Der Tanz von Trollmann

Der deutsche Sinto Johann "Rukelie" Trollmann war ein Box-Champion, der ab 1933 nicht mehr siegen durfte - und grausam sterben musste

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Es war ein gespenstisches Schauspiel, das sich am 21. Juli 1933 dem betreten schweigenden Publikum in der Berliner Bockbrauerei bot. Deutschlands bester Boxer im Halbschwergewicht stand breitbeinig, festgewurzelt wie eine deutsche Eiche, inmitten des Rings; Körper und Gesicht hatte er mit Mehl bestäubt, um den dunklen Teint zu überdecken, die schwarzen Haare hatte er wasserstoffblond gefärbt. Als groteske Karikatur eines „arischen Kämpfers“ war Johann Wilhelm Trollmann in den Ring geklettert, um die wuchtigen Schläge seines Gegners auf sich niederprasseln zu lassen. Fünf Runden lang hielt er fast regungslos den Hieben des späteren Europameisters Gustav "Meister" Eder stand: Er ließ sich blutig schlagen, bis er zusammenbrach.

Mit der „Grandezza eines großen Tragöden“ (Michael Quasthoff) hatte der am 27. Dezember 1907 nahe Hannover geborene Trollmann, den seine Sinti-Familie Rukelie nannte, seinen letzten großen Kampf als Verhöhnung des NS-Rassenwahns inszeniert. Unmittelbar vor dem Kampf hatte ihm nämlich der Verband deutscher Faustkämpfer (VDF) spezielle Auflagen erteilt, die ihm gegen einen gefürchteten Nahkämpfer wie Eder keine Chance ließen. Für einen „Zigeuner“, der die kräftigsten Prachtexemplare der selbst ernannten Herrenrasse gleich reihenweise auf die Bretter schickte, durfte es nach Hitlers Machtergreifung im Boxsport keinen mehr Platz geben.

Um ihn aus dem Weg zu schaffen, verbot man ihm kurzerhand seinen leichtfüßigen, technisch avancierten Boxstil, der als „Tanz von Trollmann“ Furore gemacht hatte. „Mit tief hängenden Fäusten tanzte er durch den Ring, wich den Hieben der Gegner durch pfeilschnelle Pendelbewegungen aus und ließ sich auf lange Schlagwechsel gar nicht erst ein“, schilderte der Sporthistoriker Knud Kohr den als „undeutsch“ verspotteten Kampfstil, der in vielem das Erfolgsrezept des frühen Muhammad Ali vorwegnahm.

Flachfüßig im Ring

Wenn er seine Lizenz nicht verlieren wolle, ließ der Verband ihm nun ausrichten, hätte er sich gefälligst eines „deutschen“ Kampfstils zu bedienen. Und was sich die Rassenfanatiker im Sportverband unter einem arischen Boxer vorstellten, erläutete der NS-Boxexperte Ludwig Haymann in „Deutscher Faustkampf, nicht pricefight. Boxen als Rasseproblem“ (zu dem übrigens kein Geringerer als Max Schmeling ein devotes Vorwort beisteuerte): „Flachfüßig in der Mitte des Rings soll er stehen und so lange Schläge austeilen, bis einer der Kämpfer am Boden liegt.“ Der Ausgang des Kampfes stand also fest, noch bevor er begonnen hatte. Nach Trollmanns Niederlage höhnte das Fachorgan Boxsport unter dem Titel "Der helle Gypsie":

"War einstmal ein Zigeunerbr> Jetzt ist er nämlich – koiner
Denn Wasserstoff und Sonnenbrand
In beiden er zu lange stand
Wie haben sie ihn bloß verhunzt
’Verblichen’ ist selbst seine Kunst."

Es war freilich nicht das erst Mal, dass Trollmann den Hass rassistischer Funktionäre zu spüren bekam. Schon 1928 strich der Verband seinen Namen von der deutschen Liste für die Olympischen Spiele in Amsterdam und schickte stattdessen einen Kontrahenten, der gegen Trollmann, damals immerhin Norddeutscher Meister, schon wiederholt verloren hatte. Um seine Olympiachance geprellt, warf der Amateur daraufhin das Handtuch und wechselte zu den Profis. In kürzester Zeit wurde der drahtige Boxer, der mit seinen 72 kg nicht nur in seiner eigenen Gewichtsklasse, sondern häufig auch im Halbschwergewicht antrat, zum Publikumsmagneten. Trollmann galt, wie der Hannoversche Anzeiger festhielt, als wahrer Frauenschwarm, aber „auch die Kerle kommen gern“ – selbst Bertolt Brecht und Hans Albers sollen zu seinen Kämpfen gepilgert sein.

