Wahlkämpfer Koch strauchelt über die von ihm angezettelte Kampagne

Ausgerechnet in Hessen, wo Koch seit 1999 regiert, ist die Gewaltkriminalität von Jugendlichen deutlich stärker als im Rest Deutschlands gestiegen

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Hessens Ministerpräsident und Wahlkämpfer Roland Koch verfängt sich zusehends mitsamt seinen Mitstreitern in der von ihm gestarteten Dynamik. Das Echo, das Koch mit seinen Forderungen nach einer Verschärfung des Jugendstrafrechts und des härteren Vorgehens gegen Kriminalität von ausländischen Jugendlichen gefunden hat, ließ ihn siegesgewiss immer weitere Schuldige und neue Parolen finden, weil man ja endlich aussprechen muss, was andere verschweigen. Der letzte Einfall war, das Jugendstrafrecht auch auf Kinder unter 14 Jahren auszudehnen.

Bislang hat die Opposition es dem wild um sich schlagenden Wahlkämpfer relativ leicht gemacht, sich immer wieder als den Kämpfer für das lange Verdrängte zu stilisieren, der sowieso nur sagt, was die "schweigende Mehrheit" denkt. Dabei waren Koch Zahlen und Statistiken ziemlich egal, auch der selbstreflexive Blick fehlt systematisch, möchte man sagen, bei solchen Law-and-Order-Populisten, die Respekt predigen, ihn aber selbst nicht pflegen.

Mittlerweile gehen nicht nur die vernünftigeren CDU-Parteifreunde von Koch auf Distanz. Im Fall der Kanzlerin und von Beust und Wulff sicherlich nicht nur wegen der Sache, sondern auch aus wahltaktischen Gründen. Sie wollen sich nicht in das Schlamassel hineinziehen, in das sich Koch geritten hat. Schließlich war dieser seit 1999 Ministerpräsident und damit verantwortlich für die Politik in Hessen, so dass es schon aus diesem Grund schwer fällt, alle Schuld der SPD, den Grünen, der Bundesregierung, den Richtern oder Staatsanwälten oder wem auch immer zuzuschieben und eine reine Weste zu behalten.

Peinlich ist nun, dass Koch in seine eigene Grube fällt. Schon vor ein paar Tagen war bekannt geworden, dass in Hessen die Zeitspanne zwischen Begehung einer Tat und der Verurteilung besonders lange dauert. Das passt schlecht zum Warnschussforderer. Noch schlimmer ist, dass ausgerechnet in Hessen seit Amtsantritt von Koch nach Berechnungen des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) die Jugendgewalt (Körperverletzung, Vergewaltigung, Raub) im Vergleich zu anderen Bundesländern stark angestiegen ist. Während die Zahl der von 14-18-Jährigen begangenen Körperverletzungen zwischen 1999 und 2006 bundesweit um 27,5 Prozent zugenommen hat, verzeichnet Hessen eine Zunahme von über 66 Prozent (nur in Bremen lag der Anstieg noch höher). Die Zahlen beziehen sich auf Jugendliche pro Einwohner, sind also unabhängig davon, ob es sich um kleine oder große Bundesländer handelt. Auch in der Gewaltkriminalität sieht es ähnlich aus. In Hessen gibt es eine Zunahme um 35,1%, im restlichen Bundesgebiet um 12,4%. Hessen liegt damit an zweiter Stelle hinter dem Saarland.

Dazu kommt, dass Christian Pfeiffer, der Leiter des KFN, darauf aufmerksam macht, dass für die die Zunahme der Gewalttaten in Hessen vor allem Deutsche (79%) verantwortlich seien (wobei allerdings Jugendliche mit Mitgrantenhintergrund eingeschlossen sind). Der Anteil ausländischer Jugendlicher ist dagegen um ein Fünftel gesunken. Die Behauptung Kochs, dass die Hälfte der Gewalttäter unter 21 Jahren Migranten seien, stimme nicht. Und ganz allgemein trifft nach Pfeiffer auch nicht zu, dass Jugendliche und Heranwachsende unter 21 Jahren für die Hälfte aller Straftaten mit Gewalt verantwortlich seien. Sie seien es aber nur bei einem Drittel der Täter. Entlastend für Koch (aber nicht unbedingt für die CDU) sagt Pfeiffer allerdings auch, dass es in Hessen besonders viele Aussiedler gebe, unter denen sich viele Gewalttäter befinden.

In einer von dem Strafrechtler und Kriminologen Prof. Wolfgang Heinz von der Universität Konstanz verfassten, ausführlich und sachlich argumentierenden Resolution werden die Gründe dafür dargelegt, warum die geforderte Verschärfung des Jugendstrafrechts keinen Sinn macht, sie jedenfalls im Sinne der Abschreckung nichts zur Eindämmung der Jugendgewalt beiträgt. Die Resolution wurde von der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen veröffentlicht und wurde bereits von fast 1000 Hochschullehrern, Richtern, Staatsanwälten, Rechtsanwälten und Fachkräften der Jugendhilfe, aus der Polizei und dem Jugendstrafvollzug unterzeichnet. Darin heißt es etwa:

Weder ist die Jugendkriminalität insgesamt noch ist die Gewaltkriminalität junger Menschen in den letzten Jahren dramatisch gestiegen. Sämtliche Schülerbefragungen zur selbstberichteten Delinquenz (sog. Täterbefragungen) zeigen seit Beginn dieses Jahrhunderts (im Unterschied noch zu den 1990er Jahren) entweder eine weitgehende Konstanz oder gar einen Rückgang der Delinquenzbelastung, und zwar auch im Gewaltbereich.

Hingewiesen wird auf die letzte Schülerbefragung durch das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen, nach der "Jugendgewalt (Körperverletzung, Raub, Erpressung und Bedrohung mit Waffen) in allen Befragungsgebieten zurückgegangen sei, ausgenommen München (dort kam es 2005 zu einem Anstieg gegenüber 2000)". Ziemlich deutlich heißt es:

Das derzeit populäre Konzept "tough on crime" ist ein Katastrophenrezept, weil es dem falschen Prinzip "mehr desselben" folgt. Es steht zu sämtlichen Ergebnissen der einschlägigen empirischen Forschung in Widerspruch. Kriminalität wird durch härtere Sanktionen nicht reduziert, sondern allenfalls gefördert. Innere Sicherheit wird dadurch jedenfalls nicht erhöht, sondern gefährdet, indem Steuergelder in verfehlte Maßnahmen investiert werden, statt sie dort einzusetzen, wo es erzieherisch und integrativ sinnvoll wäre.