Popjournalistische Ressentiments?

Der Sänger Morrissey ist wieder einmal in den Focus antirassistischer Kritik geraten

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Letzten Donnerstag berichtete die F.A.Z (Verachtung eines Unpolitischen) als überregionale Tageszeitung erstmals im deutschsprachigen Raum über den Vorfall – mit der üblichen wöchentlichen Verspätung allerdings, nachdem in Blogs deutscher Tageszeitungen oder hier sowie in diversen Musikmagazinen bereits nachhaltig das Ereignis gewürdigt worden war. Einen Tag später zog die SZ nach (Gestörtes Smitheinander), und zwar großflächig auf der ersten Seite ihres Feuilletons. Was war geschehen? Und worum geht es?

Anlässlich ihrer jüngsten „Love music, hate racism“-Kampagne wollte der New Musical Express einer seiner Ausgaben eine kostenlose Single des Sängers Morrissey, den man mal liebevoll, mal abschätzig „Moz“ nennt, beifügen. Flankiert werden sollte die Beigabe von einem Interview mit dem Sänger höchstselbst. Tim Jonze, Musikjournalist und Blogger des britischen Guardian hatte den Sänger, der seit einem Jahrzehnt in Rom und Los Angeles lebt, augenscheinlich getroffen, und ihn über sein Leben in Rom und seine Zukunftspläne befragt.

Als Jonze während des Gesprächs darauf zu sprechen kam, ob Morrissey, ehemals Frontmann der legendären britischen 1980er Combo The Smiths, gewillt sei, irgendwann wieder nach Großbritannien zurückzukehren, hatte dieser die Frage negativ beantwortet und dafür als Grund die Immigrationspolitik des Inselreiches benannt. Von Jonze gebeten, das zu präzisieren, soll der Sänger geantwortet haben: „Wenn ich durch Knightsbridge flaniere, vermisse ich jeden britischen Tonfall. Alle möglichen Akzente kann man dort hören, nur den britischen nicht.“ In anderen Ländern, Morrissey verwies dabei auf Deutschland und Schweden, sei das anders. Hier wisse man sofort, was deutsch oder schwedisch ist. Reise er hingegen durch Britannien, dann wisse er nicht mehr, wo er sei.

Rassisten, Antirassisten

Zugleich wies er aber darauf hin, dass das „Einwanderungsthema“ ein äußerst schwieriges sei. Er habe nichts gegen Menschen anderer Hautfarbe. Aber je mehr davon aus anderen Ländern nach Britannien kämen, desto mehr verschwände die britische Identität. Das sei umso bedauerlicher, weil die britische Identität für ihn, den Sohn irischer Einwanderer, sehr attraktiv sei.

Britische Angewohnheiten amüsierten ihn sehr. So wie er sich die Freiheit nehme, in der ganzen Welt herumzureisen, solle diese Freiheit auch für andere gelten. Die Einwanderungswellen der letzten Jahre habe zwar die britische Identität insgesamt bereichert, all das ändere aber nichts daran, dass die britische Identität der Vergangenheit angehöre (Morrissey complains that immigration has led to the loss of Britain's identity).

Offenbar ahnend, was möglicherweise diesen Sätzen folgen könnte, gab Morrissey Tim Jonze danach ein zweites Telefoninterview, indem er den Journalisten darauf aufmerksam machte, dass er seine Äußerungen über das Verschwinden britischer Identität ausdrücklich nicht in Zusammenhang mit der Einwanderungspolitik des Vereinten Königreiches gebracht wissen möchte. Gewiss seien seine Eltern damals auch als Einwanderer nach Manchester gekommen, aber die Zeiten und Bedingungen von heute seien andere als damals. Mittlerweile stünden die Tore Englands für jedermann offen, jeder könnte nach England kommen. Trotzdem oder gerade deswegen halte er Rassismus aber für eine große Dummheit. Und zwar für so dumm, dass er keinen vernünftigen Grund kenne, der rechtfertige könnte, dass man darüber überhaupt diskutiert.

