Alles. Bleibt. Besser.

Ungewöhnliche Trennung: Wie Spiderman und Frau doch noch entheiratet wurden

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Seit 1987 waren Peter Parker, Spiderman und Mary Jane Watson-Parker verheiratet. Nach Lois und Clark waren die beiden das Vorzeigeehepaar in amerikanischen Comics. Ihre Ehe überlebte zahllose Superschurken, eine schwere Zigarettensucht, einen Flugzeugabsturz, telepathische Einflüsterungen, einen geklonten Ehepartner, ein verschwundenes Baby, mehrere feinselige Chefredakteure. Jetzt ging die Ehe doch zum Teufel. Was ist da passiert?

„You must remember this, a kiss is just a kiss, the fundamental things apply, as time goes by...

Im Lauf der Miniserie Civil War hatte sich Spiderman im Fernsehen demaskiert. Die Welt (und natürlich alle seine Feinde) wussten, wer er war. So etwas bleibt nicht folgenlos: eine Kugel eines Heckenschützen, den der Kingpin engagiert hatte, traf anstelle von Peter seine gebrechliche Tante May ... ein völlig desolater Spiderman war bereit, alles - wirklich alles - zu tun, um zu verhindern, dass nach seinem Onkel auch noch seine Tante durch seine Schuld stirbt. Sogar einen Pakt mit dem Teufel, Mephisto, wie der im Marvel-Universum heißt.

Normalerweise verlangt Mephisto für solche Dienste die Seele der Handelnden, in diesem Fall will er aber etwas anderes: Weil es so eine Liebe wie die zwischen Peter und Mary Jane nur einmal in jedem Jahrtausend gibt (was für ein silberzüngiger Teufel!) verlangt er als Preis für die Rettung Mays die Ehe der Beiden. Und auch nur, wenn beide diesem Deal zustimmen. Sie tun’s und so erwacht Peter am Ende von "The Amazing Spider-Man" # 545 allein in seinem Bett, im Haus seiner Tante, wie damals Bobby Ewing unter der Dusche. Unverheiratet, ohne dass die Welt seine Geheimidentität kennt, mit einem Job als Photograph beim Daily Bugle und mit ganz vielen Freunden und möglichen Freundinnen, die sich anlässlich einer Party treffen, die Harry Osborn (ja, er lebt wieder) gibt, der gerade aus dem Drogenentzug gekommen ist.

Mephisto

"One More Day" zog sich als Vierteiler durch alle drei monatlichen Spiderman-Titel, dem Ursprungstitel „The Amazing Spider-Man“ sowie die beiden Nebentitel „Sensational Spider-Man“ und „Friendly Neighborhood Spider-Man“. „What Would You Do If You Only Had One More Day“ lautet der Slogan der Reihe. Sie beschreibt Peters Rundreise durch das aktuelle und durch mögliche Spiderversen, von denen er sich Hilfe verspricht, um May zu retten. Es ist die letzte Geschichte des langjährigen Spiderman-Autors J. Michael Straczynski. Sie wurde von Marvels Chefredakteur Joe Quesada gezeichnet. Danach werden die beiden Nebentitel eingestellt. Dafür wird „The Amazing Spider-Man“ drei mal monatlich erscheinen. Diese neue, fast wöchentliche Serie behält die alte Nummerierung bei und startet mit der Nummer 546, "Brand New Day".

Geschrieben wird das ganze von einem Autoren- und Zeichnerpool. Die Autoren sind Dan Slott, Marc Guggenheim, Bob Dale und Zeb Wells. Als Zeichner stehen bis jetzt Steve McNiven („Civil War“), Salvador Larocca („newuniversal“), Chris Bachalo („X-Men“) und Phil Jimenez („The Invisibles“) fest. Welche (und vor allem wie viele) Menschen zukünftig diese Serie lesen, wird sich herausstellen. Wenn man manchen Polls trauen mag, werden einige der alten Leser nicht mehr dabei sei. Nach Erscheinen des letzten Teils von OMD am 28.12.2007 gab’s Boykottdrohungen, Beschwerden, Enttäuschungen. Fanprotest ist Pünktchenprotest: ARRRGGGHHHH! Worst.Thing.Ever. BOOOOOOOOOOOOOO. OMD = One Massive Dissapointment. Quesada überrascht das nicht:

