Vom Vorbild zum Klimasünder

Wie eine Studie anhand von Großbritannien zeigt, ist die bislang nach UNFCC-Kriterien erstellte Berechnung von nationalen CO2-Emissionen eine Illusion - die ehemaligen Industriestaaten haben CO2-Emissionen ins Ausland verlagert

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Eine Studie, die der Ökonom Dieter Helm mit seinem Team von der Oxford University durchgeführt hat, zeigt, dass die CO2-Emissionen Großbritanniens in den letzten Jahren nicht zurückgegangen, sondern gestiegen sind. Großbritannien hatte bislang als eines der Länder gegolten, das bei der der Reduktion der Treibhausgase am erfolgreichsten war. Neben Schweden sei es das einzige Land, das die Kyoto-Vorgaben einhalten könne. Gegenwärtig sollen die Emissionen 15 Prozent unter denen vom Jahr 1990 liegen. Nach dem Kyoto-Abkommen müsste Großbritannien diese nur um 12,5 Prozent reduzieren. Wie Helm zeigt, kommt aber – wie immer - alles darauf an, wie die CO2-Emissionen berechnet werden. In Wirklichkeit seien die Emissionen nämlich um 19 Prozent gestiegen, so die nachvollziehbare Argumentation in Too Good To Be True? The UK's Climate Change Record, die die Diskussion über die unterschiedlichen Beiträge der reichen Industrieländer und der Schwellen- und Entwicklungsländer neuen Zündstoff liefern könnte.

Der Trick an den Berechnungen ist, dass die Emissionen, die mit dem Luft- und Schiffsverkehr, dem Außenhandel und dem Tourismus zu tun haben, nicht in die nationalen Zahlen aufgenommen werden. Das macht auch die Methode nicht, nach der die UNFCC die Treibhausgasemissionen eines Landes erfasst. Auch hier gehen nur die Emissionen ein, die innerhalb eines Landes produziert werden. Nach einer Berechnung von National Environmental Accounts auf der Grundlage einer anderen Methode stellte sich jedoch heraus, dass die CO2-Emissionen eigentlich 14 Prozent höher liegen als die, die Großbritannien nach der UNFCC-Methode verursacht hat.

Das liegt einerseits, aber zu geringem Maße an der Einbeziehung von einigen Inseln und Überseeterritorien, vor allem aber daran, dass National Environment Accounts die von Veränderungen der Landbenutzung und der Wälder ausgehenden Emissionen nicht einbezogen hat, dafür aber die internationalen, auf Großbritannien zurückführbaren Emissionen des Flug- und Schiffsverkehrs, die Emissionen von der Biomasse und die grenzüberschreitenden Emissionen, die von britischen Haushalten und britischen Unternehmen im Ausland produziert werden (abzüglich der etwa von ausländischen Studenten in Großbritannien verursachten Emissionen). Die internationalen Transportkosten stellen mit über der Hälfte der im Ausland verursachten Emissionen den größten Faktor dar.

Die Grafik macht deutlich, wie ein Land mehr CO2-Emissionen verbrauchen, aber weniger selbst produzieren kann

Die Ökonomen kritisieren allerdings an beiden Ansätzen, dass die Bemessungen auf räumlicher Grundlage erfolgen. Das aber sei schief, weil ein Land so niedrige Emissionswerte im Hinblick auf die Produktion und gleichzeitig hohe Werte im Verbrauch haben könnte, wenn beispielsweise im Land eher CO2-emissionsarme Waren produziert, aber viele CO2-emissionsintensive Güter aus dem Ausland importiert würden. Ganz zu Unrecht argumentiere daher China nicht, wenn es darauf hinweist, dass die schnell steigenden Emissionswerte nicht von den Chinesen selbst verbraucht würden, sondern sich zu einem erheblichen Teil der Produktion von Gütern verdanken, die exportiert werden. Im Fall von Großbritannien und anderen ehemaligen "Industrieländern" konnten diese die Treibhausgasemissionen auch durtch die Deindustialisierung senken, also durch eine Verlegung der CO2-intensiven industriellen Produktion in Entwicklungs- und Schwellenländer. Eben dadurch steigen in Ländern wie China die Emissionen dramatisch an.

