die Kenntnis einiger halbwegs zeitgenössischer britischer Musikvideos nötig. Auch der mit fein abgewogenen Exzessen kunstvoll angehäufte Status von Amy Winehouse oder Pete Doherty hätte der britischen Regierung eventuell ein paar Hinweise zum Funktionieren der Prestigeerwerbssysteme ihrer Jugend geben können. Es spricht sogar einiges dafür, dass dieses Phänomen zwar ein altersbedingtes, aber kein unbedingt neues ist – zumindest wenn man von klassenspezifischen Subsystemen ausgeht.