Wahlgeräte oder Wahlhelfer?

In Hessen streitet man über die Zukunft des Wählens

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Alle waren sie da – Vertreter von Rundfunk, TV und Presse, interessierte Wissenschaftler und nicht zuletzt eine Abordnung des Berliner Chaos Computer Club. Das Interesse am öffentlichen Testlauf elektronischer Wahlgeräte im hessischen Langen war groß. Die sonst eher unscheinbare Stadt südlich von Frankfurt machte zuletzt eher durch die Kreationen des Molekulargastronomen Juan Amador auf sich aufmerksam – doch nun gibt sich die Kommunalverwaltung ähnlich innovativ wie der hoch dekorierte Sternekoch. Denn Langen gewährt als eine von nur acht hessischen Städten und Gemeinden seinen Wählerinnen und Wählern die Möglichkeit, die Stimme zur Landtagswahl am 27. Januar an elektronischen Wahlgeräten abzugeben. Nach den zuletzt heftigen Vorwürfen hinsichtlich der Manipulations- und Fehleranfälligkeit solcher Maschinen war von der Landeswahlleitung eine Probewahl verordnet worden. Am 9. Januar traten daher im Langener Rathaus Wahlgerät und Wahlhelfer zum Zählwettbewerb an.

Unerwartete Brisanz hatte der Testlauf durch die Klage einer hessischen Wählerin erhalten, die vom umtriebigen Chaos Computer Club (CCC) aus Berlin unterstützt wurde. Bereits seit mehr als einem Jahr engagiert sich der CCC massiv für die Abschaffung von Wahlgeräten bei sämtlichen Wahlen in Deutschland. Im Fall der hessischen Landtagswahl soll eine einstweilige Verfügung erwirken, dass die Wahlcomputer der niederländischen Firma Nedap am 27. Januar nicht eingesetzt werden dürfen.

Pate stand dabei der erfolgreiche Feldzug der niederländischen Aktion Wij vertrouwen Stemcomputers niet, die für ein Verbot der Nedap-Geräte in den Niederlanden gesorgt hatte. Die Kritik der CCC-Aktivisten richtet sich allgemein gegen die Manipulationsanfälligkeit der Geräte, verweist aber auch auf die Aushöhlung des Grundsatzes der geheimen Wahl sowie der fehlenden Möglichkeit zur Wahlprüfung. Der hessische Staatsgerichtshof arbeitet mit Hochdruck an einer Lösung noch vor dem Wahltag – die Einreichung der Klage unmittelbar vor der Probewahl gehörte sicher ins Kalkül der medienerfahrenen Berliner: Fehlfunktionen, Bedienfehler oder sonstige Unregelmäßigkeiten in Langen wären ein gefundenes Fressen, die Chancen für die Durchsetzung der Klage stiegen rapide.

Auch wenn die Erfahrungen mit gewiss nicht perfekten Wahlgeräten in den Niederlanden oder auch anderswo genug Anlass zu Skepsis und Kritik geben, so bedarf der Versuch einer Einflussnahme auf die Organisation der Landtagswahlen in Hessen einer näheren Betrachtung. Interessant ist dabei nicht allein der Blick auf das eigentliche Resultat der Testwahl, sondern auch auf das Verfahren, dass eigentlich die Korrektheit der Maschinen überprüfen sollte – sich aber eher als Belastbarkeitsprüfung für die menschlichen Wahlhelfer entpuppte.

Auf Geheiß des Innenministeriums und nach Anordnung durch Landeswahlleiter Wolfgang Hannappel im Wahlerlass Nr. L 24 vom 6. Dezember lag die „Beweislast“ bei den Wahlleitern der betroffenen Kommunen (außerdem haben sich Alsbach-Hähnlein, Bad Soden am Taunus, Lampertheim, Niedernhausen, Niestetal, Obertshausen und Viernheim für Wahlgeräte entschieden). In Langen war somit Wahlleiter Bernhard Emrich für die Organisation der Probewahl verantwortlich, aus dem Test wollte er auch andere Erkenntnisse gewinnen:

Mit einer solchen Probewahl erfüllen wir die Auflagen. Außerdem hat sie für uns den positiven Nebeneffekt, dass wir nochmals sehen, worauf wir bei den Schulungen unserer Wahlhelfer achten müssen. Ansonsten haben wir durch den Einsatz der Wahlgeräte in bisher zwei Wahlen positive Erfahrungen gesammelt, so dass wir diese Probewahl eigentlich nicht gebraucht hätten.