So ist die Industrieproduktion in Großbritannien ab den 70er Jahren steil abgefallen, wodurch auch die CO2-Emissionen starb abgenommen haben. Ein Grund dafür ist auch der damit teilweise verbundene Umstieg von Kohle auf Gas. Seit 1993, als sich die Dienstleistungsgesellschaft etabliert hatte, sinkt die Industrieproduktion nur noch weiter leicht ab, während das Wirtschaftswachstum insgesamt und vor allem die Importe aus dem Ausland anstiegen. So werden zwar nicht mehr so viele CO2-Emissionen im Inland verursacht, da die Produktion ins Ausland verlagert wurde. Der Verbrauch der Briten steigt aber, bezieht man in die Rechnung die für die importierten Güter und den Transport verursachten CO2-Emissionen ein, weiter an. Die Abnahme ist eine "Illusion", wie die Autoren sagen, mit der die britische Regierung – und andere Staaten wie Deutschland, die angeblich eine Reduzierung der Emissionen zustande gebracht haben – politisch agieren.

Der erste Eindruck könnte täuschen. Die starke Zunahme der Treibhausgasemissionen in China ist auch als neuer Kolonialismus zu verstehen, da die CO2-intensive Industrie dorthin aus den ehemaligen Industrieländern verlagert wurde.

Für eine realistische Erfassung der CO2-Emissionen eines Landes schlagen die Autoren den Einbezug folgender Faktoren im Fall von Großbritannien vor, die die von National Environment Accounts bereits einbezogenen noch ergänzen müssten:

  1. CO2-Emissionen, die im Ausland beispielsweise auf Geschäfts- oder Urlaubsreisen entstehen
  2. Emissionen, die zwischen Ländern beispielsweise durch internationalen Flug- und Schiffstransport entstehen
  3. Emissionen, die in importierten Gütern enthalten sind
  4. Erfassung der vollständigen Wirkung auf die globale Erwärmung, beispielsweise durch den Flugverkehr

Von den zusätzlichen Emissionswerten müssten dann freilich diejenigen abgezogen werden, die von Ausländern (z.B. Touristen) im Inland verursacht werden oder die durch Güter entstehen, die exportiert werden. Alles einberechnet hat Großbritannien ein enormes Handelsdefizit bei den Treibhausgasemissionen, nämlich 341 Millionen Tonnen Kohlendioxydäquivalent (MtCO2e), was etwa der Hälfte der im Inland produzierten Emissionen entspricht. Gegenüber 1990 ist das eine Steigerung um das Sechsfache. Dazu trägt auch bei, dass immer mehr Güter aus Ländern importiert werden, die mehr CO2-Emissionen in die Atmosphäre pusten als der globale Durchschnitt.

Das Handelsdefizit bei CO2-Emissionen bewirkt den Anschein, als würde Großbritannien weniger Emissionen verursachen

Im Hinblick auf den Tourismus würden allerdings die Briten durch Auslandsreisen mehr CO2-Emissionen verursachen als die Touristen, die nach Großbritannien kommen. Das trifft natürlich auch auf die Güter zu. Allgemein steigen aber auch durch den Tourismus die Treibhausgasemissionen insgesamt gar nicht unerheblich. Während die Emissionen vom internationalen Schiffsverkehr seit 1990 etwa konstant geblieben sind, stiegen diejenigen vom internationalen Flugverkehr steil an.

Während also auf der Grundlage der UNFCCC-Daten Grobritannien die Treibhausgasemissionen seit 1990 um 15 Prozent senken konnte, sind sie in Wirklichkeit, zieht man den tatsächlichen Verbrauch unabhängig vom Produktionsstandort ein, um 19 Prozent gestiegen. Das zeigt, wie die Autoren schreiben, dass der Rückgang der britischen Emissionen sich weitgehend einer Illusion verdankt und dass der Handel das Bedürfnis nach CO2-Emissionen einfach ins Ausland verlagert hat. "Emissionsimporte und den Flugverkehr auszuschließen, erzeugt ein künstliches Bild", sagt Helm. "Wir müssen die Verantwortung für die Emissionen übernehmen, die wir verbrauchen."