Medien und Militainment

Verbote von Killerspielen oder Brutalfilmen nützen wenig. Jugendschützer sind da schon einen Schritt weiter und erstellen Lernprogramme zum geschulten Umgang mit Gewalt in den Medien

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Wenn bei einem Film wie „Der Soldat James Ryan“ abgerissene Gliedmaßen in Großaufnahme zu sehen sind oder das Blut in Strömen fließt, werden die Absurditäten des Jugendschutzes deutlich. Zumindest für die Prüfer der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF). Derlei brutale Sequenzen kann man nicht einfach für den 20:15-Blockbuster freigeben. Andererseits liegt das Motiv dieses Filmes nun gerade nicht in der Gewaltverherrlichung. Es ist ein Antikriegsfilm. Doch ein „guter Antikriegsfilm muss“, wie Medienwissenschaftler Lothar Mikos sagt, „drastische Szenen zeigen, auch wenn dies im Widerspruch zu allen Jugendschutz-Argumentationen steht.“

Screenshot von der DVD "Krieg in den Medien"

Kriege und Gewalt finden überall in der Gesellschaft statt. Ihre mediale Abbildung ebenso. Problematische Einflüsse werden gewöhnlich an den Jugendschutz delegiert. Nur Fernhalten oder Verbieten sind aber weder konstruktiv noch wirkungsvoll. Denn selbst gewalttätige Stoffe haben ihre Ambivalenzen, das sieht man an Debatten um Filme wie „James Ryan“ oder Black Hawk Down. Und deutsche Jugendschutzgesetze und Fernsehfreigaben hin oder her: Die Medienkompetenz Jugendlicher beinhaltet vor allem das Wissen um allseitige Verfügbarkeit -- auch jugendgefährdener Inhalte. Dass etwas verboten ist, heißt noch lange nicht, dass man es nicht irgendwo herunterladen kann.

Weitergehende Medienkompetenz wird bisher kaum gezielt gefördert. Medienerziehung ist an Schulen immer noch kein eigenes Unterrichtsfach wert. Woher sollen Jugendliche also einen bewussten Umgang mit Gewaltdarstellungen beziehen? Es fehlt an Anleitungen, die oft stereotype Dramaturgie von Ego-Shootern oder soldatischen Superhelden zu durchschauen -- und in ihrer Wirkung auf das eigene Verhalten zu hinterfragen.

Screenshot von der DVD "Krieg in den Medien"

Der Medienpädagoge Leopold Grün von der FSF hält dies für ein Defizit. Seit Jahren unterstützen die Fernsehkontrolleure auch praktische Projekte, in denen Kindern zum Beispiel die Produktion von eigenen Nachrichtensendungen ermöglicht wird. Leopold Grün und seine Kollegen haben nun (in Kooperation mit der Bundeszentrale für politische Bildung) eine Materialsammlung erstellt, die unter dem Titel Krieg in den Medien als DVD erhältlich ist.

Das vorgestellte Material vergleicht Kriegsfilme, Computerspiele und auch die ganz alltäglichen Nachrichtenformate. Denn in ihrer Dramaturgie, in den gewählten Methoden Spannung zu erzeugen und in der Wirkung liegen die verschiedenen Medien oft nicht mal sehr weit auseinander. Der embedded journalist hat in letzter Konsequenz die gleiche Aufgabe wie ein Tom Hanks unter seinem Stahlhelm: es geht darum, spektakuläre Bilder zu verkaufen. News-Formate sind genau so eine Ware wie Hollywood-Filme.

Screenshot von der DVD "Krieg in den Medien"

An drastischen Bildbeispielen wird auch auf der DVD nicht gespart. Doch in anmoderierter Form, pädagogisch eingebunden in analysierende Fragestellungen, verliert sich der Thrill am großen Leinwand-Gemetzel. So lernt der Zuschauer zu begreifen, mit welchen Tricks Bildaussagen manipuliert werden können und zu welchem Zweck dies geschieht.

Mediale Darstellungen bilden immer nur einen kleinen Teil der Realität ab

Diese Erkenntnis ist den Entwicklern des Lernprogramms wichtig. Manche Aufgabenteile und Fragestellungen wirken vielleicht etwas formelhaft. Dafür lassen gestandene Kriegsreporterinnen wie Antonia Rados und Bettina Gaus einen ungewohnten Blick hinter die Kulissen zu. Beide berichten in Interviews über genau das, was sonst keinen Weg in die Berichterstattung findet: die Angst, den Ekel, das nervtötende Warten vor, während und nach militärischen Einsätzen. Und sie schärfen den Blick auf die Methoden der Propaganda, der sich auch Nachrichtenredaktionen nicht immer entziehen können.

Wenn Jugendliche ausdauernd Spaß haben an virtuellem Nahkampf oder Vietnam-Kriegsszenarien, heißt das noch lange nicht, dass sie – wie einige Medienwirkungsforscher behaupten – ihre Gewalterfahrungen irgendwann in Echtzeit ausleben müssen. Häufig aber ist ihnen nicht bewusst, an welche brutalen Wirklichkeiten das Setting tatsächlich anknüpft. Spiele wie „Medal of Honor“ oder „Company of Heroes“ vermitteln numal kaum die politischen Hintergründe des Zweiten Weltkriegs.

Screenshot von der DVD "Krieg in den Medien"

Kriege sind für uns weit weg oder lange her, doch in allen Medien ständig präsent. Die zugespitzte Gewalteskalation bleibt ein ewiger Kassenknüller, wird zudem in Nachrichten als zivilisatorische Notwendigkeit dargestellt. Warum aber schickt man Jugendliche – sozusagen – komplett ohne Grundausbildung in diesen medialen Schützengraben? Die meisten Eltern sind ebenfalls davon überfordert, ihrem Nachwuchs die Faszination geschickter Bildschnitte zu erklären.

Die DVD „Krieg in den Medien“ setzt an der richtigen Stelle an. Sie funktioniert interaktiv wie ein Spiel, sie entlarvt Manipulationen und lässt eigene Erkenntnisse zu. Zugegeben, derlei Lernprogramme sind selten sexy, Broschüren der Bundeszentrale für politische Bildung sonst auch eher analog-grau gehalten. Aber dieses Projekt lässt hoffen, dass sich etwas tut auf dem Sektor „mediale Gewalterfahrung für Jugendliche“. Jenseits von Verboten.