Eine Art Hassliebe

Was danach geschah, und wie es zur Skandalisierung dieser Sätze kam, ist nicht mehr leicht zu klären oder zeitlich nachzuvollziehen. Zu widersprüchlich, unlauter und unterschiedlich sind die Angaben, die die Beteiligten abgeben. Fakt ist, dass in der letzten Novemberausgabe der NME der Sänger auf der Frontseite des Magazins mit den Worten zitiert wird: „The gates of England are flooded. The country's been thrown away" (Englands Schleusen sind offen. Das Land ist aufgegeben worden). Dazu wird sein Konterfei abgebildet mit der Zeile: "Bigmouth Strikes Again. Oh Dear, Not Again" (Das Großmaul schlägt zurück. Oh mein Lieber, nicht schon wieder).

Dazu muss man vielleicht wissen, dass es eine jahrzehntelange Art von Hassliebe zwischen dem Sänger und dem Magazin gibt. Schon vor fünfzehn Jahren wurde gegen ihn der Rassismusverdacht erhoben, als er sich während des Songs „National Front Disco“, der die Zeile „England for the English“ enthält, in den Union Jack gehüllt hatte. Damals waren die Zeiten aber auch noch andere. Morrissey durfte noch „ungestraft“ Diskotheken anzünden oder DJs aufhängen, während Joy Division mit Naziästhetik kokettierten und DAF in Deutschland den Adolf Hitler Tanz progagierten. Menschenhass, Weltekel und Daseinsüberdruss galten vielerorts als radical chic, noch nicht als unkorrekte Sprech- und Stilart, vielmehr als ästhetischer Protest und Provokation oder als Verdienst, subkulturelle und soziale Randgruppen bei ihrem Marsch in die Mitte zu begleiten.

Gerade von dem Magazin wurde Moz wegen seines Schwulsein, seines dandyhaften Auftretens und seiner Weltschmerzallüren, denen er in seinen Songs Ausdruck verleiht, als zweiter Oscar Wilde verehrt. Viele Popjournalisten, die heute in den Magazinen und Feuilletons den Ton angeben, sind mit seiner Musik und mit der der „Smiths“ aufgewachsen und sozialisiert worden. Weswegen sein Abgang Anfang der 1990er heftig bedauert und sein überraschendes Comeback auf die Bühne als Solist Anfang des Jahrtausends einhellig beklatscht und bejubelt wurde (Morrissey vor dem Kreuzigungshügel).

Aufwärmen alter Geschichten

Darum verwundert es schon etwas, dass ihm diesmal Selbiges wieder unterstellt wurde, nämlich ähnliche Worte zu gebrauchen wie die British National Party (BNP) in England. Um das zu belegen, wurde nicht nur an die berüchtigte „Rivers of Blood“-Rede erinnert, die Enoch Powell bei einem Treffen der Konservativen in Birmingham im April 1968 gehalten hatte. Darin hatte der Tory-Politiker vor „Überbevölkerung“ und einer „schwarzen Kolonie“ gewarnt, in die England bald verwandelt würde, wenn die Einwanderung weiter so ungebremst voranschreite. Sondern es wurde auch die alte Flaggengeschichte beim Konzert in Finsbury Park anno 1992 wieder aufgewärmt, bei dem damals auch Skinheads zugegen waren (Flying the Flag). Als sie den Meister, wie manche berichteten, beim Konzertieren störten, soll er sie mit dieser Art britischen Humors zu besänftigen versucht haben. Als allerdings Rassismusvorwürfe laut wurden, von einem „Mozgate“ die Rede war und Asiaten sein Konterfei auf Plakaten verbrannten, ließ es Morrissey dabei bewenden. Statt sich zu wehren, setzte er sich beleidigt nach Hollywood ab. Fortan feierte im Haus Clark Gables sein Auskommen als Frühpensionär.

Damit aber nicht genug. Dem Sänger wurden auch die Inhalte oder zweifelhaften Textzeilen einiger seiner Songs vorgehalten, beispielsweise der Song Bengali in Platform, in dem mehrmals der Satz: „Life is hard enough when you belong here“ gesungen wird, oder der Song Irish Blood, British Heart, wo Morrissey augenscheinlich das benennt, was vor allem in seinen Adern fließt oder in seiner Brust schlägt.