Die Hauptdarsteller des Testlaufs sind für Emrich nicht viel mehr als „bessere Rechenmaschinen“, deren Einsatz schon lange vor dem Aufzeichnen der Wählerstimmen beginnt:

Unter Aufsicht werden sie in einem doppelt abgesicherten Raum aufbewahrt. Den Sicherheitsaspekt haben wir schon immer sehr hoch gehalten. Wir haben jetzt noch mal verstärkt darauf geachtet, dass die Kette aus Aufbewahrung, Sicherung und Kontrolle auch wirklich funktioniert. Wir können guten Gewissens sagen, dass dieser Mechanismus sicher ist.

Kurz vor der Wahl müssen die Geräte aufgebaut und die Speicherbausteine zurückgesetzt werden. Eine letzte Gegenkontrolle übernimmt dann nochmals der Wahlvorsteher, der nach Anleitung kritische Punkte abschließend überprüfen muss. Um den Langener Probelauf möglichst realistisch werden zu lassen, war die Unterstützung von Mitarbeitern aus Verwaltung und Vertretern der Gemeindepolitik notwendig: rund 900 Wählerstimmen wurden generiert, ein mit einem „normalen“ Wahltag vergleichbares Aufkommen – für das Wahlgerät.

Aufgeladene Atmosphäre bei der Wahlsimulation

Um den Test-Anforderungen gerecht zu werden, wurden drei Teams mit jeweils vier Wahlhelfern gebildet, die von 8 bis 18 Uhr in wechselnden Schichten einen regulären Wahltag simulierten. Dafür wurde parallel zum konventionellen Wahlverfahren mit Papier und Stift eine elektronische Abstimmung durchgeführt – ein Wahlhelfer füllte dafür zwei reguläre Stimmzettel aus: Erst- und Zweitstimme für die Landtagswahl, zudem das Votum für einen der Kandidaten für das Amt des Bürgermeisters, über dessen Besetzung in Langen ebenfalls am 27. Januar entschieden wird. Diese fiktive Wählerentscheidung wurde danach „digitalisiert“, indem ein weiterer Helfer die Kombination aus den drei Stimmen über das Bedienfeld in das Wahlgerät eingab. Auf dem LCD-Display erschienen die getroffenen Auswahlen als eine Art „visuelle Quittung“ der Stimmabgabe. Bevor sich dieser Vorgang mit einer neuen „Wählerstimme“ wiederholen konnte, musste zunächst die erneute Freigabe des Wahlgerätes über ein separates Steuerungsgerät erfolgen.

Das Resultat für die Helferteams: eine Aneinanderreihung von Kreuzchenmachen und Tastendrücken, zerdehnt auf zehn Stunden – eine Konzentrationsleistung. Die Monotonie dieser Eingabeschleife wurde einzig durch die Abwechslung durchbrochen, die sich aus den unterschiedlichen Kombinationsmöglichkeiten von Erst- und Zweitstimmen sowie der Entscheidung für einen Bürgermeisterkandidaten ergab. Mit der Realität eines „echten“ Wahlsonntags hatte dieses Verfahren allerdings nicht sonderlich viel gemein: schließlich erhält der durchschnittliche Landtagswähler beim Eintritt in das Wahllokal keinen ausgefüllten Stimmzettel, den er als Vorlage für seine Wahlentscheidung mit in die Wahlkabine nimmt. Durch den Zwang zur Stimmensimulation entstand somit eine nicht ganz unerhebliche Verzerrung im Testlauf, denn neben dem Wahlgerät wurde so eine zweite Fehlerquelle erzeugt: Schließlich konnte ein Wahlhelfer versehentlich eine andere Wahl treffen, als es der eingereichte Stimmzettel vorsah (die Problematik willentlicher Fehleingaben wird an dieser Stelle gar nicht erst in Betracht gezogen).

Im Tagesverlauf sammelten sich so allmählich die geforderten Probewahlstimmen, begleitet von der für ein beliebiges Wahllokal einer hessischen Mittelstadt sicherlich nicht üblichen Medienresonanz – zahlreiche Vertreter von Regional- und Fachpresse, Hessischem Rundfunk, ZDF-nachtstudio, Mitarbeiter des nahen Fraunhofer-Instituts in Darmstadt und schließlich die ebenso misstrauische wie mehrköpfige Abordnung des CCC sorgten für eine geradezu „aufgeladene“ Atmosphäre, die mit der schläfrig-würdevollen Aura eines Wahllokals nicht mehr viel zu tun hatte.

