Journalisten: Geheimnisträger zweiter Klasse

Ist durch die Vorratsdatenspeicherung die Pressefreiheit in Gefahr?

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Die Journalistenverbände jammern, das jetzt in Kraft getretene Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung degradiere sie zu "Berufsgeheimnisträgern zweiter Klasse", "kastriere" die Pressefreiheit, unterhöhle den Informantenschutz und lasse die Quellen versiegen. Wahr ist das nicht unbedingt - und die notwendigen Konsequenzen zieht auch kaum jemand.

Der Informantenschutz war der Obrigkeit schon immer ein Dorn im Auge und musste immer wieder - bis in die jüngste Zeit - erkämpft werden. Wer sich auf gesetzliche Garantien verlässt, verkennt das grundlegende Problem: Der juristische Schutz derjenigen, die die Presse über Interna informieren, ist prinzipiell löchrig, nur sehr vage formuliert und wird sich niemals so festklopfen lassen, dass Informationen unbelauscht oder ungefiltert fließen können. Die Strategie der Medienverbände, auf ihre vermeintlichen bisherigen Privilegien als "Berufsgeheimnisträger" zu pochen, ist daher verfehlt und wird langfristig scheitern. Journalisten interessierten sich ohnehin bisher oft nur mäßig für das Thema Vorratsatenspeicherung.

Die so genannten Geheimnisträger scheinen keine Geheimnisse zu haben

Die beiden konkurrierenden Verbände der Zeitungsverleger BDZV und VDZ beklagen, dass bei Journalisten "nur im Einzelfall eine Verhältnismäßigkeitsprüfung erfolgen" solle, falls ihre Verbindungsdaten abgerufen werden sollen, im Gegensatz zu Abgeordneten, Geistlichen und Strafverteidigern, deren Daten für staatliche Lauscher relativ tabu sind. Kein Informant werde künftig noch reden, wenn Telefonnummer, E-Mail-, IP-Adresse und seine Standortdaten ebenso erfasst würden wie auch Zeitpunkt und Dauer des Kontakts.

Aber haben die Informanten bisher ihre Geheimnisse per elektronischer Postkarte verschickt? Die Gesetzeslage ist seit zwei Jahren eindeutig: Nach § 110 des Telekommunikationsgesetzes und der Telekommunikation-Überwachungsverordnung müssen alle größeren Provider Schnittstellen zum Abhören und Mitschneiden von E-Mails in Echtzeit bereitstellen. Die Inhalte der Kommunikation sind also kein Geheimnis mehr, da die deutschen Journalisten sich in der Regel weigern, ihre E-Mails zu verschlüsseln oder ihren Informanten das zu ermöglichen. Die so genannten Geheimnisträger scheinen keine Geheimnisse zu haben.

Sogar die selbst ernannten Investigativ-Päpste von Netzwerk Recherche machen keine Ausnahme: Die Vorzeige-Journalisten Dr. Thomas Leif, Chefreporter beim SWR Mainz, und Hans Leyendecker, Leitender Redakteur der Süddeutschen Zeitung, nutzen E-Mail noch wie zu Zeiten des guten alten Bakelit-Telefons. Auch die Redaktion von Cicero scheint trotz der Durchsuchung und Beschlagnahme von Dokumenten unbelehrbar: Wollte man dort Geheimnisse ausplaudern, ist man auf elektronischem Weg weiterhin ungeschützt.

Die Financial Times meint es gut und empfiehlt sogar Anonymisierungsdienste, aber die Ratschläge zur E-Mail-Kommunikation sind bloßer Unfug und nicht praktikabel. Von Verschlüsselung scheint man noch nie etwas gehört zu haben. Der in Brüssel arbeitende Journalist Detlef Drewes und Kinderschutz-"Experte" sagte in einer Zapp-Sendung, er müsse jetzt immer öfter das Auto benutzen, da in Belgien die Vorratsdatenspeicherung schon Realität sei; die Quellen für Journalisten versiegten. "Die Mauer wird auf Seiten der Informanten gezogen" und die Informanten zögen sich zurück aus Angst. Das darf getrost bezweifelt werden: Auch für potenzielle Whistleblower in Behörden gäbe es "im Notfall" Internet-Cafes, private Rechner für Anonymisierungsdienste und Verschlüsselung oder die Möglichkeit, E-Mails anonym zu schicken.

