Neues Sexualstrafrecht: Aufgeschoben, aber nicht aufgehoben

Im letzten Moment wurde das geplante und umstrittene Sexualstrafrecht noch einmal vertagt. Grund zur Erleichterung besteht allerdings nicht, denn eine Kurskorrektur ist kaum zu erwarten

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„Wenn Politiker von Kindern reden, sollte man mit einer Hand die Bürgerrechte, mit der anderen die Geldbörse festhalten.“ lautet ein Sprichwort. Und tatsächlich wurde mit dem Argument, sie helfe gegen Kinderpornographie oder gegen sexuelle Gewalt, schon so manche unbeliebte Maßnahme begründet – unter anderem auch die Vorratsdatenspeicherung. Die Neuausrichtung des Sexualstrafrechts kam ähnlich daher. Oberflächlich betrachtet sollte sie sowohl gegen die Prostitution Minderjähriger als auch gegen Kinderpornographie helfen - wobei hier insbesondere die Problematik der so genannten „Posingphotos“ aufgegriffen wurde. Posingphotos sind Photos, die Minderjährige in (teilweise) sexuell aufreizenden Posen zeigen, jedoch nicht zwangsläufig Nacktphotos sind. Vielfach tragen die Minderjährigen Erwachsenenkleidung oder Dessous - oder aber die bedeckten Geschlechtsmerkmale werden durch die besonderen Posen betont.

Herausgekommen ist ein Gesetzentwurf, der hierfür eine in ihrem Herkunftsland höchst umstrittene Definition aus einem US-amerikanischen Gesetz übernahm. Diese hätte bedeutet, dass auch Bilder, die Minderjährige in nicht-lasziven Posen zeigen, welche durch Ausleuchtung usw. lasziv wirken könnten, strafbar wären. Die Schwammigkeit des Begriffes „aufreizend“ beziehungsweise „lasziv“ war denn auch Kernpunkt der Kritik. Zudem sollten nun auch Photos, bei denen die Akteure lediglich den Anschein erwecken, minderjährig zu sein, strafbar werden.

Anscheinsjugendpornographie?

Noch stärker kritisiert wurde die Neuregelung hinsichtlich der Altergrenze. Die sollte einerseits auf 18 Jahre heraufgesetzt, andererseits für den „Täter“ herabgesenkt beziehungsweise ganz gestrichen werden. Warum das Wort "Täter" in Gänsefüsschen steht, erschließt sich, wenn man sich das Gesetz einmal näher ansieht. Würde beispielsweise ein 15jähriger das 17jährige Subjekt der Begierde fragen, ob sie mit ihm ins Bett ginge, wenn er sie ins Kino einlädt, so wäre dies bereits der Versuch, eine Minderjährige im Austausch gegen eine geldwerte Leistung zum Sex zu überreden - und somit strafbar.

Spätes Erwachen der Medien

Während sich Blogger und einige Medien bereits im Spätsommer mit dem Problem befassten und dabei unter anderem feststellten, dass das neue Gesetz nicht nur Jugendliche kriminalisieren, sondern durch einen schlichten Definitionsakt auch den Anteil der Kinderpornographie im Netz stark ansteigen lassen würde (was sich wiederum gut für weitere Einschränkungen von Rechten eignet) blieben die Mainstreammedien lange still. Erst Anfang Dezember griffen schließlich auch die größeren Zeitungen das Thema auf und bezeichneten das Gesetz mediengerecht als "Pettingparagraphen". Das spät einsetzende Mediengewitter war so groß, dass sich die Bundesjustizministerin befleißigt fühlte, schnell eine Presseerklärung herauszugeben, welche die Kritiker beruhigen sollte (und sie gleichzeitig in typischer Politikermanier) als „verantwortungslos“ geißelte):

„Schutzzweck unseres Gesetzes ist es, ein Abgleiten von Kindern und Jugendlichen in die Prostitution verhindern. Es ist absurd, wenn behauptet wird, dass ein geschenktes Kaugummi oder ein Kinobesuch sexuelle Beziehungen zwischen Jugendlichen strafbar machen. Es ist verantwortungslos, unsere redlichen Bemühungen, Kinder vor Prostitution zu schützen, durch gezielte Falschinformationen zu diskreditieren“.

