"Damit Sie nicht der Nächste sind"

Im Wahlkampfgetöse schüren CDU und CSU auf den Spuren der Rechtsextremen Ausländerangst und Ausländerhass

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die CSU ahmt im Kommunalwahlkampf um das Münchner Rathaus die Strategie von Roland Koch nach und schürt nun mit einem Plakat die Angst vor Jugend- und Ausländergewalt an, die allerdings hier wie anderswo bereits rechtsextreme Gruppierungen besetzen. So wirbt die Bürgerinitiative Ausländerstopp, eine Organisation der NPD, für sich fast ausschließlich mit xenophoben Parolen, ebenso wie die rechte, sich "patriotisch" gebende Bürgerinitiative Pro München, die gleichzeitig mit dem Verweis auf Politically Incorrect zeigt, welche Ressentiments die ausländerfeindliche und gegen die "Gutmenschen" gerichtete Website bedient. Während die CSU gerade wieder in die Mottenkiste greift und mit der Parole "Freiheit statt Sozialismus" aus dem Kalten Krieg Wahlkampf führen will und CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer vor einem "dunkelrot-rot-grünen Volksfrontbündnis" warnte, scheint sich auch eine schwarz-braune Volksfront über das Thema Ausländer zu bilden.

Das CSU-Wahlplaket. In der Silhouette des Opfers steht: "Damit Sie nicht der Nächste sind."

Peter Gauweiler hatte schon vor kurzem in der Bild-Zeitung die Aufrüstungsstrategie vorgemacht und Deutschland zu einer Art Kriegsgebiet wie Afghanistan erklärt:

Deutschland wird in der Münchner U-Bahn verteidigt, am Bahnhof Zoo in Berlin und in der Frankfurter Innenstadt. Die dortigen Angriffe auf Leib und Leben sind geschehen an 365 Tagen im Jahr. Angesichts der zahllosen Verletzten, Beleidigten und sogar zu Tode Gekommenen ist das, was Staat, Justiz und Polizei dagegen tun, geradezu läppisch im Vergleich zu den riesigen justiziellen, polizeilichen und militärischen Anstrengungen in Sachen Terrorismus am Hindukusch oder sonst wo.

Wie die Bild-Zeitung, die derzeit fleißig mitkocht, formuliert, wirbt die CSU München für ihren blassen Bürgermeisterkandidaten Josef Schmid mit einem "ungewöhnlichen Plakat". Zu sehen ist eine Szene aus dem Video der Überwachungskamera, die den brutalen Überfall eines 20jährigen Türken und eines 17jährigen Griechen auf den Rentner aufgenommen hat und von der Polizei verbreitet wurde. Koch, der sich scheinheilig dagegen wehrt, in eine rechte Ecke geschoben zu werden, während er doch den Rechten die Themen angeblich demokratiekompatibel wegnimmt, hatte mit dem Überfall dank der Bilder seinen Wahlkampf aufgepeppt und als selbsternannter Vertreter der "schweigenden Mehrheit" das angeblich unter den Tisch gekehrte Thema Ausländerkriminalität - oder eher: Angst vor Ausländern - zur Speerspitze gemacht. Dass es ausgerechnet in Hessen besonders lange dauere, jugendliche Gewalttäter zu verurteilen, führte Koch gestern in der Sendung Hart aber Fair, in der Plasberg dem Ministerpräsidenten eine Wahlkampfbühne bot und Justizministerin Zypries nicht gerade punkten konnte, allein auf die Richter zurück. Die NPD jedenfalls begrüßt ihren Wahlkampfhelfer Koch, sagt allerdings, dass er "nur fast NPD-Qualität" erreicht habe:

Roland Koch hat authentische NPD-Positionen, für die die Nationaldemokraten jahrzehntelang stigmatisiert und kriminalisiert wurden, hoffähig gemacht. Diese Positionierung der CDU läßt sich jetzt auch nicht mehr rückgängig machen. Wie die NPD schon immer vorausgesagt hat, läßt sich die multikriminelle Realität durch politisch-korrektes Verschweigen eben nicht für immer verheimlichen.

Das scheint in den Augen der CSU funktioniert zu haben, nachdem sich auch die CDU und die Bundeskanzlerin Koch angeschlossen haben, weswegen nun im Kommunalwahlkampf noch schnell "das Thema Sicherheit in den Mittelpunkt" gestellt wird. Auf dem Plakat mit der Schlägerszene steht: "Was zählt ist Münchens Sicherheit – keine Nachsicht mit Gewalttätern". In der Silhouette des Opfers wurde werbewirksam eingefügt: "Damit Sie nicht der Nächste sind."

Oberbürgermeister Christian Ude bezeichnete das Plakat als "Tiefpunkt der politischen Kultur" und als "moralische Bankrott-Erklärung". Die SPD fordert die CSU auf, das Plakat zurückzuziehen. "Wahlkampf auf NPD-Niveau" kritisierte der grüne Ratsfraktionschef Siegfried Benker die Aktion und verweist darauf, dass München weiterhin eine der sichersten Großstädte Europas ist.