Gerd Appenzeller schreibt im Tagesspiegel: Journalisten "konnten bisher wegen der garantierten Vertraulichkeit ihrer Arbeit darauf bauen, dass ihre Kommunikationswege geschützt waren". Das ist eine Zwecklüge und angesichts der zahlreichen Durchsuchungen von Redaktionen in den letzten Jahren ein wenig realitätsfremd: Was nützt das Redaktionsgeheimnis freien Journalisten, was nützt es den Informanten, wenn ihre E-Mails ohnehin vorher gelesen werden? Wer kann garantieren, dass Informationen auf dem Rechner eines Journalisten bleiben und nicht beschlagnahmt werden, auch wenn das im Nachhinein für rechtswidrig erklärt wird?

Informanten konnten bisher, nutzten sie das Internet nicht professionell, mitnichten darauf vertrauen, dass etwas geheim blieb. Wer erst jetzt - angesichts der Vorratsdatenspeicherung - meint, die Pressefreiheit in Gefahr zu sehen, muss sich fragen lassen, ob erst ein Verbot der Verschlüsselung kommen muss, dass Journalisten sich um die Sicherheit ihrer Daten und die ihrer Informanten sorgen.

Der Staat ist immer daran interessiert gewesen, wer mit wem worüber kommuniziert

Das Problem des Informantenschutzes gab es schon, seitdem man von freier Presse reden kann. Die Vorratsdatenspeicherung gießt unter dem Vorwand des Kampfes gegen den Terrorismus eine deutsche Tradition in Gesetzesform, in die sich sowohl die rot-grüne als auch die jetzige Regierung gestellt haben:

Der Staat ist immer daran interessiert gewesen, wer mit wem worüber kommuniziert hat. Auch die juristischen Argumente pro und contra Abhören, Belauschen und Protokollieren der Kontakte von Journalisten sind seit 200 Jahren vergleichbar. Bis Mitte des 18. Jahrhunderts musste in Deutschland sogar mit Folter rechnen, wer Angaben über "die Herkunft von Druckschriften" in seinem Besitz verweigerte, schreibt Wolfgang Schimmel in Das Redaktionsgeheimnis.

Nach der Abschaffung der Zensur im Gefolge der Revolution 1848 blieb der Zeugniszwang das einzige und beste Mittel für die Obrigkeit, um sich mit der Presse anzulegen. Schon im 19. Jahrhundert diente die erzwungene Aussage von Journalisten als Repressionsinstrument, "undichte Stellen" aufzuspüren und diese einzuschüchtern. Der juristisch durchsetzbare Zwang, etwas über die Informanten der Presse zu erfahren, war "der gewissermaßen generalpräventive Versuch, Kritik an den bestehenden Zuständen durch Einschüchterung zu verhüten". "Zeugniszwang" - wer mit wem geredet hat - ist also nur ein altmodisches Wort für Vorratsdatenspeicherung.

Dirk Dunkhaase hat in seinem vor einem Jahrzehnt erschienenen Standardwerk "Das Pressegeheimnis" zahlreiche historische Beispiele dokumentiert. Zur Kaiserzeit ging die Justiz 1875 gegen die "Frankfurter Zeitung und Handelsblatt" vor. Nicht nur vier Redakteure wurden verhaftet, sondern auch der Verleger Leopold Sonnemann, Reichstagsabgeordneter der "Deutschen Volkspartei". Sonnemann hatte sich bei der Beratung des Reichspressegesetzes ein Jahr zuvor davor eingesetzt, den Zeugniszwang ganz abzuschaffen. Auch das Argument, der Zwang, die Informanten preiszugeben, sei notwendig, um die Täter schwerer Straftaten zu ermitteln, wurde schon bei den Beratungen zum Reichspressegesetz immer wieder debattiert - ähnlich wie heute.

In der Verfassung der Weimarer Republik kam die Pressefreiheit gar nicht vor. Die "freie Meinungsäußerung" war zwar allgemein geschützt, "innerhalb der Schranken der allgemeinen Gesetze", was das konkret bedeutete, war in der Rechtsprechung heftig umstritten. Berüchtigt war der so genannten "Diktaturvorbehalt" von Artikel 48 II: Der Reichspräsident durfte, "wenn im Deutschen Reiche die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet wird", die wesentlichen Grundrechte außer Kraft setzen, darunter auch die Meinungsfreiheit nach Artikel 118 sowie den Artikel 117: "Das Briefgeheimnis sowie das Post-, Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis sind unverletzlich."

