Von blonden blauäugigen und dunkelhäutigen Deutschen

Die Debatte um Jugendkriminalität wurde längst ethnisiert

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Auch im neuen Jahr geht der Streit über den Umgang mit der Jugendgewalt zwischen der Union und der SPD weiter. Das Thema dürfte in den nächsten Wochen an Intensität zunehmen. Denn vor den anstehenden Landtagswahlen in Hessen, Niedersachsen und Hamburg scheint die Union damit ein Thema gefunden zu haben, mit dem sie die SPD in die Defensive bringt. So war es kein Wunder, dass Hessens Ministerpräsident Roland Koch die Debatte lostrat, als die Umfragen für ihn alarmierende Ergebnisse zeigten. Mit dem Verlust der absoluten CDU-Mehrheit in Hessen hat sich die Union schon abgefunden. Dass aber selbst ein Bündnis zwischen Union und FDP unter 50% bleiben könnte, war denn doch ein Warnsignal. Zumal die hessische SPD auch noch mit einer Unterschriftensammlung für die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns einen wunden Punkt der Union traf. Denn die Forderung, die vom mächtigen Wirtschaftsflügel der Partei abgelehnt wird, ist bei der Unionsbasis durchaus nicht so unpopulär.

Koch, dem nachgesagt wird, 1999 seinen Wahlsieg vor allem mit einer Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft errungen zu haben, verlegte sich auf Gegenmaßnahmen. Zunächst brachte er ein Burka-Verbot an Hessens Schulen in die Diskussion. Das aber wollte nicht so recht ziehen, weil in dem Bundesland bisher keine Frau eine Ganzkörperverschleierung in der Schule trug.

Nachdem aber der Überfall von betrunkenen Jugendlichen auf einen Rentner in der Münchner U-Bahn für Schlagzeilen sorgte, hatte Koch endlich sein Thema gefunden. Tatsächlich war seitdem die SPD-Kampagne für Mindestlöhne weitgehend aus den Medien verschwunden. Ob sich das nach dem offiziellen Start der Kampagne ändert, wird sich zeigen. Zumindest hatte das Thema innere Sicherheit das Thema der sozialen Sicherung in den letzten Tagen erfolgreich verdrängt.

Wahlkampfplakat zur vorwiegend auf Jugendkriminalität ausgerichteten Sicherheitskampagne der CDU Hessen: "Nur mit der CDU bleibt Hessen sicher.". Bild: www.roland-koch.de

Härte gegen kriminelle Jugendliche

Dabei wird die Kampagne auf zwei Ebenen geführt. Einmal wird unterstellt, dass mit renitenten Jugendlichen generell zu milde umgangen wird. In diese Richtung geht die Kampagne zur Abschaffung des Jugendstrafrechts. Die Idee wurde schon vor zwei Jahren vom damaligen Hamburger Justizsenator Roger Kusch in die Diskussion gebracht. Damals allerdings wurde der Vorschlag auch noch von liberalen Teilen der Union und vielen Juristen abgelehnt. Das Jugendstrafrecht, so die Argumentation, stelle keinesfalls eine Straffreiheit für Heranwachsende dar, sondern soll gerade verhindern, dass sie weiter in die Kriminalität getrieben werden. Kusch ist mittlerweile aus der Union ausgetreten und hat eine rechtskonservative Partei gegründet, die neben der Sterbehilfe härtere Strafen für Jugendliche zum zentralen Programmpunkt erhoben hat.

Während vor zwei Jahren die ablehnenden Töne auch in den Medien überwogen, sind sie beim aktuellen Vorstoß wesentlich schwächer zu vernehmen. Damit wird wieder einmal das Phänomen deutlich, dass eine Forderung, die anfangs mit Empörung abgelehnt wurde, wenn sie nur immer wieder in die Diskussion eingebracht wird, an Akzeptanz gewinnt.