Um 18 Uhr nahte dann der spannende Moment: unter Aufsicht der Mitglieder des Wahlvorstandes und den kritischen Blicken der interessierten Öffentlichkeit wurde die Wahl für beendet erklärt, das Wahlgerät ausgeschaltet und abgebaut, der Wahlraum verschlossen. Im Nebenzimmer folgte dann die übliche und bekannte Auszählungsprozedur – per Hand. Vorsortieren, Gruppieren und Auszählen der auf mehr oder weniger konventionellem Weg ausgefüllten Stimmzettel. Nach gut einer Stunde wurden die Ergebnisse der einzelnen Körbe aufsummiert und im vorläufigen Wahlergebnis zusammengefasst.

Fehler beim manuellen Auszählen

Deutlich schneller, für Technikfreunde vielleicht etwas spektakulärer, gestaltete sich dagegen die Auswertung der im Wahlgerät gespeicherten Ergebnisse. Zunächst mussten zwei Schlüssel in das Steuerungsgerät eingeführt werden, um den Mechanismus für den Belegausdruck initiieren zu können. Ein Schelm, wer hier an Rituale aus (k)alten Kriegsfilmen denkt – die heutzutage merkwürdig anmutende Prozedur führte nach knapp einer Minute aber zu nicht mehr als einem Ausdruck mit der Auswertung der Voten.

Danach folgte weisungsgemäß der Abgleich der beiden Auszählungsergebnisse und eine Schrecksekunde: die Resultate wiesen geringfügige Differenzen auf, die sich jedoch nicht als Speicherfehler oder gar Manipulationen im Wahlgerät erwiesen, sondern als Fehler beim manuellen Auszählen wie das Langener Probewahlteam mitteilt: „Beispielsweise war in einem Stapel für eine Partei fälschlicherweise ein ungültiger Stimmzettel einsortiert. Bis auf eine Stimme wurden alle Differenzen aufgeklärt.“ Und auch hier war sich die Langener einig über die Ursache: „Offenbar handelte es sich um einen Eingabefehler: Es wurde am Wahlgerät nicht die Taste für die Partei gedrückt, die auf dem Stimmzettel angekreuzt war.“

Nach dem hektischen Testwahltag in Langen lautete das Fazit für die Offiziellen schließlich: „Wahlmaschinen eindeutig besser“ – so der Titel der zugehörigen Pressemitteilung. Auch wenn dieser Befund vielleicht etwas zu optimistisch anmutet, so steht er doch für das aktuelle Zwischenergebnis im Kampf für und wider elektronische Wahlsysteme. Die Probeläufe in allen acht hessischen Städten und Gemeinden sind ohne Zwischenfälle verlaufen, auch Landeswahlleiter Hannapel sieht sich gestärkt in der Haltung, dass die Wahlgeräte hinreichend sicher sind. Nachdenklich stimmen müsste vor allem die Skeptiker auch dieser Satz aus der Langener Presseerklärung:

Fehler bei der konventionellen Auszählung wären ohne das Vergleichsergebnis des Computers nicht entdeckt worden.

Doch was sagt der Chaos Computer Club? Bislang eher wenig. Denn trotz der neugierigen Präsenz in Langen und den teilweise sehr markigen Aussagen in der medialen Begleitung zur Probewahl verhielten sich die Kritiker in den Tagen danach sehr ruhig. Die Ruhe vor dem nächsten Sturm? Vielleicht. Doch ein etwas nüchterner Blick auf das – zumindest in seiner offiziellen Dimension – abgeschlossene Verfahren mit dem Resultat einer zuverlässigen Wahlroutine zeigt, dass die Debatte in Zukunft auch etwas genauer die Rolle des CCC in den Blick nehmen sollte. Galten die gerne öffentlichkeitswirksam als gesellschaftliche Produktivkraft bezeichneten Berliner doch stets als Wegbereiter für neue Technologien, so positionieren sie sich nun als Fundamentalopposition gegen Anbieter und Nutzer der Wahlcomputer. Warum fordern die CCC-Vertreter nicht eine Verbesserung der Geräte oder eine optimierte Einbettung in den politischen Prozess der Wahl? Zwar lautet das Credo der „Hacker“ noch immer „Kabelsalat ist gesund“, doch vom Bestreben, dieses Ernährungsprogramm mit Blick auf die Bedürfnisse öffentlicher Verwaltung und politischer Beteiligungsprozesse durchzusetzen, ist im aktuellen Fall wenig zu erkennen.