Erstmalig gewährleistete die Strafprozessordnung von 1926 (§ 53 StPO) ein Zeugnisverweigerungsrecht für "Redakteure, Verleger und Drucker einer periodischen Druckschrift sowie die bei der technischen Herstellung der Druckschrift beschäftigten Personen über die Person des Verfassers oder Einsenders einer Veröffentlichung strafbaren Inhaltes." Die Formulierung hatte zwei nicht unwesentlichen Haken: Unveröffentlichte Artikel fielen nicht unter das Zeugnisverweigerungsrecht, und der Journalist durfte nur dann über seine Informanten schweigen, wenn der Artikel strafbar war, nicht jedoch, wenn nur der Verdacht der Strafbarkeit bestand.

Schon in den Jahren vor der nationalsozialistischen Machtergreifung wurde die Pressefreiheit durch immer weitere Gesetze ad absurdum geführt; Zensur war fast an der Tagesordnung - allein 1931 wurden in Preußen 227 Zeitungen verboten. Die "Verletzung des Dienstgeheimnisses", der heutige § 353b des StGB, wurde aber erst von den Nationalsozialisten 1936 eingeführt und mit Strafe bedroht. Das Zeugnisverweigerungsrecht und auch der rudimentär vorhandene Beschlagnahmeschutz blieben während des Nationalsozialismus in Kraft; da aber keine freie Presse existierte, war das reine Theorie.

In der Nachkriegszeit stellte erst das Dritte Strafrechtsänderungsgesetz (der neue § 53 I StPO) aus dem Jahr 1953 die Journalisten etwas besser als die alte Fassung aus dem Jahr 1926: Der Kreis der Personen, die über ihre Informanten schweigen durften, wurde erweitert, auch Rundfunkmitarbeiter fielen darunter, und freie Journalisten – Verfasser und Einsender von Artikeln. Absurd war jedoch das Vorschrift, dass nur die Person des Informanten verschwiegen werden durfte. Auf Verlangen der Justiz musste der Journalist den Inhalt der Information preisgeben. Bis heute ist jedoch der Informant dem Journalisten völlig ausgeliefert: Allein der Angehörige der Presse entscheidet, ob er gegenüber der Justiz schweigt. Eine juristisch fixierte Schweigepflicht wie die der Geistlichen, Psychologen, Rechtsanwälte und der Ärzte nach § 203 des Strafgesetzbuches existiert nicht.

Erst das Spiegel-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom August 1966 begründete das "Redaktionsgeheimnis" so, dass es als Bestandteil der Pressefreiheit relativ eindeutig definiert war. Darin heißt es, dass die Presse für die moderne Demokratie unentbehrlich sei, weil der Bürger, wolle er politische Entscheidungen treffen, "umfassend informiert" sein müsse. Er müsse aber auch die Meinungen kennen und gegeneinander abwägen können, die andere sich gebildet haben. Die Presse beschaffe die dazu nötigen Informationen und wirke als "orientierende Kraft". Geschützt werden sollen laut Bundsverfassungsgericht alle "der typischen Pressearbeit zuzurechnenden Verhaltensweisen", das heißt: Informationen zu beschaffen, diese und auch Meinungen zu verbreiten. Das BVerfG hat in seinem damaligen Urteil den Schutz des Redaktionsgeheimnisses sowie den Informantenschutz ausdrücklich genannt.

Das Redaktionsgeheimnis umfasse, so fasst es Dunkhase zusammen, die gesamte interne Vertraulichkeitssphäre der Medien - die Unterlagen der Medienmitarbeiter, das Pressearchiv und das innerhalb der Redaktion Gesprochene. "Der Informantenschutz bezieht sich nach außen hin auf den Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Journalisten und den Personen, die ihm Mitteilungen für seine Veröffentlichung machen." Es sind also nicht die Medien insgesamt und ihre "Geheimnisse" geschützt, sondern nur das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Journalisten und ihren Informanten.

Aus dieser Definition erklärt sich der "Strafprozessuale Pressegeheimnisschutz" nach § 53 Absatz 1 Nr. 5 der Strafprozessordnung, der im wesentlichen schon 1974 formuliert wurde:

Zur Verweigerung des Zeugnisses sind ferner berechtigt (...) Personen, die bei der Vorbereitung, Herstellung oder Verbreitung von Druckwerken, Rundfunksendungen, Filmberichten oder der Unterrichtung oder Meinungsbildung dienenden Informations- und Kommunikationsdiensten berufsmäßig mitwirken oder mitgewirkt haben.

