Die marine Agrarkultur

Nur ein Prozent der weltweiten Wüstenfläche reicht jetzt aus, um darauf klimaneutralen Sprit, Strom und Gas für die gesamte Menschheit zu produzieren.

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Schleichende und unblutige Revolutionen sind meistens erst im Nachhinein identifiziert worden. Anfang des 21. Jahrhunderts ist das anders. Die dritte Industrielle Revolution steht unmittelbar bevor. Wer aufmerksam unterwegs ist, spürt das jeden Tag.

Plankton. Bild: Edition Zaunkönig

Als Mitte des 18. Jahrhunderts die Dampfmaschine erfunden wurde, löste das die erste Industrielle Revolution aus. Begleitet wurde die neue Technik von immensen kulturellen und gesellschaftlichen Umwälzungen. Die zweite Industrielle Revolution nahm Gestalt an, als Ende des 19. Jahrhunderts zahlreiche Erfindungen in der Elektrotechnik das Leben und den Umgang der Menschen veränderten. Neue Kommunikationssysteme wie das Telefon oder das Radio krempelten das gesellschaftliche Leben um.

Plankton. Bild: Edition Zaunkönig

Anfang des 21. Jahrhunderts befinden wir uns in der Startphase der dritten Industriellen Revolution. Ein weiteres Mal sorgen technologische und kommunikative Quantensprünge für massive Umbrüche. Alle Blicke richten sich dabei auf die Dynamik der Globalisierung und den Kampf gegen die Erderwärmung. Neue Technologien, vor allem zur Gewinnung erneuerbarer Energien, rütteln an den Grundfesten unserer in den letzten drei Jahrhunderten gewachsenen Industriegesellschaft. Zusätzlich befeuert wird dies durch die permanenten Innovationsschübe in der Informations- und Kommunikationstechnik: Digitales Wissensmanagement treibt die neue Industrierevolution an. Neue Ideen schwirren in Sekunden um den Erdball, Kontakte und Kooperationen haben sich potenziert. Erst mit Hilfe der modernen Kommunikationsformen konnte die Globalisierung so schnell wachsen.

Aufzuchtstation. Bild: Edition Zaunkönig

Mit dem Internet hat sich die Menschheit in den Zustand eines intelligenten Superorganismus katapultiert. Der renommierte Systemtheoretiker Ervin Laszlo glaubt sogar, der Superorganismus Menschheit bewege sich in der aktuellen historischen Phase auf eine höhere Intelligenzebene zu. Er sieht ein planetarisches Bewusstsein heranreifen. Beste Voraussetzungen, sich den wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Herausforderungen unserer Zeit zu stellen.

Plankton. Bild: Edition Zaunkönig

Zu der Schlüsseltechnologie dieser dritten Industriellen Revolution wird sich das vom weltweit führenden Algenexperten Dr. Bernd Kroon Verfahren – die massenhafte Zucht von Meeresplankton in der Wüste – entwickeln. Dafür hat er den Begriff marine Agrarkultur gewählt. Riesige, bisher für Menschen nutzlose Flächen können damit in den nächsten Jahrzehnten zu den nützlichsten überhaupt werden: Die kargen Landstriche und Wüsten Afrikas werden industriell erblühen und der Menschheit eine ganz neue, ganz andere Wirtschaftsperspektive eröffnen.

Richtig eingesetzt, ist die marine Agrarkultur im Stande, die größten Probleme des 21. Jahrhunderts überwindbar zu machen. Die Planktonindustrie wird Hunger und Elend vertreiben, Hunderttausende von Arbeitsplätzen schaffen, ganze Länder in ihren gesellschaftlichen Strukturen festigen können. Der neue Rohstoff wird die komplette Weltwirtschaft in eine neue Umlaufbahn katapultieren. Uns steht ein neues Zeitalter bevor: Gerechtes Wirtschaften in friedlicher Koevolution mit unserer Erde.

Der Text ist ein Ausschnitt aus dem 5. Kapitel des gerade erschienenen Buches von Axel Limberg; Das Plankton-Manifest - Wie ein neuer Rohstoff die Welt verändern wird. Edition Zaunkönig. 176 Seiten, gebunden. 16,90 Euro.

Vom Labor in die Massenproduktion

Mit der neuen Technologie wird es gelingen, aus weit weniger Natur mehr Wohlstand, mehr Güter und mehr Dienstleistungen zu erzeugen. Wir können auf eine beeindruckende Lösung vertrauen, die uns nur die Natur mit ihren vier Milliarden Jahren Erfahrung geben konnte. Eine Lösung für viele unserer Probleme, weil die genialen Einzeller aus dem Meer um ein vielfaches schneller wachsen als Landpflanzen.