„So wie ich das sehe gibt es zwei Seiten in dieser Diskussion, zwei Seiten der Fans. Auf der einen Seite sind die, die wollen, dass Peter mit ihnen älter wird und das Leben führt, das sie auch führen. Also muss er heiraten, Kinder haben, dann Enkel und dann kommt das Unausweichliche. Auf der anderen Seite sind die, die verstehen, dass diese Charaktere keiner Generation gehören. Mein Job ist ganz klar, diese Charaktere frisch zu halten und ihnen eine Zukunft geben zu können, für die Leser die nachwachsen.“

Als Joe Quesada 2000 Chefredakteur von Marvel wurde, hatte er angekündigt, dass er drei große Veränderungen anstrebt: erstens, dass es sehr viel weniger Mutanten im Marvel-Universum geben sollte. In „House of M“ wurden Millionen überflüssiger Mutanten weggehext. Zweitens fand er das Marvel Universum viel zu harmonisch und berechenbar und wünschte sich, dass die Helden sich wieder mehr untereinander prügeln. Der „Civil War“ um die Registrierungspflicht hat das brillant erledigt. Drittens nannte er die Parker-Ehe. Weil ein verheirateter Spiderman nicht nur unnötig alt wirkt, sondern auch lediglich 40 Prozent seines Potential nutzt - wie auch Tom Brevoort als Executive Editor Marvels Nr.2 immer wieder betonte. Aber halbwegs realistische Alternativen wie ein geschiedener oder verwitweter Peter Parker würden den Charakter noch älter machen. Deshalb wird schon seit einiger Zeit darüber spekuliert, dass eigentlich nur Zeitreisen oder magische Möglichkeiten (Marvels Hofzauberer D. Strange wäre da der übliche Verdächtige) die Eheprobleme Peter Parkers lösen könnten. Statt seiner wurde jetzt also der Teufel, genauer der Devil Ex Machina, zum Scheidungsrichter.

MJ

Mary Jane wurde zum erstmals 1964 im "Amazing Spider-Man" #15 namentlich erwähnt. Ihre Tante, Anna Watson, und Tante May haben ein Treffen mit Peter arrangiert. Doch dazu kommt es nicht, weil MJ krank wird. In Band # 25 erscheint sie das erste Mal, allerdings wird ihr Gesicht von Zimmerpflanzen verdeckt. Peter kommt leider zu spät. Wie ungeschickt! Bis Band #42 konnte er sich vor diesem blind date drücken, dann musste es halt doch einfach sein: Er erwartet ein Mauerblümchen. Sie ist die wilde Rothaarige, das flippige Hippiemädchen. Stan Lee dazu:

„Als John Romita und ich Gwen Stacy in Spiderman schrieben, dachten wir, dass Gwen die bessere Freundin für Peter wäre. Gwen war ernsthaft und mitfühlend. Mary Jane hat keine Party ausgelassen. Wir wollten wirklich, dass Gwen die Heldin in unserem Heft ist. Aber völlig egal, wie es drehten - Mary Jane schien immer interessanter zu sein. Wir haben schon Witze darüber gemacht, dass wir nicht mal unsere eigenen Figuren kontrollieren können.“

Gwen Stacy, Tochter eines pensionierten Polizeikapitäns, der als einer der wenigen Spiderman als Helden sieht und schließlich von Doctor Octopus ermordet wird, war Peters erste große Liebe, nachdem Affären mit Jonahs Sekretärin Betty Brant und seiner Mitstudentin Liz Allan im Sand verlaufen waren. MJ war zu der Zeit mit Harry Osborn zusammen. Sein Vater, Norman Osborn, der grüne Kobold, der als einziger die Geheimidentität Spidermans kannte, machte Peter für Harry Osborns Drogenprobleme verantwortlich und entführte aus Rache Gwen Stacy.

Es kam zum Showdown auf der George Washington Bridge. Als der Kobold den Kampf zu verlieren drohte, tat er das Undenkbare: er stieß Gwen vom Brückenpfeiler. Peter konnte sie zwar noch mit seinem Netz fangen, doch sie war tot! Ursache: ein gebrochenes Genick. Der Kobold selbst starb beim darauf folgenden Kampf mit Spiderman. Der Tod Gwen Stacys 1973 löste im Fandom eine Schockwelle aus und gilt als Wendepunkt in der Comicgeschichte. Das leichte, swingende Silver Age, das von Stan Lee geprägt worden war, wandelte sich in das schwere, problembewußte Bronze Age.