Mit tänzerischer Eleganz boxte sich Trollmann nach oben; alleinim Jahr 1932 stieg er 19 Mal in den Ring. Doch mit jedem neuen Erfolg wuchsen die Anfeindungen. Vor allem die Zeitschrift Boxsport, die den Sinti-Boxer gerne herablassend mit dem Beinamen „Gypsie“ bedachte, ließ keine Gelegenheit aus, über den „Zigeuner“ Trollmann herzuziehen. „Der Trollmann wird nie aus seiner Haut heraus können“, hieß es da etwa: „Er bedeutet für jede seriöse Veranstaltung eine Gefahr. Denn er neigt dazu, plötzlich wie ein Derwisch zu tanzen.“

Tumult und Triumph

Nach Hitlers Machtübernahme wurden Juden im Frühjahr 1933 von den Profikämpfen ausgeschlossen; auch der jüdische Titelverteidiger Erich Seelig, der einzige, der Trollmanns steilen Aufstieg vielleicht hätte stoppen können, musste vor den Nazis ins Ausland flüchten. Als der Meistertitel im Halbschwergewicht neu ausgeschrieben wurde, führte an Trollmann – zum Leidwesen der neuen Machthaber – kein Weg vorbei: Dem Verband blieb nichts anderes übrig, als den zunächst nur als Ersatzmann nominierten Sinto für den Titelkampf am 9. Juni 1933 zuzulassen.

An jenem Abend setzte Trollmann dem schwerfälligen Schläger Adolf Witt vor den Augen von Verbandschef Georg Radamm vom ersten Gongschlag an schwer zu. Runde um Runde manövrierte der Sinto seinen fast 7 kg schwereren Gegner aus und punktete aus der Distanz; schon nach wenigen Runden lag Witt in der Wertung aussichtslos zurück. Der NS-Mann Radamm verfolgte das Geschehen mit versteinerter Miene. Als sich dann in der 6. Runde Trollmanns Sieg immer deutlicher abzuzeichnen begann, winkte Radamm einen seiner Funktionäre herbei und flüsterte ihm etwas zu. Kurz darauf war der für den Sieger bestimmte Ehrenkranz aus der Arena der Bockbrauerei verschwunden.

Am Ende der zwölf Runden hatte Trollmann seinen Gegner nach Punkten klar besiegt. Radamm aber weigerte sich, den Titel zu vergeben, und verkündete, dass der Kampf wegen Trollmanns „undeutschen“ Stils nicht gewertet werde. Mit einem Mal schlug den verdutzten Verbandsdelegierten ein Sturm der Entrüstung entgegen. Die Zuschauer stürmten aufgebracht nach vorne; die Nazi-Funktionäre wurden beschimpft und bedroht. „Hätte der Garten der Brauerei Wände gehabt“, schilderte das Fachblatt Boxsport den Tumult, „wäre der Kalk von den Wänden gerieselt.“ In diesem Hexenkessel musste die Abordnung des Boxverbandes ernstlich fürchten, nicht mehr mit heiler Haut davonzukommen, wenn sie den Schiedsspruch nicht umgehend revidierte. Radamm gab klein bei und erklärte den verdienten Sieger zum Meister im Halbschwergewicht. Dem Sinti-Boxer rannen Tränen über die Wangen, zunächst vor Wut, dann auch vor Freude.