Dass dabei immer aktuelle Vorfälle als Anlass für eine solche Kampagne genommen werden, soll sie für das Publikum plausibler machen. Dabei wird oft gar nicht mehr nachgefragt, ob die Jugendgewalt wirklich zugenommen hat und ob die Überfälle insgesamt brutaler geworden sind. Es reicht schon, wenn die Boulevardpresse sich auf eine Fährte setzt und jetzt jeden Vorfall als Zeichen für eine stetig zunehmende Gewalt herausstreicht, der sonst auf den Lokalseiten unter Vermischtes vermeldet worden wäre. Wichtig ist dabei nur, dass die mediale Inszenierung aufgeht und sich große Teile der Bevölkerung unsicherer fühlen. Dann fallen Vorschläge von Koch automatisch auf fruchtbaren Boden.

Ethnisierung der Täter

Doch die Debatte hat neben der Klage über zunehmende Jugendkriminalität noch eine weitere Ebene. "Wir haben zu viele kriminelle junge Ausländer", klagte Koch in der Springerpresse. Es wird suggeriert, dass Jugendliche mit Migrantenhintergrund dafür sorgen, dass sich deutsche Staatsbürger nicht mehr sicher fühlen können (Vom Schüren der Ausländer- und von der Beschwörung der Inländerfeindlichkeit).

Das wird bei den jüngsten Äußerungen der CSU-Generalsekretärin Christine Haderthauer deutlich. Jugendliche wie die "ausländischen Heranwachsenden", die den Rentner in der Münchner U-Bahn überfallen haben, seien „keine Menschen, auf die sie mit Erziehung einwirken können“. Hier wird das Bild vom deutschen Rentner den „ausländischen Jugendlichen“ gegenübergestellt. Wie lange die Jugendliche in Deutschland lebten, ob sie überhaupt Kontakte zum Herkunftsland ihrer Eltern hatten, spielt dann keine Rolle mehr. Es handelt sich dann eben bei den Tätern um einen „17-jährigen Griechen und ein 20-jährigen Türken", wie Haderthauer in einer Presseerklärung zu Äußerungen von Georg Schmid, dem Vorsitzenden der CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag, schreibt.

Bei einem neuen gewalttätigen Vorfall in einer Münchner U-Bahn wurden ein Serbe, ein Kroate und ein Deutscher als Täter genannt. Es gab einmal eine Zeit, in der sich seriöser Journalist dadurch auszeichnete, dass er ethnische Zuschreibungen von Beschuldigten, denn das sind sie bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung, vermieden hat. Auch dieses Prinzip scheint schon lange nicht mehr zu gelten.

Die Folgen sind aber deutlich. Ausländerfeindliche Angriffe der letzten Tage wurden ebenso auf die Lokalseiten verbannt, wie der Suizid eines Abschiebehäftlings in Berlin. Gewalt von Deutschen wie in Leipzig oder Gewalt gegen Nichtdeutsche verlieren an Interesse, wenn medienträchtig jahrelang in Deutschland lebende oder auch hier geborene Jugendliche als ausländische Täter vorgeführt werden.

Wenn Opfer provozieren

Dass ein Opfer, wenn es nicht deutsch aussieht, immer auch verdächtigt wird, zeigt der Überfall auf Ermyas S. im April 2006 in Potsdam. Zwar ist unbestritten, dass der deutschen Staatsbürger äthiopischer Herkunft schwer verletzt wurde. Aber trotzdem bleibt das Opfer für viele Medien mitschuldig, weil Ermyas R. die Täter unter Umständen dadurch provozierte, dass er sie als Rassisten bezeichnet hatte.

In diesem Zusammenhang war auch Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble wegen seiner Äußerung, „es werden auch blonde, blauäugige Menschen Opfer von Gewalttaten, teilweise von Tätern, die möglicherweise nicht die deutsche Staatsbürgerschaft haben", in die Kritik geraten. Zum Zeitpunkt des Statements rang der deutsche Staatsbürger mit dunkler Hautfarbe und Rastahaaren noch in der Intensivstation mit dem Tode. Ein Vergleich mit dem Überfall in der Münchner U-Bahn ist also gar nicht so weit hergeholt. Aber wäre ein Innenminister noch lange im Amt, der darauf hingewiesen hätte, dass täglich auch Menschen mit dunklen Haaren und dunkler Haut, teilweise von Menschen mit deutschen Pass, geschlagen und schwer verletzt werden? Gab es Medien, die dem Rentner in München eine Mitschuld an dem Überfall gaben, weil er ja die Jugendlichen mit seiner Aufforderung, die Zigaretten auszumachen, „provoziert“ haben könnte?