Die Vehemenz der Forderungen hat den Einsatz in Hessen mindestens an den Rand eines späten Verbotes geführt und die Verantwortlichen stark belastet – und natürlich auch Kosten verursacht. Noch ist unklar, ob nicht doch der Staatsgerichtshof sein Veto einlegt – dann müssten die betroffenen Gemeinden ein Notprogramm aktivieren und die Wahl mit herkömmlichen Wahlhelfern organisieren. Abgesehen davon, dass die Zeit dafür relativ knapp ist, würden auch hier Zusatzkosten entstehen: die Erhöhung des „Erfrischungsgeldes“ für Wahlhelfer dürfte die einzig wirksame Methode sein, schnellstmöglich die notwendige Zahl „ehrenamtlich“ tätiger Bürger zu rekrutieren. An eine Eignungsprüfung denkt hier freilich niemand – zählen kann ja schließlich jeder. Eine weitere Option ist die Abstellung von Mitarbeitern der Stadtverwaltungen, auch die hierbei anfallenden Ausgleichsstunden für den Sonntagsdienst am Wähler belasten letztlich die öffentliche Hand.

Schließlich verdient auch das „zweite Ergebnis“ der Probewahl Beachtung: die Langener Testabstimmung diente letztlich weniger der Überprüfung der elektronischen Stimmenzählung, sondern glich eher einem Belastungstest für die menschlichen Wahlhelfer. Durch die holprige Umsetzung eines „dem Wahltag vergleichbaren Wähleraufkommens“, wie in den Vorgaben für die Probewahl gefordert, wurden zusätzliche Fehlerquellen geschaffen, die am Ende aber vor allem auf die Fehlbarkeit der menschlichen Wahlhelfer verwiesen haben. Was bedeutet dieses Ergebnis für die zukünftige Organisation von Wahlen – brauchen wir vielleicht auch Probewahlen, die die Zuverlässigkeit der Wahlhelfer überprüfen? Sind Stichproben notwendig, um zu ermitteln, ob Wahlbenachrichtigungen und Briefwahlunterlagen korrekt zugestellt werden? Braucht es Kontrollen, ob tatsächlich auch alle Parteien und Kandidaten vollständig auf dem Wahlzettel aufgeführt sind? Und: wie steht es mit dem im Grundgesetz verankerten Gebot der geheimen Wahl beim Ausfüllen der Briefwahlunterlagen? Über solche „Selbstverständlichkeiten“ im Umfeld einer herkömmlichen Brief- oder Urnenwahl wird reden müssen, wer für die Einführung moderner Wahltechnologien immer neue, höhere Hürden einfordert und aufstellt.

Das, oder besser: die Verfahren zur Stimmabgabe bei politischen Wahlen sind längst einer Technologisierung unterworfen, die kaum noch aufzuhalten ist. Dafür sprechen nicht so sehr die zaghaften Versuche in Deutschland zusätzlich zu Wahlurne und Wahlbrief neue Wege zur Beteiligung am Wahlprozess zu eröffnen – der längst hart umkämpfte Markt für neue Wahltechnologien in den USA oder auch die weniger verkrampften Versuche junger Demokratien wie Estland oder Slowenien, außerdem die avancierten Strategien von Partizipationssystemen wie der Schweiz sind hier die wirklich treibenden Kräfte.

Und so mutet die Selbsteinschätzung der hessischen Innovationsgemeinden nicht nur rührend an, sondern ist auch als eine Mahnung zu lesen: „Wir haben uns mit diesem Vorhaben sicher sehr viel Stress eingeholt“, beurteilt Wahlleiter Bernhard Emrich den ereignisreichen Tag der Langener Probewahl. „Aber dennoch bin ich der Meinung, dass es der richtige Weg ist. Irgendjemand muss auch mal das Zugpferd oder der Pilot sein, und wir gehören zu den acht Kommunen, die diese Piloten sind. Außerdem ist es eine zentrale Frage, wie sich Wahlorganisation und technisch unterstützte Wahlen weiterentwickeln werden. Wir sehen uns da auch ein bisschen in der Vorreiterrolle.“