Verdächtige Mikroexpressionen

An 50 Flughäfen suchen Sicherheitsangestellte nach verdächtigem Verhalten bei Passagieren, 70000 Menschen wurden deswegen schon verstärkt kontrolliert, einen mutmaßlichen Terroristen hat man nicht gefunden

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An den 50 Flughäfen in den USA werden nicht nur Passagiere und Gepäck untersucht und durchleuchtet, ob sie irgendwelche verbotenen Dinge mit sich führen. Man ist zwar noch nicht so weit, dass man in den Kopf der Menschen aus der Entfernung hineinschauen kann, wozu man seit dem 11.9. gerne die entsprechenden Techniken entwickeln würde, aber man auch mit "intelligenten" Videoüberwachungssystemen und mit dem menschlichen Blick Personen aufspüren, die sich irgendwie anormal verhalten und dadurch in Verdacht geraten.

Seit 2002 wurde mit einem Programm begonnen, das den Namen "Screening Passengers by Observation Techniques" trägt. Wie so oft hat man es auch geschafft, die Abkürzung bedeutungsschwer zu machen: SPOT. Erste Tests hat die Transportation Security Administration 2004 an Flughäfen durchgeführt, jetzt gibt es Teams von ausgebildeten Personenbeobachtern an den größeren Flughäfen, die das Verhalten von Passagieren nach verdächtigen Zeichen prüfen (An US-Flughäfen wird nach verdächtigem Verhalten gesucht). Offiziell bekannt gegeben wurde SPOT allerdings erst 2006.

Natürlich haben Zöllner und Grenzpolizisten schon immer nach solchen verdächtigen Zeichen Ausschau gehalten – und natürlich standen dabei auch immer bestimmte Personengruppen in der Zielrichtung. Wer früher längere Haare hatte und in einem nicht sonderlich schicken Auto fuhr, durfte mit einer gründlicheren Durchsuchung rechnen. Ein bisschen anders angezogen, einen besseren Wagen oder gar noch ein kleines Kind dabei, dann fiel man aus dem Raster raus. Ausländer aus bestimmten Ländern waren immer bevorzugtes Ziel. Aber SPOT soll gerade diese Verbindung zwischen Person (Kleidung, Aussehen, Herkunft, Ethnie) und Verdacht durchbrechen, schließlich darf in den USA kein "racial profiling" stattfinden, also eine verstärkte Überprüfung etwa von arabisch aussehenden jungen Männern.

Um also zu vermeiden, dass man schon allein aufgrund seines Erscheinens, seiner ethnischen Herkunft oder seiner Religion besonders geprüft wird, sollen SPOT-Leute auf bestimmte "unwillkürlichen körperlichen und physiologischen Reaktionen" achten, die darauf schließen lassen, dass Personen Angst haben, entdeckt zu werden. Das, so beruhigt die TSA, bedeute nicht automatisch, dass man schon "terroristische oder kriminelle Absichten" habe, aber man werde dann sicherheitshalber genauer überprüft. Welche Zeichen jemanden verdächtig machen, wird allerdings nicht verraten, schließlich mit SPOT den Sicherheitsüberprüfungen ein "Element der Unvorhersagbarkeit" hinzugefügt werden, dass die Bösen nicht manipulieren können.

Bekannt ist, dass vor allem die Gesichter nach kleinsten Veränderungen des Gesichtsausdrucks abgesucht werden, so genannten microfacial expressions, die sich nur sehr kurz (angeblich 1/25 Sekunde) sehen lassen. Die Theorie stammt von dem Psychologen Paul Ekman, der ein Klassifikationssystem für emotionale Gesichtsausdrücke ausgearbeitet. Die 43 Gesichtsmuskeln können an die 10.000 unterschiedliche Gesichtsausdrücke erzeugen, von denen nach Ekman 3.000 bedeutsam sein sollen. Dumm ist freilich nur, dass Ekman eine DVD vertreibt, mit der auch Menschen mit bösen Absichten sich für die Erkennung von verräterischen Mikroexpressionen trainieren und so vielleicht lernen können, sie selbst zu vermeiden (TSA setzt auf Sicherheitskräfte zur Verhaltenserkennung).

Carl Maccario, der für das Programm bei der TSA zuständig ist, erklärt, dass normalerweise ein kurzes Gespräch mit einem Passagier über dessen Reise geführt wird. Gestellt werden Fragen wie "Wie geht es Ihnen heute?" oder "Gehört Ihnen das alles?" Es sei eigentlich egal, was gefragt wird, wichtiger seien die Reaktionen: "Wenn jemand lügt und versucht zu täuschen, dann gibt es Verhaltenssignale, die das zeigen … Ein kurzes Aufflackern von Angst." Wer verdächtig wirkt, wird noch einmal näher überprüft. Angeblich werde bei der Erekennung der typische Stress von Passagieren berücksichtigt. Normale Menschen, die ängstlich sind, würden "sehr viel offener mit ihren Körperbewegungen und Gesichtsausdrücken" sein als ein Terrorist, der etwas plant.

Und Maccario versichert, dass die Beobachtung nicht subjektiv erfolge und deswegen auch nichts damit zu tun habe, woher man komme, schließlich gebe es auch kein "verlässliches Bild eines Terroristen". Tatsächlich ist offenbar manchen Muslimen, wie Naseem Tuffaha vom American Arab Anti-Discrimination Committe in Seattle, SPOT lieber, weil zumindest versucht wird, nur auf Verhalten und nicht auf Aussehen oder Herkunft zu achten. Wenn man aber, so Tuffaha, dann doch wieder nur bei arabischen Menschen genauer hinschaut, sei es auch nichts anderes. Und John Reinstein von der Bürgerrechtsorganisation ACLU meint wohl zu Recht, dass man Verhaltensmerksmerkmale gerne dann findet, wenn man nach ihnen sucht.

Seit 2006 hätten so die Verhaltenserkennungs-Offiziere (BDOs) 70.000 Personen zu einer weiteren Kontrolle geschickt. Davon seien zwischen 600 und 700 aus unterschiedlichen Gründen wie Drogen- oder Waffenbesitz oder Haftbefehle festgenommen worden. Ob ein mutmaßlicher Terrorist entdeckt worden ist, wollte Maccario nicht sagen.