Zwar ging Conor McNicholas, der Herausgeber des NME, nicht so weit, Morrisey offen als „Rassisten“ oder „Ultranationalisten“ zu bezeichnen, der Positionen der BNP vertritt, sah aber in seinem Kommentar ein „gefährliches Echo“, das durchaus gegen die hiesige Einwanderungspolitik gerichtet und daher wenig hilfreich in einer Zeit großer Veränderungen sei.

Chronik einer Skandalisierung

Nachdem die Ausgabe auf dem Markt war, brach sowohl in den Foren als auch in den Medien wie dem Guardian oder BBC ein Sturm der moralischen Entrüstung los. Selbst der Mirror und die Sun widmeten dem Vorfall einen Bericht, unterschlugen dabei aber, dass sich der Sänger vom „Rassismus“ distanzierte. Von einem zweiten „Mozgate“ war rasch die Rede, dem bald eine bizarre Debatte folgte, eine wortreiche Auseinandersetzung um Text und Kontext, um die richtige Ein- und Anordnung von Sätzen.

Management und Anwälte des Sängers bezichtigten das Magazin des „Rufmords“ am Sänger. Sie bemängelten, dass Sätze aus dem Kontext gerissen und so montiert worden seien, dass der Rassismusverdacht auf den Sänger notwendigerweise habe fallen müssen. Vom Herausgeber verlangten sie eine Entschuldigung und eine Gegendarstellung. Sie verwiesen auf zwei Songs, auf I Will See You In Faraway Places, sowie auf den vom NME inkriminierten Song Irish Blood, British Heart, die beide die antirassistische Gesinnung des Sängers bezeugen sollen. Zeitgleich veröffentlichte Morrissey auf der Fan-Webseite True-to-You-Net eine Erklärung, in der er das Magazin und seinen Interviewpartner der bewussten Verdrehung und Manipulation von Aussagen beschuldigte.

Auch Tim Jonze, der die Interviews geführt hatte, sah sich genötigt, sich zu dem Vorfall zu äußern. In seinem Blog beharrte er darauf, dass die Äußerungen Morrisseys genau so gefallen seien, wie sie wiedergegeben wurden. Er verwies auf die Frage-Antwort-Form des Interviews und auf einen Tonbandmitschnitt, der das belegen würde. Allerdings gab er auch zu, dass der NME ihm verschiedene Versionen des Interviews vorgelegt habe, harte und weiche Versionen. Keine davon hätte seine Punkte und Argumente berücksichtigt und keine wären in seinem Sinne geschrieben worden. Die Endversion beispielsweise habe er überhaupt nicht zu Gesicht bekommen. Weswegen er auch seinen Namen unter dem Artikel zurückgezogen habe. Und in der Tat erschien das Interview im NME auch mit den Worten „Interview – Tim Jonze; Words – NME“.

Hysterisierung eines Sachverhalts

Von den ebenso sonderbaren wie verwirrenden Abläufen und Hintergründen dieser Schlammschlacht erfährt der deutsche Leser nur am Rande. Dafür umso mehr über die Skandalisierung und den Rassismusvorwurf. Wiedergegeben wird hauptsächlich der Standpunkt des Magazins. Ausführlich zitiert werden die inkriminierten Sätze und die zweifelhaften Songtexte, aufgewärmt wird erneut die Union Jack-Geschichte. Mitnichten wird erwähnt, dass sich auch andere Britpop-Stars mit dem Union Jack schmücken oder geschmückt haben, Noel Gallagher zum Beispiel auf seiner Gitarre oder die Spice Girls mit dementsprechenden T-Shirt. Mitnichten wird erwähnt, dass es über den Vorfall auch andersartige Zeugenberichte gibt. Und mitnichten wird erwähnt, dass es sehr wohl Texte von Morrissey gibt, aus denen man genau das Gegenteil ablesen könnte.