"Das ist doch alles ganz anders gemeint"

Was mit dem Gesetz ermöglicht werden sollte, das wurde im Stern vom Jugendrichter Wolfgang Vögele erläutert:

„Stellen wir uns vor, drei 17-jährige umringen eine 14-Jährige und wollen sexuellen Kontakt. Das Mädchen weigert sich zwar, doch die drei Jugendlichen bitten sie immer weiter, bis sie letztlich mitmacht. Dieses Szenario, wenn es nicht zu einer Nötigung ausartet, ist bisher nicht strafbar.“

Warum die 14jährige, so sie denn auf „Bitten“ mit sexuellen Gefälligkeiten antwortet, dann eben dies anzeigen sollte, das bleibt dabei unterläutert. „Dass eine Kinoeinladung als Entgelt gewertet wird, ist sehr weit hergeholt.“ beschwichtigt Herr Vögele denn auch schnell, lässt aber außen vor, dass eben das kritisierte Gesetz dieses ermöglichen würde. Aber auch für diese Kritik hat Herr Vögele schnell Beruhigung parat:

„Es gibt so viele Gesetze, die nicht dadurch besser werden, dass man im Text unzählige Varianten berücksichtigt. In der Praxis ergeben sich mit jedem neuen Gesetz Probleme, von denen man vorher nicht ausgehen konnte. Man muss aber Vertrauen in die Gerichte und die Rechtssprechung haben, die in der Realität dem Gesetz Konturen geben.“

Einfacher ausgedrückt: das Gesetz ist vage und schwammig, aber die Gerichte werden es schon richten. Ob es für die durch das Gesetz dann kriminalisierten Jugendlichen so beruhigend ist, zu wissen, dass das Gericht, vor dem sie dann erscheinen, das allzu vage Gesetz schon mit Konkretisierungen füllen wird? Alles in allem ging Frau Zypries bisher nicht darauf ein, wo genau die Falschinformationen vorlagen. Sie teilte lediglich sinngemäß mit, dass alles ganz anders gemeint sei als das Gesetz es sagt. Nur sind diese Beschwichtigungen und Versicherungen für diejenigen, die das Gesetz betrifft, nicht einklagbar. Eine Zusicherung, dass der Kinobesuch, der für die sexuelle Gefälligkeit angeboten wird, eben nicht als geldwerte Leistung gesehen wird (im Austausch für Sex) ist insofern rechtlich wertlos und wird von den mittlerweile desillusionierten Bürgern nicht mehr als Beruhigung akzeptiert. Zu oft wurden Zusagen wie „die Kontenabfrage dient doch nur der Terrorbekämpfung“ oder „die Vorratsdatenspeicherung soll gegen Terrorismus helfen“ als beruhigende Nebelkerzen enttarnt. Für die Betroffenen sind lediglich klare rechtliche Abgrenzungen entscheidend - keine noch so beruhigende Pressemitteilung und Versicherung.

Keine Umkehr in Sicht

Als Reaktion auf die zunehmende Kritik wurde das umstrittene neue Gesetz nun nicht verabschiedet. Grund zur Erleichterung oder gar Freude bietet diese Umkehr jedoch nicht. So hat die Bundesjustizministerin bereits mitgeteilt, dass sie lediglich in einen Punkt noch Klärungsbedarf sieht. Nämlich dem, ob es strafbar sein soll, wenn eine 17jährige beispielsweise ohne jeglichen äußeren Druck pornographische Bilder von sich selbst ins Internet stellt. Die anderen heftig kritisierten Punkte des Gesetzes sollen so verabschiedet werden wie bisher geplant.

Sollte dem so sein, dann wird 2008 in der Berichterstattung rund um die Themen Internetüberwachung/Webseitensperrung und Einschränkung der Informationsfreiheit oft zitiert werden. Als das Jahr, in dem sich die Anzahl der Kinderpornographie und die Anzahl der Fälle von Sexualstraftaten explosionsartig vermehrten. Gleichzeitig wird Kindern und Jugendlichen ein Gesetz präsentiert, das sie oberflächlich gesehen schützen soll, aber gleichzeitig ein Damoklesschwert über ihren Köpfen schweben lässt - weil schon der Kinobesuch, der Blumenstrauß oder die neue CD, die vielleicht die Chancen auf eine sexuelle Annäherung steigen lassen könnten, ebenso gut dazu taugen, eine Straftat zu konstruieren.

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