Kürzung für Kranke

Neuer Sozialminister Olaf Scholz bedient sich bei Hartz IV

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die Bundesregierung steuert auch weiterhin ihren strikten Kurs des sozialen Ausgleichs: Wo gegeben wird, muss auch irgendwo genommen werden. So hat jetzt das Kabinett deutliche finanzielle Erleichterungen für Erben beschlossen. Und ist gleichzeitig der Meinung, dass Langzeitarbeitslosen, die im Krankenhaus liegen, ein Drittel ihrer Bezüge von 347 Euro gestrichen werden kann - weil sie dort ja kostenlos verpflegt werden. Auch dass der Petitionsausschuss des Bundestages diese Regelung scharf kritisiert und auf Änderung dringt, ficht das Sozialministerium unter dem neuen Hausherrn Olaf Scholz (SPD) nicht an: Was bisher Praxis war wird nun Verordnung und tritt am 1. Januar 2008 in Kraft.

„Verpflegung soll künftig mit 35 Prozent der jeweils maßgebenden Regelleistung leistungsmindernd berücksichtigt werden“, heißt es lapidar in der jetzt vom Kabinett beschlossenen Verordnung zum Arbeitslosengeld II (also Hartz IV) des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Wenn ein Langzeitarbeitsloser für längere Zeit in ein Krankenhaus zur Behandlung muss, dann wird ihm die dort servierte Verpflegung als „Einkommen“ angerechnet, was zu einer Minderung seiner Bezüge um 121,45 Euro führt. Dem kranken Hartz-IV-Empfänger bleiben so anstatt der 347 Euro des Regelsatzes nur noch rund 225 Euro im Monat.

Diese Praxis der Leistungsminderung hat der Petitionsausschuss des Bundestages schon seit längerem kritisiert. Nach seiner Meinung entspricht diese Verwaltungspraxis nicht der geltenden Rechtslage, da es der Arbeitsverwaltung an einer rechtlichen Grundlage für diese Kürzungen fehlt. „Das Sozialgesetzbuch II enthält keine Ermächtigungsgrundlage zur Kürzung der Regelleistung bei vorrübergehender stationärer Aufnahme in ein Krankenhaus“, so der Ausschuss im Oktober dieses Jahres. Gab es bei der früheren Sozialhilfe noch Geld für besondere Aufwendungen, so wurden diese Leistungen mit Hartz-IV pauschalisiert. Die Arbeitsagenturen sind deshalb nicht berechtigt, die Leistungen abzusenken, wenn ausnahmsweise einmal ein Teilbedarf nur in reduzierter Höhe anfällt, denn das Prinzip der Pauschalisierung bestehe gerade darin, derartige Besonderheiten des Einzelfalles auszublenden, so die Bundestagsabgeordneten.

Kabinett und Sozialministerium haben sich diese Ansicht der gewählten Volksvertreter allerdings nicht zu eigen gemacht. Zwar wurde in die Verordnung nun eine „Belastungsgrenze“ von 83,28 Euro eingeführt, unterhalb derer die Krankenkost nicht als „Sachleistung“ angerechnet wird. Aber dies nicht aus den prinzipiellen Erwägungen des Petitionsausschusses heraus, sondern um das „verwaltungsaufwändige Rückforderungsverfahren“, also den bürokratischen Aufwand bei der Eintreibung der zuviel gezahlten Unterstützung zu vermeiden, weil doch die Einweisung ins Krankenhaus „überwiegend ungeplant“ erfolgt. Und dann der Regelsatz schon ausbezahlt ist.

Die Verordnung aus dem Hause des frischgebackenen sozialdemokratischen Arbeits- und Sozialministers Scholz stößt auch auf massive Kritik von Erwerbsloseninitiativen. Als „völlig lebensfremd“ und als eine „makabere Provokation kranker Menschen“ bezeichnet etwa Harald Thomé vom Erwerbslosenverein Tacheles in Wuppertal die Praxis der Behörden. Die Bezieher von Arbeitslosengeld-II würden doppelt bestraft: Zusätzlich zu den Entbehrungen durch Krankheit und Abwesenheit von zu Hause komme noch die Belastung durch die Absenkung der Regelsätze hinzu. Zudem sei die Rechnung der Sozialbehörde völlig unrealistisch. Denn wer im Krankenhaus liegt, sieht sich einer ganzen Reihe zusätzlicher Kosten gegenüber. Vom Telefon am Krankenbett über eine nötige Krankenhauskleidung und den Besuchskosten der Familienmitglieder bis zur „teuren“ Versorgung am Krankenhauskiosk. Der Verein empfiehlt, bei Kürzungen durch die Arbeitsagentur wegen Krankenhausaufenthalt gegen die entsprechenden Bescheide Widerspruch einzulegen und gegebenenfalls zu klagen.

Und die Chancen stehen für die Kläger gut. Zunehmend stützen die Sozialgerichte die Meinung des Petitionsausschusses und lehnen eine Kürzung der Arbeitslosengeld-II-Bezüge bei Krankenhausaufenthalt ab, zuletzt im Oktober das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen. Denn die Krankenhauskost sei eben „kein Marktwert“, der sich an der nächsten Ecke in Geld umwandeln lässt. Und: „Ebenso wenig lässt sich die Rechtmäßigkeit der Kürzung der pauschalierten monatlichen Regelleistung aus der Gesetzesbegründung oder einer anderen Rechtsgrundlage“ herleiten (Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 7 B 185/07 AS ER). Diese Entscheidung, so übrigens das Gericht, „ist unanfechtbar“.