Der Tod von Gwen Stacy

Nach Gwens Tod kamen sich Peter und Mary Jane immer wieder mal näher. Sie hatte inzwischen eine atemberaubende Karriere als Supermodell hingelegt. Zwei Heiratanträge lehnte sie noch ab, bis sie schließlich 1987 überstürzt im "Amazing Spider-Man Annual" #21 heiratet. Das geschah nicht ganz freiwillig: Stan Lee, der damals einen Spiderman-Zeitungsstrip schrieb, hatte angekündigt, Peter und Mary Jane in diesem Zeitungsstrip zu verheiraten. Das war wie ein Wettrennen - und um Stan zuvorzukommen ließ der damalige Marvel-Chefredakteur Jim Shooter, der für seine eigenartigen und manchmal einsamen Entscheidungen bekannt war, die beiden heiraten. Shooter gewann zwar die Schlacht, verlor aber den Krieg: Als Konsequenz war Peter plötzlich mit einem Supermodell verheiratet - als wäre er nicht per definitionem der ewige wie-du-und-ich-Loser der Comics, sondern eine "Celebrity" wie David Beckham oder Peter Doherty.

Insofern ist es kein Wunder, dass die nachfolgenden Chefredakteure Tom De Falco und Bob Harras diese Ehe geradezu hassten. Von 1994 bis 1997 versuchte Marvel das mit der geradezu grotesk misslungenen Klon-Saga wieder zurechtzurücken: Zuerst stirbt May, dann taucht mit Ben Rilley ein Doppelgänger Peter Parkers auf. Es stellt sich heraus, dass der Peter Parker der letzten 20 Jahre ein Klon war, der sich nur für den richtigen gehalten hatte. Ben Riley übernimmt seinen Platz. Da Mary Jane schwanger ist, zieht sie sich mit Peter, dem angeblichen Klon, nach Portland zurück. Dann gerät die Situation – vor allem redaktionell – völlig außer Kontrolle: Noch mehr Klone tauchten auf. Es stellt sich heraus, dass Peter Parker doch der echte ist, dass Norman Osborn, der Grüne Kobold, noch am Leben ist und hinter diesem Masterplan steckt; das Spiderbaby kommt zur Welt, wird entführt und taucht nie wieder auf. Ben Rilley opfert sein Leben für Peter und zerfällt nach seinem Opfergang wie ein Vampir im Tageslicht. Dann kommt May von den Toten zurück, dafür verschwindet Mary Jane nach einem Flugzeugunfall...

Die Parker-Ehe

Um die Jahrtausendwende war Marvel fast bankrott. Der Zeichner Joe Quesada wurde Chefredakteur. Er verstand es, renommierte Autoren unter Vertrag zu nehmen. Als erste kamen Brian Bendis, Mark Millar und Grant Morrison. Die beiden letzteren hatten sich mit DC-Comics zerstritten - über einen Pitch für Superman, der die Scheidung von Lois und Clark als Bedingung hatte. DC lehnte undankbar ab und zeigte den beiden die Tür. Der erste namhafte Nicht-Comic-Autor war J. Michael Straczynski, der die SF-Serie Babylon 5 erfunden hatte. Er übernahm „The Amazing Spider-Man“ und wurde zum Coverboy für die neue Generation von TV-Autoren, die Comics für Marvel schrieben. Ihm folgten unter anderem Joss Whedon, der „Buffy“ und „Firefly - Serenity“ erfunden und produziert hatte und die X-Men übernahm, Allen Heinberg („Sex and the City“, „The O.C.“, „Grey’s Anatomy“), der für Marvel die Young Avengers erschuf, sowie Damon Londelof, einer der Erfinder von „Lost“. Jeph Loeb, der inzwischen Co-Produzent von „Smallville“ und „Heroes“ ist, kehrte zurück.

„One More Day“ hätte nach sechs Jahren J. Michael Straczynskis das große Abschiedsepos werden sollen. Das ist eingetrübt. Er schreibt in seinem Blog:

„In OMD gibt es viel, mit dem ich nicht einverstanden bin - und ich habe das jedem bei Marvel in Anschreinähe klargemacht. Gerade Joe. Um ehrlich zu sein hatte ich mich schon entschieden, meinen Namen von den letzten beiden Teilen zurückzuziehen. Letztlich hat mir das Joe dann ausgeredet, und ich habe es getan, weil ich sehr viel Respekt vor Joe und Marvel habe [...] Was auch immer er mit Spidey tut, tut er, weil er die Figur liebt und von seinen Entscheidungen überzeugt ist - und nicht, weil er die Fans verletzten will oder sich gern als 'der Boss' aufspielt."

