Wegschauen statt Hingucken

Drei frühere Staatsschützer der Polizeidirektion Dessau-Roßlau werfen Vorgesetzten vor, Ermittlungen gegen den Rechtsextremismus gebremst und Statistiken manipuliert zu haben

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Drei frühere Staatsschützer der Polizeidirektion Dessau-Roßlau haben den Vorwurf bekräftigt, engagierte Polizisten seien im Kampf gegen rechtsextremistische Straftaten gebremst worden. Der damalige stellvertretende Polizeipräsident habe Anfang Februar auf dramatisch gestiegene Fallzahlen politisch motivierter Kriminalität verwiesen und erklärt, "dass man nicht alles sehen müsse" und Berichte auch "langsamer schreiben" könne, sagte der ehemalige Staatsschutzchef Sven Gratzik, der inzwischen versetzt wurde, am Montag vor dem Zehnten Untersuchungsausschuss des Landtages von Sachesen-Anhalt in Magdeburg.

Die gegen Rechtsextremismus gerichtete Landeskampagne Hingucken! soll der hohe Beamte als Projekt "für die Galerie" abgewertet haben, wie auch die beiden anderen Es-Staatsschützer bestätigten.

Der frühere Vizebehördenchef Hans-Christoph Glombitza, der jetzt im Ruhestand ist, räumte ein, dass er dies sinngemäß in einem Gespräch gesagt habe. Er habe die "extensive Erfassung" der Straftaten kritisiert, weil so die Wirklichkeit verzerrt würde. Er wies jedoch bei seiner Befragung im Untersuchungsausschuss den Vorwurf zurück, er habe Beamte zu lascheren Ermittlungen auffordern wollen. Mit Blick auf die Worte "nicht alles sehen" sagte er, diese Aussage habe sich aber auf Internetrecherchen ohne Anlass bezogen, die er angesichts der hohen Arbeitsbelastung der Abteilung infrage gestellt habe. Er sei dafür gewesen, die Suche nach rechtsextremen Internetinhalten auf die Region zu beschränken und nicht "in Amerika" zu recherchieren.

Über "Hingucken!" sei er verärgert gewesen, weil zuvor das Kultusministerium eine von ihm gewünschte Anti-Rechts-Kampagne an Schulen abgelehnt habe. Die Äußerungen, die die drei Staatsschützer nach der Unterredung in einem Gedächtnisprotokoll festgehalten hatten, seien aus dem Zusammenhang gerissen. Er vermute in der Tatsache, dass die Äußerungen bekannt gemacht wurden, persönliche Motive der Staatsschützer, die mit vielen Entscheidungen Vorgesetzter unzufrieden gewesen seien. Glombitza sagte, er vermute, dass die drei Staatsschützer gegen ihn intrigiert hätten, weil er ihnen einen Sonderurlaub nicht genehmigt hatte, Gratzik sei verärgert gewesen, weil er nicht befördert worden wäre. Bereits im Juni hatte Innenminister Holger Hövelmann (SPD) nach einer polizeiinternen Untersuchung erklärt, die Vorwürfe gegen den Ex-Vizebehördenchef seien ungerechtfertigt.

Sven Gratzik sagte im Ausschuss weiter, erste "Irritationen" seien bei ihm bereits Mitte 2006 aufgekommen: Seinerzeit habe der stellvertretende Polizeipräsident "in einem informellen Gespräch beim Eisessen" erklärt, eine hohe Zahl rechtsextremistischer Taten in der Statistik nütze nur den Linken, die so mehr Fördermittel beantragen könnten. Man müsse sehen, wie die Fallzahlen "irgendwie" gesenkt werden können. Eine andere leitende Beamtin vom Zentralen Kriminaldienst habe im Februar 2007 erklärt, die hohe Zahl der erfassten rechtsextremistischen Straftaten schade der Polizeidirektion.

Gratzik wies darauf hin, dass die Zahlen stärker als bislang bekannt manipuliert worden seien. Nicht nur 11, sondern mindestens 19 weitere seien aus der Statistik der politischen Straftaten entfernt worden, u.a. ein Drohanruf ("Du Negerschlampe, dein Negerkind bringe ich um") oder das Herstellen rechtsextremer CDs durch einen Lehrer. "Obwohl die Zahl der Straftaten im Dezember 2006 um 35 stieg, führte dies insgesamt zu einer Reduzierung der Fallzahlen", erklärte Gratzik. Der Handel mit neuen SS-Uniformen sei erst auf sein Drängen hin als politische Straftat eingeordnet worden. Martin Krems, der Sprecher des Innenministeriums, sagte, dass die 19 neuen Fälle, die Gratzik nannte, dem Ministerium bislang nicht bekannt gewesen seien. Zu den 35 anderen Taten, die nicht in die Statistik aufgenommen wurden, gab er keinen Kommentar.

Anfang 2007 hätten sie auch Unregelmäßigkeiten in der Statistik für das Vorjahr bemerkt, sagten die drei Staatsschützer. Nicht alle Straftaten im Bereich der Direktion Dessau-Roßlau, die aus ihrer Sicht politisch motiviert waren, seien an das Landeskriminalamt (LKA) gemeldet worden. Kürzlich war LKA-Chef Frank Hüttemann zurückgetreten, weil das LKA rechtsextreme Taten, deren Urheber nicht klar waren, in der Statistik nicht dem rechten Spektrum zuordnete. Nach offiziellen Angaben war von diesen Änderungen nur die Statistik 2007 betroffen.

Der zehnte Untersuchungsausschuss in der Geschichte des Landtags war nach Bekanntwerden der Dessauer Vorwürfe auf Initiative der Linken eingesetzt worden, um mehrere Polizei-Pannen im Kampf gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit zu beleuchten. Konkret untersucht das Gremium seit Oktober sechs Vorfälle. (fr/dpa)