Während die FAZ das Ganze unter der Rubrik: Geschwätz eines „Unpolitischen“ abtut und daran erinnert, dass Morrissey eher Narzisst als „fremdenhassender Rassist“ ist und Weltekel immer schon zu seinem Repertoire und dem von „The Smiths“ gehört hat, ordnet die SZ den Vorfall penibel ein in eine lange Latte rechtsgerichteter Äußerungen, die von ältlichen Popstars und Avantgardisten jüngst überliefert worden sind. Etwa von Vivien Westwood, die ein Manifest publiziert hat, in dem sie das Stilbewusstsein Margaret Thatchers lobt und den grassierenden Konsumismus und die Gewalt von Computerspielen für den allgemeinen Werteverfall verantwortlich macht. Oder auch von Eric Clapton, der vor dreißig Jahren die Powell-Rede bei einem Konzert in Birmingham gepriesen und noch vor drei Jahren dessen berüchtigte „Blood“-Rede als „mutig“ und wegweisend gelobt hatte .

Der Fall hat Methode

Normalerweise könnte man das Ganze der Rubrik „üblicher Alarmismus“ zuordnen oder als solchen abtun. Man könnte auch verwundert den Kopf schütteln und sich fragen, ob Feuilletonisten nichts Besseres zu tun haben, als, um den angeblich berüchtigten Leo Strauss zu zitieren, im Exoterischen nach Esoterischem zu graben. Und man könnte den Fall auch als innerbritische Angelegenheit abtun und zur Tagesordnung übergehen, wenn Ablauf wie Skandal, das Mix aus Verdächtigungen, Unterstellungen und Anschuldigungen nicht Methode hätte und einem bestimmten Schema folgen würde. Spätestens seit dem Fall der Mauer und dem Ende des Kalten Krieges ist politisch korrektes Sprechen, das im Moralisieren von Haltungen, Stilen und Mentalitäten endet, an die Stelle fundierter und ernst gemeinter Kritik getreten. Auch darum kann der Vorfall als Lehrbeispiel für die fortschreitende Hysterisierung westlicher „Erregungsgesellschaften“ (Peter Sloterdijk) gelten.

Rassistische Äußerungen sind schlimm, keine Frage, besonders wenn sie sich mit Hass und Abscheu paaren oder davon zeugen. Vermeintlicher oder unterstellter Rassismus ist, wenn er öffentlich erhoben wird, allerdings „Rufmord“. Vor allem, wenn er im Bewusstsein und vollem Wissen um die Aufmerksamkeitsökonomie geschieht, wenn Sätze nicht gefälscht, aber so montiert und verschraubt werden, dass sie skandalös wirken und eine bestimmte Botschaft vermitteln, wenn sie künstlich aufgebauscht werden, um die eigene Auflage zu steigern und andere in Misskredit bringen.

Allein der Vorwurf des Rassismus und/oder des Antisemitismus reicht mittlerweile aus, um eine Person gesellschaftlich für tot zu erklären. Insofern ist Morrisseys Vorgehen, das seiner Anwälte und seines Management verständlich. Und mittlerweile hat er auch im Guardian eine Gegendarstellung erreicht. Unter der Überschrift: „Ich verabscheue Rassismus“ kann man seine Sicht der Dinge nachlesen (I abhor racism, and apologise - for speaking to NME).

Wie auch immer die Vorgänge abgelaufen sind. Sicher ist, dass das, was der Sänger geäußert hat, weit weniger anstößig ist, als das Magazin uns glauben machen will. Bei Lichte besehen ist sein Kommentar zur Lage auf der Insel ziemlich harmlos. Von ihm hätte man im Prinzip Schärferes und Pikanteres erwartet. In Britannien findet man solche Meinungen und Äußerungen mittlerweile zuhauf. Nicht nur bei den Torys, sondern auch in den beiden anderen, großen Parteiungen auf der Insel, bei Labour ebenso wie bei den Liberalen. Aber nicht nur da, auch in den Foren, wie man den Kommentaren zu den einzelnen Artikeln und Blogs entnehmen kann..

