Die Deutschen: 70 Prozent religiös, 28 Prozent sogar "hochreligiös"

Die Bertelsmann Stiftung hat für ihren "Religionsmonitor" die erste internationale Umfrage zur Religiosität vorgelegt und stellt "keine anhaltende Säkularisierung breiter Bevölkerungsschichten" fest

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Rechtzeitig zu Weihnachten, wo doch die Menschen, vor allem wenn sie Kinder haben, die Kirchen füllen und die Religion wieder entdecken, hat die Bertelsmann Stiftung eine Umfrage veröffentlicht und meldet, dass es überraschend viele religiöse Menschen in Deutschland gebe. 70 Prozent seien religiös, 28 Prozent sogar "hochreligiös", was schon fast ein wenig gefährlich klingt. Und nur "28 Prozent weisen in ihrer persönlichen Identität keinerlei religiöse Dimensionen auf". Atheismus und Säkularisierung scheinen also in Deutschland nicht wirklich an der religiösen Ausrichtung zu nagen, glaubt man der Studie, für die über 20.000 Menschen in 21 Ländern um die 100 Fragen beantworten mussten.

Fraglich ist freilich, wie viele der "Religiösen" solche Menschen sind, die zwar Gott oder an was auch immer sie glauben mögen, nicht leugnen wollen, aber aus ihrem Glauben auch keine größeren Konsequenzen ziehen. Als religiös wurde neben anderen Kriterien wie "Spiritualität" ein "Bezug zur Transzendenz" definiert, aber auch ausgeführt, dass bei den "Religiösen" die Religion keine sonderlich große Rolle spielt, viele also auch vielleicht sicherheitshalber sich als religiös bezeichnen oder Angst davor haben, ganz ins Gott- und Transzendenzlose zu stürzen:

Bei Religiösen kommen religiöse Inhalte und Praktiken ebenfalls (wie bei den Hochreligiösen) vor, spielen in der Persönlichkeit jedoch nur eine untergeordnete Rolle. Dies hat zur Folge, dass sie nur einen heteronomen und schmalen Einfluss auf das allgemeine Erleben und Verhalten ausüben können. Die Erlebens- und Handlungsfelder erscheinen religiösen Individuen nur gelegentlich in einem religiösen Licht.

Der von Bertelsmann initiierte Religionsmonitor feiert jedenfalls eine "neue, bunte Vielfalt" in Deutschland. 70 Prozent der Menschen gehören einer Religionsgemeinschaft an. Jeweils 30 Prozent der römisch-katholischen und der evangelischen Kirche. Mit 4 Prozent Muslimen braucht sich diese christliche Übermacht, verstärkt durch weitere 3% von Evangelisch-Freikirchlichen und 1% orthodoxen Christen, keine Sorgen zu machen. 0,8 Prozent gehören Sekten an. 0,3 Prozent sind Buddhisten, 0,2 Juden und 0,12 Hindus.

Nur 28 Prozent seien "klar" nicht religiös (woanders heißt es, bei ihnen würden "religiöse Inhalte und Praktiken kaum vorkommen". Das sei ein hoher Anteil, weltweit würden sich so nur 16,5 Prozent beschreiben. Das kann möglicherweise auch an der Auswahl der 18 Länder liegen, in denen die Umfrage durchgeführt wurde. Deutschland an Religiosität unterbieten nach dieser Umfrage Großbritannien, Südkorea, Frankreich und Russland. In den beiden zuletzt genannt Ländern ist fast schon die Hälfte nicht religiös. Aber auch innerhalb Deutschlands gibt es erhebliche Unterschiede zwischen Ost und West. Im Osten sind danach nur 36 Prozent religiös, im Westen hingegen erstaunliche 78 Prozent.

Von einer Renaissance der Religion lässt sich offenbar trotz mancher Massenspektakel um den Papst nicht sprechen. Die Jungen sind deutlich weniger religiös als die Älteren, heißt es. Gleichzeitig wird gesagt, dass die 18-30-Jährigen fast genauso religiös wie ihre Eltern seien. Aus den Daten könne "eindeutig gefolgert werden, dass es in Deutschland in Fragen der Religion und des Glaubens keinen massiven Traditionsbruch zwischen Eltern und Kindern gibt. Im Gegenteil ist die jüngste Generation in manchen Aspekten viel engagierter und weniger skeptisch als die älteren Gläubigen."