Auch Schmid macht sich die scheinheilige, von Koch strapazierte Argumentation zunutze, dass man doch nur "die Sorgen, Ängste und Nöte der Bevölkerung ernst" nehme, was mit Rechtspopulismus natürlich nichts zu tun habe. Auch die Polizei Münchens distanziert sich von der CSU geschürten Angsthysterie und sagt, dass die U-Bahnen sicher seien. Überdies habe die CSU die Bilder nicht von der Polizei, versicherte der Sprecher Wolfgang Wenger. Die von der CSU beauftragte Agentur räumte ein, dass man die Bilder "aus dem Internet abfotografiert" habe. Die Münchner Verkehrsgesellschaft MVG beschwert sich, dass man die Bilder nur der Polizei zur Fahndung, aber nicht der CSU für den Wahlkampf gegeben habe. Es sei unverantwortlich, den Fahrgästen Angst einzujagen.

Der Zentralrat der Juden kritisierte die Kampagne von Koch und Co. als "verlogen" und "unverantwortlich". Er warnte davor, Vorurteile gegenüber Ausländern zu schüren, da es schon erste Anzeichen dafür gebe, "dass vor allem die NPD und andere rechtsextreme Gruppen die Debatte nutzen". In einem offenen Brief an Koch und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) schrieb das Forum für Migrantinnen und Migranten im Paritätischen Wohlfahrtsverband, das über 100 Organisationen von Zuwanderern vertritt:

Gerade an Themen wie die der Migration und Integration sowie der Jugendkriminalität und Jugendgewalt muss besonnen, sensibel und fachgerecht herangegangen werden. Was wir jedoch derzeit erleben, sind Schnellschüsse, Unbedachtsamkeiten und wahltaktischen Populismus. Es ist ein herber Rückschlag für den für die gesamte Gesellschaft so wichtigen Integrationsdiskurs. Wir, die Interessenvertretung von über 100 Selbstorganisationen von Migrantinnen und Migranten, sind enttäuscht und verärgert. Wir verurteilen diese Art von Politik auf das Schärfste. Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, sehr geehrter Ministerpräsident, wir appellieren eindringlich an Sie, schnellstmöglich zu der gebotenen Sachlichkeit zurückzukommen!

Zwar stimmen die meisten Menschen in Umfragen zu, dass gegen Gewalttäter härter vorgegangen werden müsse, konkrete Maßnahmen werden dabei meist nicht abgefragt. In Bayern sind nach dem aktuellen BayernTrend 36 Prozent für eine Strafrechtsverschärfung, 48 Prozent sehen in der Prävention den besseren Weg, 14 Prozent in einer Kombination aus beidem. Das Thema Sicherheit kann jedenfalls noch nicht die breite Ablehnung des Transrapid überdecken, unter der die Münchner Kommunalwahlkämpfer der CSU zu leiden haben: 63 Prozent sprechen sich gegen den Transrapid in München aus.

Nach einer Umfrage von Infratest dimap vom Mittwoch scheint bislang die Wahlkampfstrategie von Koch nicht aufzugehen. Zwar hat er es geschafft, das Thema Ausländer- und Jugendkriminalität bundesweit und medial auf die Tagesordnung zu setzen, doch die Wähler in Hessen sind zurückhaltend. Mittlerweile liegt Andrea Ypsilanti, die Spitzenkandidatin der SPD, mit 44 Prozent gleichauf mit Koch, wenn es um eine Direktwahl geht. Die CDU käme auf 40 Prozent, die SPD verbessert sich auf 35 Prozent, FDP und Grüne liegen bei jeweils 9 Prozent, die Linke bei 4 Prozent.

Zum Thema Strafverschärfung heißt es im Zweiten Periodischen Sicherheitsbericht der Bundesregierung (2006, nachdem 1998 mit dem 6. Strafrechtsreformgesetz das Strafmaß für Körperverletzung drastisch von 5 auf 10 bei leichter Körperverletzung und von 10 auf 15 bei schwerer angehoben wurde:

"Entgegen einer weit verbreiteten Alltagsmeinung erscheinen nach dem gegenwärtigen Stand der kriminologischen Forschung die Abschreckungswirkungen (negative Generalprävention) von Androhung, Verhängung oder Vollzug von Strafen eher gering. Für den Bereich der leichten bis mittelschweren Kriminalität jedenfalls gilt grundsätzlich, dass Höhe und Schwere der Strafe keine messbare Bedeutung haben. Lediglich das wahrgenommene Entdeckungsrisiko ist - allerdings nur bei einer Reihe leichterer Delikte - etwas relevant. Bislang wurden auch keine Anhaltspunkte dafür gefunden, dass eine Verschärfung des Strafrechts das Normbewusstsein positiv beeinflussen würde."