Wie viel Macht hat die Obrigkeit über die Untertanen?

"Die Presse" und ihre Informanten mögen juristisch geschützt sein, die Gerichte maßen sich aber nicht an zu definieren, wer Journalist ist und wer nicht. Sie überlassen es den Journalisten-Organisationen, die sich aber gegenseitig erbittert befehden und sich nicht über die Kriterien des Berufes einigen können (Presseausweis kaputt).

Das "Berufsmäßige" im Zeugnisverweigerungsrecht ist zu vage formuliert, als dass daraus eindeutige Kriterien abgeleitet werden könnten. Die juristische "Bibel" und Kommentar zum Presserecht, "der Löffler", formuliert:

Berufsmäßig vollzieht sich eine Tätigkeit dann, wenn sie in der Absicht geschieht, daraus durch wiederholte Ausübung eine dauernde oder doch wiederkehrende Beschäftigung zu machen, ohne dass es auf die Entgeltlichkeit der Tätigkeit ankommt. Erforderlich ist allerdings die Absicht der Wiederholung; ist sie indes gegeben, so kann schon eine einzige Handlung im konkreten Fall für das Erfordernis der Berufsmäßigkeit genügen. die Berufsmäßigkeit der Mitwirkung bei Presse und Rundfunk erfordert ebensowenig, dass sie gewerbsmäßig, d.h. mit der Absicht der Gewinnerzielung ausgeübt wird.

S. 1005 zu § 23 LPG

Die bei Journalisten-Organisationen beliebte Klausel der so genannten Hauptberuflichkeit ist also keine juristisch abgesichertes Merkmal, sondern dient nur dem Schutz der eigenen Pfründe.

In der gegenwärtigen Rechtssprechung ist man sich aber nicht einig: Die Pressefreiheit ist ein Grundrecht und steht jedermann zu, also auch Schriftstellern, Bloggern und Flugblattschreibern; das Zeugnisverweigerungsrecht hat sich aber zu einem Berufsstandsprivileg entwickelt. In der Praxis lässt sich kaum auseinander halten, wer "Presse" ist und journalistisch arbeitet und wer nicht.

Daher ist auch die Bestimmung im Entwurf zum Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG nicht eindeutig. Man spricht von "Medienarbeitern", als sei man sich des Dilemmas bewusst, "die Presse" nicht mehr exakt bestimmen zu können. Im Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung heißt es wörtlich:

Ein genereller Vorrang der schutzwürdigen Interessen von Journalisten vor dem öffentlichen Strafverfolgungsinteresse lässt sich hingegen, wie das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich festgestellt hat, verfassungsrechtlich nicht begründen.

Das ist wahr, aber wiederholt nur das Argument, das seit 200 Jahren bekannt ist: Die Interessen der Pressefreiheit müssten den Interessen der Strafverfolgung untergeordnet werden.

Kommentatoren des Presserechts sind sich einig, dass der augenblickliche Rechtszustand unbefriedigend sei. Es bestehe "erheblicher Reformbedarf". Aus dem allgemeinen Schutz der Presse kann nur das allgemeine Ziel abgeleitet werden, nicht aber direkt die Details und die geseztliche Ausgestaltung - wer zu Presse gehört, wer abgehört werden darf, wessen Daten wie geschützt sind, welche Geheimnisse den staatlichen Lauschern verborgen bleiben müssen.

Der gesellschaftliche Streit um das Recht auf Privatsphäre dauert also schon an, seitdem es die Presse gibt. Wenn das Bundesverfassungsgericht die Vorratsdatenspeicherung für nichtig erklären würde, wäre der nächste Versuch einer beliebigen Regierung, die Bürger und die Presse unter dem Vorwand, "schwere Straftaten" verhindern zu müssen, einzuschüchtern und auszuspionieren, schon vorprogrammiert.

Journalisten, die nur den scheinbar bequemen Status qua ante wiederherstellen wollen, haben nicht begriffen, dass es um eine zentrale Frage der Demokratie geht – die Machtfrage: Wie viel Macht hat die Obrigkeit über die Untertanen? Und diese Frage muss immer wieder neu beantwortet werden.