Geraubter Lorbeer

Letztere währte allerdings nicht lange: Nach einer Woche wurde Trollmann schriftlich mitgeteilt, dass Sieg und Titel wegen seines „armseligen Verhaltens“ als ungültig gewertet würden. „Es musste so kommen“, kommentierte der Berliner Lokal-Anzeiger, „denn man stellt sich einen deutschen Meister anders vor. Ein deutscher Boxer darf nicht weinen, erst recht nicht ein Meister in aller Öffentlichkeit heulen.“ Auch die Redaktion des Boxsport jubelte, denn „Flitzen und Punkten“ seien „eines Meisters nicht würdig“, außerdem habe Trollmann „besonders viele Anhänger unter denen, die sich mit der neuen Richtung des Verbandes nur schwer oder gar nicht abzufinden wussten, Anhänger, die das Theatralische in seinem Spiel, diese zigeunerhafte Unberechenbarkeit schätzten“. Noch 1967 war im Boxsport über den Kampf zu lesen: „Der Zigeuner hatte den Kampf verdorben, so schnell konnte Witt nicht rennen, um ihn jemals zu stellen.“

Trollmann wusste, dass seine Laufbahn damit zu Ende war. Mit dem Mut der Verzweiflung nutzte er seinen nächsten Auftritt, den Kampf gegen Eder sechs Wochen später, zur symbolischen Abrechnung mit dem NS-Verband. Doch sein Protest war freilich nicht mehr als eine tragische Geste. Immer wenn er bei den wenigen kleineren Kämpfen, die er in den nächsten Monaten noch bestritt, nach Punkten vorne lag, fauchte ihm jemand zu: „Leg dich, Zigeuner, sonst holen wir dich und deine Familie!“ In der Not übernahm Trollmann daher bald auch Schaukämpfe auf Jahrmärkten – ein willkommener Vorwand, den Sinto nach einem Rummelboxen 1935 aus dem Verband zu werfen, was einem Berufsverbot gleichkam.

„Los, Zigeuner, wehr dich“

Die Eskalationsspirale der NS-Verfolgung begann sich immer bedrohlicher zu drehen. Trollmann ließ sich scheiden, um seine Familie vor dem Zugriff der Behörden zu schützen. Er boxte auf Jahrmärkten, tauchte monatelang unter und versteckte sich im Teutoburger Wald. Doch auch er konnte sich den NS-Stellen nicht entziehen. Wie viele andere Roma musste sich auch Trollmann sterilisieren lassen. 1939 wurde er in die Wehrmacht eingezogen und kämpfte an der russischen Front, wurde verwundet und kehrte – als „Nicht-Arier“ wegen „Wehrunwürdigkeit“ entlassen – Ende 1941 zurück.

Bald darauf spürte ihn die Gestapo auf und deportierte ihn ins KZ Neuengamme. „Was er dort erleiden musste“, schrieb der Journalist Michael Quasthoff,

hat später ein Lagergenosse berichtet. Immer wenn sich die SS-Männer langweilen, muss Trollmann für Abwechslung sorgen. Sie stülpen ihm Handschuhe über, krempeln die Arme hoch und rufen: Los, Zigeuner, wehr dich! Dann rammen sie ihre Fäuste in den ausgemergelten Körper.

Über Monate trieben die SS-Schergen dieses grausame Spiel – bis am 9. Februar 1943 ein Schuss den ehemaligen Boxchampion niederstreckte (als offizielle Todesursache wurde „Kreislaufschwäche“ vermerkt). Niemand weiß, ob die SS-Männer des Häftlings überdrüssig wurden, weil er – völlig entkräftet – nicht mehr zum Kampf taugte; oder ob er, ganz im Gegenteil, einmal zu fest zugeschlagen hatte.

Jahrzehntelang schien Johann Trollmann nirgendwo als Deutscher Meister auf. Erst die Recherchen des Verlegers Hans Firzlaff haben sein trauriges Schicksal dem Vergessen entrissen. Ende 2003 wurde Trollmann daraufhin vom deutschen Boxverband (BDB) eher widerwillig rehabilitiert: In einem stickigen Box-Gym in einem Berliner Hinterhof wurde Trollmanns Familie ein symbolischer Meistergürtel überreicht und ein Schreiben verlesen, das Trollmann – 70 Jahre nach der Annullierung – offiziell zum Deutschen Meister im Halbschwergewicht von 1933 erklärt. Persönlich erschienen ist vom Verband allerdings niemand. BDB-Präsident Eckmann hatte zuvor verlauten lassen, es sei „nicht klug“, aus dem Fall Trollmann „eine große Sache“ zu machen. Und sein Verbands-Vize Hans Högner setzte noch eins drauf, als er erklärte, die Würdigung mache den Ermordeten schließlich „auch nicht mehr lebendig“.