Unterschiede gibt es auch zwischen Frauen und Männern, wenn auch wesentlich geringfügiger. Bei den Frauen gibt es mehr "hochreligiöse", bei den Männern ist der Anteil der nicht religiösen höher. Bei den Katholiken gibt es mehr hochreligiöse als bei den Protestanten. Aber man kommt doch ins Stutzen über die Aussagekraft der Umfrage, wenn es etwa heißt:

Immerhin 12% der Nichtreligiösen glaubt an die Existenz Gottes, an ein göttliches Prinzip, ein Leben nach dem Tod, die Unsterblichkeit der Seele oder eine mögliche Wiedergeburt.

Ganz so religiös, wie es zunächst klingt, scheinen die Deutschen dann doch nicht zu sein. Schließlich spielt die Religion bei diesen "Lebensbereichen" die geringste Rolle und rangiert ganz am Schluss: Ehepartner/Lebenspartner, Bildung, eigene Familien mit den Kindern, Arbeit und Beruf, Freizeit, Politik.

Das Fazit der groß angelegten Studie mit dem "innovativen Ansatz", wie gerne immer wieder betont wird, ist eigentlich ziemlich dürftig, zumal auch nicht problematisiert wird, ob nicht bestimmte Gruppen von Menschen aufgrund ihrer Einstellung eher bestimmte Antworten geben. Aber erst einmal scheint es nach der Umfrage in Deutschland so zu bleiben, wie es war:

Wir können ein langfristiges Aussterben der Religion in Deutschland, wie es immer wieder behauptet wird, definitiv nicht bestätigen. Aber ob es umgekehrt auch eine Renaissance des Glaubens z.B. in der Jugend gibt, können wir ebenfalls nicht sagen. Das wird erst eine Wiederholung des Religionsmonitors zeigen. Fest steht, es gibt eine große Stabilität des religiösen Bewusstseins in breiten Bevölkerungsschichten, das aber sehr vielfältig ist.

Wie in allen anderen Umfragen zeigt sich auch hier die Sonderrolle der USA unter den westlichen Ländern. Hier könne man 89% als religiös bezeichnen und 62% als hochreligiös. Mehr an Mehr an Hochreligiösen gibt es in Marokko, Guatemala, Indonesien und Brasilien. In Indien seien zwar die meisten Menschen religiös und bezeichnen sich nur 1 Prozent als nicht religiös, aber es gebe nicht so viele Hochreligiöse wie in den USA, nämlich weniger als die Hälfte. Paradox erscheint die Türkei. Hier sollen über 90 Prozent religiös zu sein, aber es gibt nur 10 Prozent Hochreligiöse. Insofern gebe es eine moderate Religiosität, die so gesehen durchaus nach Europa passen würde, wo Polen und die Italiener die Ausreißer mit mehr als 40 Prozent von Hochreligiösen sind. Allerdings sei die "Intensität" der Religiosität bei den Muslimen am höchsten, der Abstand zu den Christen und Hindus ist nicht groß, Buddhisten und Juden sind eher gemäßigt.

Auf der Webseite Religionsmonitor können sich ab Dienstagabend auch alle Internetnutzer selbst anhand der 100 Fragen auf ihre Religiosität oder ihren Atheismus testen und dabei ihre (anonymen) Daten abliefern. Ob sie daraus schlauer werden, ist eine andere Frage. Man kann sich nun individuell, regional, national, geschlechtsspezifisch oder wie auch immer vergleichen und findet sich in einem Ranking. So ist die Welt für Bertelsmann in Ordnung. Möglicherweise aber nicht ganz zweckfrei, hofft zumindest Paul M. Zulehner, Professor für Pastoraltheologie in Wien, in seiner "wissenschaftlichen Interpretation".

In religiös-weltanschaulicher Hinsicht erweisen sich die untersuchten Kulturen als instabil einerseits, als bunt und in produktiver Bewegung andererseits. Der Ausgang der laufenden Entwicklung ist offen. Das Ergebnis aber ist zunehmend gestaltbar: Auch ein Auto lässt sich dann am ehesten lenken, wenn es in Bewegung ist.

Das Wiener Institut für Praktische Theologie der Katholisch-Theologischen Fakultät, an dem Zulehner tätig ist, möchte schließlich, wie es dort heißt, "die Zeichen der Zeit erkennen und verstehen, um Gesellschaft und Kirche im Sinne der Geschichte Gottes mit den Menschen getragen von der Reich-Gottes-Vision mitzugestalten".

Zeitgleich zum Religionsmonitor ist unter der Führung von Bertelsmann auch der zweite Teil der Du bist Deutschland-Kampagne gestartet. Dieses Mal sollen die Deutschen kinderfreundlicher werden (Du bist Deutschland - Du bist ab jetzt kinderfreundlich). Vielleicht sind ja die "Hochreligiösen" kinderfreundlicher oder kriegen zumindest mehr Kinder?