Es gibt viele Dinge, die im Labor funktionieren, aber nie den Sprung in die Massenproduktion geschafft haben. Entweder, weil eine Produktion grundsätzlich nur unter Laborbedingungen möglich ist, oder weil bei einem Feldversuch die Erkenntnis gewachsen ist, dass zu hohe Kosten eine Massenproduktion unwirtschaftlich machen.

Plankton. Bild: Edition Zaunkönig

Algenexperte Kroon hat mit ihrer Technologie diese Hürden überwunden. Die Laborphase hat man Mitte 2005 hinter sich gelassen, ein erster Feldversuch konnte ein Jahr später erfolgreich abgeschlossen werden. 2007 liefen die Vorbereitungen für die Massenproduktion an. Anfang 2008 wird auf zunächst 2.000 Quadratmetern gestartet. Das Plankton wächst dann in zwei Gewächshäusern heran. 2009 geht es ins Freiland. In einer Wüstenregion am Roten Meer wurde dafür eine Fläche doppelt so groß wie die Hamburger Binnenalster vorbereitet, einige Tausend Hektar stehen für die weitere Produktion zur Verfügung.

Der Planktonertrag je Hektar ist dabei sehr viel höher als der von Landpflanzen. Noch kann nicht genau bestimmt werden, um wieviel ergiebiger der Planktonanbau in Afrika sein wird. Aber zieht man Vergleiche mit bestehenden Anlagen, wird das Potenzial deutlich: In Klötze, Europas größter Planktonfabrik, wird ein sechsmal höherer Ertrag je Flächeneinheit erzielt, als mit Landpflanzen möglich wäre. Dazu kommt, dass die Inhaltsstoffe von Plankton sehr viel nützlicher sind. Beispielsweise enthalten marine Mikroalgen anteilig mehr Fette als Landpflanzen.

Daraus ergibt sich ein mindestens zehnmal höherer Ertrag je Hektar. Gegenüber dem extrem unergiebigen Rapsanbau erscheint sogar ein fünfzigfach höherer Ertrag möglich – beispielsweise in der Produktion von Biodiesel. Ebenso optimistisch sind Berechnungen, die zu dem Ergebnis kommen, dass die marine Agrarkultur etwa 35-mal mehr Kohlendioxid aufnehmen kann als herkömmlich bewirtschaftete Flächen. Wer schon einmal über die nicht enden wollende Sahara geflogen ist, wird sich vorstellen können, wie die marine Agrarkultur, Produktmengen zu erzeugen und Kohlendioxid zu binden vermag.

Plankton. Bild: Edition Zaunkönig

Doch noch sollten derartige Zahlen nicht zum Hochrechnen genutzt werden. 2010 wird feststehen, ob die Erträge zehn-, zwanzig- oder fünfzigfach höher liegen. Diese Zahl wird dann das weltweit größte Pilotprojekt am Roten Meer liefern können.

Die Anlage wird nicht, wie nach den bisherigen Darlegungen zu vermuten wäre, auf dem afrikanischen Kontinent gebaut. Sie entsteht auf der anderen Seite des Roten Meeres, in Saudi-Arabien. Die National Prawn Company, ein privates Unternehmen im Besitz saudischer Familien, ist der weltweit größte Fischzuchtbetrieb. Eine Firma, die aus unterschiedlichen Gründen geeignet erscheint, mit der marinen Agrarkultur zu beginnen. Was afrikanischen Firmen nicht allein möglich ist, kann dieses Unternehmen leisten: einen dreistelligen Millionenbetrag zu investieren. Darüber hinaus besitzt die National Prawn Company wie keine zweite Firma Erfahrung im Kultivieren karger und unwirtlicher Wüstenregionen.

35 Kilometer Küstenstreifen bewirtschaftet das Unternehmen. Zum Vergleich: Wer Amrum zweimal umrundet, hat es erst auf 29 Kilometer gebracht. In mehreren Hundert angelegten Teichen, jeweils so groß wie öffentliche Badeanstalten, wachsen täglich Millionen Shrimps heran. Bis zu 30.000 Kilo werden dort pro Tag verarbeitet. Im Kreislauf der Anlage fließen acht Millionen Kubikmeter Meerwasser – nicht einmal die Hälfte der Menge an Süßwasser bräuchte man, um ganz Lübeck ein Jahr lang zu versorgen. Aus diesen Zahlen lässt sich erkennen, dass diese Firma wie keine andere, Erfahrungen besitzt, wie Meerwasser am besten in einer Produktion nutzbar gemacht werden kann.