Das mag man von einer bestimmter politischen Warte aus betrachtet zwar beklagen und bedauern, ist aber Fakt. Wer den Verlust des je Eigenen (was immer das auch ist) betrauert, die eigene Flagge schwenkt, sich mit nationalen Symbolen drapiert oder auf sein Land und seine Eigenwilligkeiten stolz ist, ist noch lange keine Rechtsradikaler, Rassist oder Fremdenfeind. Wäre das so, wäre das ganze Genre des „Britpop“ oder „Krautrock“ Rassismus verdächtig. Jedes Dafür- oder Fürsichsein, jede Differenzsetzung setzt Abgrenzung voraus. Merkwürdigerweise erlaubt man andersfarbigen Zeitgenossen das, weißen Zeitgenossen hingegen nicht. Ihnen spricht man vielmehr das Recht ab, das Eigene, die Kultur, den Lebensstil, die Tradition oder was auch immer zu loben oder zu betonen. Wenn man so will, handelt es sich hier um eine besondere Art von Selbst- oder Eigenhass, der, wie Nietzsche sagen würde, in Selbstverkleinerung endet.

Lebenslügen und Selbstbetrug

Und noch auf etwas macht der Vorfall nachhaltig aufmerksam. Er weist uns auf die Widersprüche und Lebenslügen einer ganzen Generation von Pop-Journalisten und/oder Pop-Feuilletonisten hin. Folgt man ihren Überzeugungen und Glaubenslehren, dann hat der Popstar gefälligst politisch links zu sein. Obwohl ihre Motivation und Herkunft höchst unterschiedlich sind, die einen kommen aus zerrütteten Familien, die anderen suchen einfach nach ästhetischer Ausdrucksweise oder musikalischem Neuland, hat der Rock- oder Popstar ihrem Dafürhalten nach George Bush zu beschimpfen, sich als Working Class Hero zu präsentieren und die bunte Vielfalt der Kulturen zu preisen.

Dass in der schwarzen HipHop-Kultur den übelsten Machismen gehuldigt und Pornogewaltfantasien aus- und verbreitet werden, die die sexuelle Verwahrlosung einer ganzen Jugendgeneration zur Folge haben, scheint die Pop-Diskursler nicht sonderlich zu stören. Dafür aber umso mehr, wenn ein weißer Sänger den Verlust britischer Identität und Kultur beklagt. Was daran allerdings rassistisch oder fremdenfeindlich sein soll, erschließt sich weder auf den ersten noch auf den zweiten Blick.

So gesehen offenbart die Empörung wieder einmal mehr über die Gesinnung der Kritiker als über den Kritisierten. Mehr als über vermeintliche oder unterstellte Rassismen müssen wir uns vor den Antirassismen selbsternannter „Wächter“ der Gesellschaft in Acht nehmen. Die Zeit der Wohlfahrtsausschüsse, die Martin Mosebach jüngst bei seiner Büchner-Preisrede wieder ins Gespräch gebracht hat, ist nicht vorbei. Im Gegenteil, sie tagen noch und fühlen sich nach wie vor zur „Abwehr gegenrevolutionären Übels“ aufgerufen.

Dass sie nicht ausgestorben sind, und auch nicht erst 1992 in Köln und Hamburg revitalisiert worden sind, als Diedrich Diederichsen, heimlicher Kopf dieser Ausschüsse, angesichts der Ereignisse in Rostock, Mölln und anderswo in der SPEX den Konkurs linker Dissidenz erklärt hat, kann man dem Briefwechsel zwischen Hans Blumenberg und Carl Schmitt entnehmen. Gemünzt auf die studentischen Lautsprecher, die seine Veranstaltungen Mitte der 1970er Jahre immer wieder störten, teilt der politisch jederzeit unverdächtige Philosoph Hans Blumenberg dem Rabbiner und politischen Theologen Jacob Taubes anno 1977 in einem Brief mit:

Moralische Zensoren, die an allen Ecken und Enden ihre Gerichtstage halten, Schilder umhängen und Plätze auf der Skala zwischen Rechts und Links verteilen, sind mir zuwider. […] Wer da richtig placiert ist, bekommt jeden Applaus und jede argumentative Hilfe, jede Nachsicht und jeden hermeneutischen Kredit bis an die Grenze des Widersinns und über diese hinaus.