Was woll(t)en Bush-Regierung und CIA verheimlichen?

Eine sich abzeichnende neue CIA-Affäre könnte sowohl den Watergate-Skandal als auch die Iran-Contra-Affäre und sämtliche darauffolgenden Skandale der vergangenen Jahrzehnte in den Schatten stellen

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Die Debatte um die Vernichtung von Videobeweisen für CIA-Folterverhöre (siehe Happy Slapping beim Geheimdienst?) in den USA nimmt immer schärfere Formen an. In einem in der vergangenen Woche an die US-Medien gelangten internen Memorandum vom 13. Dezember beschuldigt der frühere Leiter der Untersuchungskommission zu den Anschlägen vom 11. September, Philip Zelikow, den US-Auslandsgeheimdienst CIA, die Ermittlungen der Kommission systematisch blockiert zu haben. Der stellvertretende Vorsitzende der Kommission, der demokratische Kongessabgeordnete Lee Hamilton, bestätigte diese Einschätzung. Gegenüber der New York Times sagte Hamilton, der Geheimdienst habe die Arbeit der Kommission „klar behindert“.

Mit den vernichteten Videobändern hatte die CIA die Verhöre der Terrorverdächtigen (Zayn al-Abidin Muhammed Hussein) Abu Zubayda und Abd al-Rahim al-Nasiri dokumentiert. Beide wurden nach ihrer Gefangennahme im Jahr 2002 in Pakistan in geheimen CIA-Verhörzentren gefoltert, wobei u.a. das bei der CIA so beliebte Waterboarding zum Einsatz kam, wie der CIA-Agent John Kiriakou in einem Interview mit dem Fernsehsender ABC jüngst bestätigte. Kiriakou droht deshalb ein Verfahren wegen Geheimnisverrats. Die Aussagen der beiden wiederum sollen zur Festnahme der angeblichen Drahtzieher des 11. September, Ramzi Binalshibh und (des ebenfalls brutal gefolterten) Khalid Scheich Mohammed geführt haben.

Von der Vernichtung der Bänder im November 2005 hatte die New York Times erstmals am 7. Dezember berichtet und damit eine Lawine ins Rollen gebracht. Die Verhörvideos waren sowohl sowohl den Gerichten, etwa im Verfahren gegen den wegen seiner angeblichen Verwicklung in die Terroranschläge vom 11. September 2001 zu einer lebenslanger Haftstrafe verurteilten Zacharias Moussaoui, als auch den Geheimdienstausschüssen und der 11.-September-Kommission des US-Kongresses vorenthalten worden.

Dem Memorandum Zelikows zufolge hat die CIA die Verhörvideos der 11.-September-Kommission ganz gezielt verheimlicht. Die New York Times berichtet unter Berufung auf ehemalige Kommissionsmitglieder, die Expertenkommission habe 2003 und 2004 mehrfach detaillierte Anfragen zu den Verhören mit mutmaßlichen Al-Qaida-Mitgliedern an den Geheimdienst gerichtet, wobei man konkret auch die Namen Zubaydas und al-Nashiris genannt habe. Über die Existenz der Videobänder sei die Kommission jedoch nie informiert worden, stattdessen sei man mit bearbeiteten Zusammenfassungen der Verhöre abgefunden worden. Die CIA habe auf Nachfragen stets versichert, alle Anfragen beantwortet zu haben.

Demgegenüber behauptete CIA-Sprecher Mark Mansfield spitzfindig, die CIA habe der Kommission alle angeforderten „Dokumente“, „Berichte“ und „Informationen“ geliefert, nach Videoaufnahmen habe die Kommission aber nie ausdrücklich gefragt. Laut dem Memo waren in die Verhandlungen neben dem damaligen CIA-Direktor George Tenet, seinem Stellvertreter John McLaughlin und dem Chefberater des Geheimdienstes Scott Muller auch drei führende Regierungsmitglieder eingeschaltet: der damalige Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, sein Unterstaatssekretär Stephen Cambone und Albert Gonzales, ein enger Vertrauter von Bush und vor seiner Zeit als US-Justizminister (2005-2007) Rechtsberater des Präsidenten. In dem Memo fordert Zelikow eine Untersuchung des Falles. Damit soll geklärt werden, ob die CIA rechtswidrig gehandelt habe.

Mögliche gerichtliche Untersuchung des Vorgangs

Laut US-Bundesrecht macht sich strafbar, wer „wissend und vorsätzlich“ Information vor einer Untersuchungskommission zurückhält oder den Ermittlern gegenüber falsche Angaben macht. Die jüngsten Enthüllungen legen den Verdacht nahe, dass mit der Vernichtung der Bänder nicht nur Beweise für die Misshandlung und Folter von Gefangenen, sondern auch Material vernichtet werden sollte, das der regierungsoffiziellen Darstellung der Anschläge vom 11. September und ihrer Hintergründe zuwiderläuft. Verschiedenen Quellen, wie etwa dem amerikanischen Autor Gerald Posner, zufolge soll Zubayda in den Verhören die Beteiligung des pakistanischen Geheimdienstes und von Mitgliedern der saudischen Königsfamilie an der Planung der Anschläge vom 11. September offenbart haben.

Inzwischen hat sich der Bezirksrichter des Distrikts Columbia, Henry Kennedy, eine Entscheidung über eine mögliche gerichtliche Untersuchung des Vorgangs vorbehalten. Nach der von ihm geleiteten Anhörung von Verteidigern von Guantànamo-Gefangenen und der Regierung sagte der Richter, er werde die Argumente für und gegen eine gerichtliche Untersuchung erwägen. Mit der Anhörung hatte sich Kennedy über das Drängen des Justizministeriums hinweggesetzt, den Fall abzulehnen. Dieses hatte argumentiert, eine gerichtliche Untersuchung würde die laufenden Untersuchungen des Justizministeriums und der CIA gefährden.