In der Wüste Saudi-Arabiens wird also das Pilotprojekt der neuen Planktonindustrie entstehen. Am Ende könnte es in Größe und Leistung vergleichbar sein mit El Ejido, einer als Plastikküste verschrienen Region im Süden Spaniens. Aus der Vogelperspektive betrachtet, erstrahlt dort ein weißes, surreales Meer: Etwa 32.000 Hektar sind mit Planen bedeckt. Es ist kein atemberaubend schöner Gemüse- und Obstanbau entstanden, doch wohlwollend wird er immerhin als Europas größter agrarindustriell genutzter Wintergarten bezeichnet.

Das Buch "Das Plankton Manifest" von Axel Limberg ist erschienen bei Edition Zaunkönig

Die dortigen Gewächshäuser haben den meisten der dort lebenden Spanier einen gewissen Wohlstand beschert. Aus unfruchtbarer und steiniger Wüste wurde ein Gebiet, das Tausenden Menschen Arbeit bietet. Regionen, in denen sich Planktonindustrie ansiedelt, werden ähnliche Effekte erzielen.

In Spanien zeigen sich allerdings auch die Schattenseiten solcher industriellen Großkomplexe. Mit zwei ökologischen Problemen hat El Ejido zu kämpfen: In 20 oder 30 Jahren wird das Grundwasser aufgebraucht sein und die Region veröden. Womöglich schon vorher dürften großzügig verwendete Pestizide das regionale Ökosystem in Luft, Böden und Grundwasser töten.

Diese beiden Probleme wird die Planktonindustrie nicht bekommen können. Von elementarer Wichtigkeit ist nämlich, dass nur Meeresplankton gezüchtet wird und somit in der Produktion nur Meerwasser nötig wird. Es entsteht ein Wirtschaftssektor, der ohne das knappe Gut Süßwasser auskommen wird. Damit ist die Planktonmasse allen anderen landwirtschaftlichen Erzeugnissen um Längen voraus. Wüste, Meerwasser, Sonnenlicht und Kohlendioxid – das sind die Hauptzutaten für die Planktonproduktion. Die ersten drei sind zur Genüge vorhanden, Kohlendioxid darüber hinaus in einem schädlichen Maße.

Zusätzlich ist in der Planktonproduktion der Einsatz von Dünger notwendig. Allerdings wird dieser vom Plankton komplett verwertet. Weder Rückstände aus Dünger noch aus Pestiziden können daher in der Erzeugungsphase des neuen Rohstoffs entstehen. Für die Umwelt schädliche Restprodukte fallen nicht an.

Besonders als Energielieferanten haben Landpflanzen diesbezüglich einen großen Nachteil: Wie der Chemienobelpreisträger Paul Crutzen herausgefunden hat, entweicht bei der Düngung herkömmlicher Energiepflanzen jede Menge Lachgas. Der besonders bei Raps, Mais und Weizen genutzte Stickstoffdünger ist das Problem. 300-mal stärker als Kohlendioxid trägt das entstehende Lachgas zum Treibhauseffekt bei. Der positive Effekt von Biokraftstoffen relativiert sich dadurch. Plankton wird zwar auch mit Stickstoff gedüngt, baut diesen Stoff aber komplett in seine Struktur ein. Lachgas kann in der Planktonproduktion nicht entstehen.

Ähnlich wie bei den Landpflanzen, bieten sich auch bei den Meerespflanzen Dutzende Arten zur Zucht an. Tausende Planktonarten existieren, Hunderte davon könnten kultiviert werden. Die hätten dann ganz unterschiedliche Potenziale. Ihre natürlichen Wirkstoffe lesen sich wie das chemische Who is Who: Proteine, Aminosäuren, Fette und Fettsäuren, Mineralstoffe und Spurenelemente, Pigmente oder Vitamine. Die grüne Wunderwaffe aus dem Meer kann je nach Art eine Fülle wertvollster Stoffe produzieren.

Insgesamt ist die Datenbank der Natur vergleichbar mit der des Internets. Mit der Besonderheit, dass das Meer mit seinen Einzellern größtenteils noch unbekannte Datenmengen für uns bereithält.