Es war vorhersehbar, dass ein Teil der Fans diese Veränderungen ablehnen würde. Aber OMD nimmt auch alle Änderungen zurück, die Stracynsky über die letzten sechs Jahre an Spiderman vorgenommen hat. Auch ihm ist es nicht gelungen, Spiderman neues Leben einzuhauchen. Aber nachdem auch andere hochkarätige Autoren wie Peter David oder Roberto Aguirre-Sacasa in den Nebenserien kaum bessere Resultate erzielten kann man ruhigen Gewissens feststellen, dass der Spiderkosmos im Zustand der letzten Jahre das geworden ist, was man im Fußball eine untrainierbare Mannschaft nennt.

Joe Quesada

Eines der größten Probleme, das Comics haben, ist die Handlungszeit, die Continuity. Einerseits sollen die Geschichten in einer erkennbaren Jetztzeit angesiedelt sein, andererseits dürfen die Helden nicht realistisch altern. Es gibt Comicfiguren wie die Simpsons, die per definitionem gar nicht altern. Die Marvel-Helden tun das sehr wohl. Der Autor Brian Michael Bendis hat als Regel, dass seine Figuren alle hundert Bände um ein Jahr Handlungszeit altern.

Andererseits ist aber diese Continuity das Rückgrat des Comicsammelns, weil es ja das ist, was alle gemeinsam als real definieren. Die Realität, auf die sich alle Sammler geeinigt haben. Alles andere sind inoffizielle was-wäre-wenn-Geschichten. Einschnitte in die Continuity sind darum immer schwierig und nicht risikolos: DC hatte schon 1985 mit der 12-teiligen Serie Crisis On Infinite Earths den Superman-Kosmos vereinfacht. Marvel verzichtete bis zu OMD darauf. Aber wenn es die Parker-Ehe nie gegeben hat, dann hat das Auswirkungen auf das gesamte Marvel-Universum und alle Figuren und Ereignisse darin. Und zwar seit einiger Zeit: Auf dem Weg zu Harry Osbornes Entzugsparty pfeift Peter Simon & Garfunkels "59 Street Bridge Song". Das Lied wurde 1966 veröffentlicht – in dem Jahr, das allgemein als bestes Spiderman-Jahr aller Zeiten galt: Stan Lee schrieb, Steve Ditko und John Romita zeichneten. Bis auf Gwens Tod fand alles, was allgemein als die Essenz Spidermans wahrgenommen wird (und in den Filmen dargestellt wurde) in 37 Ausgaben aus den 1960ern statt. Es ist anzunehmen, dass das die Handlungszielzeit ist, die Marvel für den zukünftigen Spiderman ansteuert: Alles. Bleibt. Besser!

Was das für ein Kontrast ist, zeigt sich im letzten Teil von „One More Day“. Das Ende ist klaustrophobisch: Wir sehen eines von diesen sich selbst genügenden Paaren, ohne Freunde, ohne Verwandte, völlig isoliert und vereinsamt in einem Hotelzimmer in einer tiefen Lebenskrise. Am Ende umarmen sich die beiden und verschwinden in einem tintenschwarzen Panel. Quesada sagt über die letzten Seiten von "One More Day":

„Wenn wir im vierten Band angekommen sind, zeichne ich Peter und MJ so wirklich, wie sich unsere Leser die beiden unbewusst zu wünschen scheinen - oder auf jeden Fall so real, wie es meine Fähigkeiten zulassen. Peter und MJ sind in diesen Bildern keine Twentysomethings mehr, sondern definitiv in ihren Dreißigern. Es gibt nur eine einzige Lichtquelle, ein harsches, fluoreszierendes weißes Licht aus dem Badezimmer. Peter und MJ müssen eine einfache aber verheerende Entscheidung treffen – da gibt es keine grauen Bereiche, es ist einfach schwarz und weiß, mach oder stirb. Der völlige Gegensatz dazu sind die letzten neun Seiten des 'Brand New Day'. Der schlimmstmögliche Sturm ist vorbeigezogen. Es ist ein neuer Tag voller Hoffnung und Farben - und das Unbekannte könnte um die Ecke lauern. Es ist so gezeichnet, um zu zeigen, dass Peter der größte Comic-Held ist, den es heute gibt – und ganz am Ende ist es genau das. Ein Comic – kein wirkliches Leben [...]“

Brand New Day, Vorschau, McNiven