Bei der Anhörung ging es um die Frage, ob die Bush-Regierung gegen die Anordnung Kennedys vom Juni 2005 verstoßen hat, die Videobänder nicht zu vernichten, und damit mögliche Beweise vernichtet hat. Kennedy hatte 2005 während einer Verhandlung über die Haftbedingungen in Guantánamo gefordert, dass alle Beweise und Informationen über Folter und Misshandlungen in dem Gefangenenlager auf Kuba aufbewahrt werden müssten. Fünf Monate später vernichtete die CIA die Bänder – laut CIA-Chef Michael Hayden, um die Ermittler, die auf den Bändern zu identifizieren gewesen seien, vor möglichen Racheakten zu schützen. Naheliegender ist jedoch der Verdacht, die CIA habe mit den Aufnahmen mögliche Beweise für die Misshandlung oder gar Folter von Gefangenen beseitigen wollen.

Das Weiße Haus reagiert nervös

Die Bush-Regierung reagiert auf die täglich neuen Enthüllungen mit wachsender Nervosität. In einem internen Memo an CIA-Mitarbeiter hatte CIA-Chef Hayden am 6. Dezember behauptet: „Die Entscheidung zur Vernichtung der Bänder wurde von der CIA selbst getroffen.“ Präsident Bush will erst vor kurzem sowohl von der Existenz der Bänder als auch von ihrer Vernichtung erfahren haben. Darüber hinaus verweigert das Weiße Haus unter Verweis auf laufende Untersuchungen des Justizministeriums und der CIA jede weitere Auskunft.

Während Regierungsbeamte versicherten, das Weiße Haus habe mit der Zerstörung der Bänder nichts zu tun, berichtete die New York Times am 19. Dezember, dass an den Diskussionen, die der Vernichtung der Bänder vorausgegangen waren, mindestens vier Top-Juristen des Weißen Hauses teilgenommen hatten: Der bereits genannte Alberto Gonzales; David Addington, früherer Rechtsberater und derzeitiger Stabschef von Vize-Präsident Dick Cheney; Harriet Miers, nach Gonzalez’ Ernennung zum Justizminister Rechtsberaterin des Weißen Hauses; und John Bellinger III, der Top-Jurist des National Security Council. Alle vier wirkten als engste Berater des Präsidenten und des Vize-Präsidenten. Gonzales und Addington spielten darüber hinaus bekanntlich eine zentrale Rolle bei den Bemühungen der Bush-Regierung, durch die willkürliche Interpretation von Gesetzen das Folterverbot auszuhebeln und den Präsidenten mit nahezu dikatorischen Vollmachten auszustatten.

Es ist daher mehr als unwahrscheinlich, dass Bush und Cheney über die zwischen ihren Mitarbeitern und der CIA diskutierten kriminellen Machenschaften im Dunkeln gelassen wurden. Mit dem Untertitel “White House Role Was Wider Than It Said auf den Punkt“ brachte die New York Times diesen Sachverhalt auf den Punkt – und das Weiße Haus auf die Palme.

Von diesem öffentlich zu einer Korrektur1 aufgefordert, beugte sich das einstmals liberale US-Vorzeigeblatt einem Akt knechtischer Unterwürfigkeit dem Druck aus Washington und korrigierte den Beitrag wunschgemäß auf seiner Internetseite.

Mitwisser auch unter Kongressabgeordneten

Weniger Erfolg hatte die Bush-Administration bei ihren Bemühungen, eine Untersuchung des Kongresses zu verhindern. Ein Untersuchungsausschuss des US-Repräsentantenhauses hat inzwischen eine Vorladung für den früheren CIA-Mitarbeiter Jose Rodriguez ausgestellt, der die Vernichtung der geheimen Foltervideos beaufsichtigt haben soll. Rodriguez hatte hierfür von Anwälten des Geheimdienstes grünes Licht bekommen, während der CIA-Chefjurist John Rizzo, von dieser Entscheidung erst nachträglich erfahren haben will. Dem früheren Leiter des National Clandestine Service der CIA könnte womöglich die undankbare Aufgabe des Bauernopfers zufallen.

Zwei frühere hochrangige CIA-Mitarbeiter haben Rodriguez in der britischen Zeitung Times inzwischen entlastet. Beide halten es für schlicht unmöglich, dass Rodriguez auf eigene Faust gehandelt hat. „Es sieht zunehmend danach aus, dass die Entscheidung vom Weißen Haus getroffen wurde“, sagte einer der beiden.

Doch nicht nur das Weiße Haus steht in der öffentlichen Kritik. Von der Existenz der Verhörvideos und den Plänen der CIA, diese zu vernichten, haben laut US-Medien frühzeitig auch führende Mitglieder der Geheimdienstausschüsse von Senat und Repräsentantenhaus gewusst. Protestiert hat dagegen einzig die demokratische Abgeordnete Jane Harman, doch auch sie unterließ es, die Öffentlichkeit über die Absichten der CIA zu informieren. Lange zuvor hatten die für die Überwachung der Geheimdienste zuständigen Abgeordneten bereits dem CIA-Folterprogramm zugestimmt, einige von ihnen sollen die CIA sogar zu einem noch härteren Vorgehen angespornt haben, wie die Washington Post am 9. Dezember unter Berufung auf Regierungsbeamte berichtete.