Foltern ist Teil der Arbeit..

..und Guantanamo-Häftlinge sind keine "Personen" - ein amerikanischer Richterspruch am Ende der Ära Bush

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Ihr Fall erlangte im Jahr 2004 einige Berühmtheit: Vier Briten mit arabischen Namen, die als "Terrorverdächtige" nach eigenen Aussagen unschuldig zweieinhalb Jahre Haft in Guantanamo verbringen mussten, und nun wegen erlittener Misshandlungen und Folter jeweils auf die beträchtliche Schadenersatzsumme von 10 Millionen Dollar klagten. Die Angeklagten: der damalige Pentagon-Chef Donald Rumsfeld und der ehemalige US-Generalstabschef General Richard B. Myers. Nach amerikanischer Darstellung wurden die vier Männer im Herbst 2001 bei Kampfhandlungen gefangen genommen.

2006 wurden drei der vier Männer - Shafiq Rasul, Asif Iqbal und Rhuhel Ahmed – noch berühmter. Ihr Fall, dessen Fragen - z.B. was die Männer in Afghanistan genau machten - nicht wirklich aufgeklärt sind, war mittlerweile Gegenstand eines Buches und eines aufsehenerregenden Dokumentarfilms geworden.

Ausschnitt aus "The Road to Guantanamo". Foto: Falcom Media

Der Filmemacher Michael Winterbottom interessierte sich für die Geschichte der "Tipton Three" - so genannt, weil sie aus dem selben Ort in den West Midlands stammten. Winterbottoms Dokumentarfilm "The Road to Guantanamo" erzählt von ihrer Inhaftierung. Anfang 2006 hatte er auf der Berlinale Premiere, gewann den silbernen Bären und erzielte laut Channel 4 im Folgenden eine "große internationale Wirkung".

"The Road to Guantánamo" challenges American viewers to confront the possibility (note that word, please) that the worst fantasies of the Chomskyite left fringe have already come to pass. In other words, the possibility that the country some of us still believe is capable of fulfilling the rhetoric of Thomas Jefferson and Abraham Lincoln and Franklin D. Roosevelt has already become a new kind of totalitarian superstate, enforcing consumer narcosis at home with a borderless secret-police apparatus that spans the globe.

At the same time, the film cannot dispel other hypotheses: Maybe the Tipton Three are a complete anomaly, and everybody else sent to Gitmo is a hardened al-Qaida assassin. Maybe the Tipton Three are not the hapless bozos they appear to be, but decided to prey on the sympathies of weak-minded liberal journalists after their release.

Auszug aus der Filmrezension bei Salon.com

Weniger bekannt ist allerdings, dass am vergangenen Freitag ein hohes Gericht in den USA ein bislang letztes Wort zum Fall der vier Ex-Guantanamo-Insassen gesprochen hat – mit einer durchaus spektakulären Note.

Denn die Gerichtsentscheidung des United States Court of Appeals for the District of Columbia Circuit im Fall Richard Myers vs Shafiq Rasul et.al verweist auf ein verblüffendes Verständnis von Gerechtigkeit, das in der vergehenden Amtszeit von Präsident Bush seltsam böse Blüten getrieben hat, Blüten der Menschenverachtung. Und damit ist noch nicht einmal so sehr gemeint, dass die Entschädigungsklagen von Shafiq Rasul und den anderen erwartungsgemäß abgelehnt wurden. Damit gemeint ist insbesondere die Begründung der drei Richter – allesamt von Vater oder Sohn Bush eingesetzt, bzw. in näheren politischen Beziehungen - vom vergangenen Freitag zu den verbliebenen Anklagepunkten.

“Aliens“

Auf 53 Seiten begründet das amerikanische Bundesberufungsgericht, zuständig für den Gerichtskreis Columbia, seine Entscheidung gegen die Klage in zentralen Punkten damit, dass die Kläger „keine Personen“ im Sinne des amerikanischen Rechts sind, weil sie zur Zeit, auf die sich ihre Vorwürfe beziehen, in Guantanamo, also nicht auf amerikanischen Boden, waren.

Because the plaintiffs are aliens and were located outside sovereign United States territory at the time their alleged RFRA (Religious Freedom Restoration Act, Erg. de. A.) claim arose, they do not fall with the definition of 'person'.

Die abweichende Meinung einer Richterin in diesem Punkt beleuchtet, worum es hier geht: Dass es wenig bedarf, um festzustellen, dass eine Person zunächst ein menschliches Wesen ist – im Unterschied zu Tieren. Und dass durch dieses Urteil eines hohen amerikanischen Gerichts erklärt wird, dass Menschen, die in Guantanmo gefangengehalten werden, keine „Personen“ sind:

Judge Janice Rogers Brown, an evangelical, while concurring in the court's opinion, wrote a separate opinion, criticizing the majority for using a definition of person “at odds with its plain meaning.” She wrote, “There is little mystery that a ‘person’ is an individual human being…as distinguished from an animal or thing.” Brown said the opinion “leaves us with the unfortunate and quite dubious distinction of being the only court to declare those held at Guantánamo are not ‘person[s].’ This is a most regrettable holding in a case where plaintiffs have alleged high-level U.S. government officials treated them as less than human."

Prozessbeobachter James Oliphant in einem Weblog der Baltimore Sun

Employment Duties

Mit Verweis auf das "Alien Tort Statute" hatten die Kläger versucht, Ansprüche wegen Misshandlungen und Folter geltend zu machen. Die Richter wiesen dies ab – nicht weil geleugnet wurde, dass Misshandlungen stattfanden. Die Begründung der Richter leugnet noch nicht einmal entsprechende Weisungen des ehemaligen Verteidigungsministers Rumsfeld, sie erklärt sie stattdessen zum Normalfall, mit dem gerechnet werden muss. Die angeklagten Regierungsmitglieder Myers und Rumsfeld sind laut Richterspruch immun gegen dergleichen Vorwürfe, weil Folter irgendwie zu den Pflichten der Amtsinhaber gehört und eine vorhersehbare Konsequenz der militärischen Gefangenschaft ist:

Therefore, the alleged tortious conduct was incidental to the defendants' legitimate employment duties. (...) torture is a foreseeable consequence of the military’s detention of suspected enemy combatants.

Außerdem waren die Richter des Bundesberufungsgerichts der Überzeugung, dass die Angeklagten selbst wenn sie im Unrecht sind, Recht haben, da sie nicht wissen konnten, dass die Kläger überhaupt Rechte hatten: Selbst wenn Folter und „religiöser Missbrauch“ illegal sind, sind die Angeklagten verfassungsrechtlich immun, da sie aus hinreichenden Gründen nicht wissen konnten, dass die Gefangenen in Guantanamo durch die Verfassung eingeräumte Rechte haben.

Der Anwalt der britischen Kläger, Eric Lewis, will die Sache nun in die nächste Instanz, vor den Supreme Court, bringen.