Sri Lanka will Rebellen 2008 besiegen

Mit der offiziellen Kündigung des Waffenstillstands droht Sri Lanka eines der blutigsten Jahre seiner Geschichte. Eine politische Lösung des ethnischen Konflikts rückt in weite Ferne

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Am 16. Januar ist der Waffenstillstand zwischen der Regierung von Sri Lanka und den tamilischen Rebellen der Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) offiziell ausgelaufen. Anfang Januar entschied das Regierungskabinett, das von Norwegen vermittelte und seit Februar 2002 geltende Waffenstillstandsabkommen (CFA) einseitig zu kündigen. Die LTTE sprach sich daraufhin erfolglos für eine Fortsetzung des Waffenstillstandes aus und garantierte, alle Bedingungen „100%“ zu respektieren. Obwohl das Abkommen von beiden Seiten oft verletzt wurde, bot es zumindest einen Rahmen für Verhandlungen.

In den letzten Jahren flammten die Kämpfe aber erneut so stark auf, dass das Papier fast bedeutungslos wurde: Seit 2006 gab es mehr als 5.000 Tote - der Blutzoll des 1983 offen ausgebrochenen Konfliktes steigt damit auf 70.000 an.

Militärausgaben erreichen 2008 Rekordwert

Viele Beobachter des Konflikts befürchten, dass 2008 eines der blutigsten Jahre seit Beginn des Konfliktes werden könnte. Militäranalytiker Iqbal Athas vom Jane's Defense Weekly in der Hauptstadt Colombo sagte, die Regierung sehe die kommende Periode als „Endspiel“ an: „Es wird die intensivste Kriegsperiode sein, die Sri Lanka jemals gesehen hat.“ Nach der erfolgreichen Vertreibung der tamilischen Rebellen aus dem Osten des Landes hat die Regierung von Präsident Mahinda Rajapakse im letzten Jahr eine große Rekrutierungskampagne durchgeführt und enorme Summen für den Krieg im Norden eingeplant.

Mit Hilfe der singhalesischen Nationalisten von der People's Liberation Front / Janatha Vimukthi Peramuna (JVP) verabschiedete die Regierung - die nur eine dünne Mehrheit im Parlament hat - im Dezember den höchsten Verteidigungshaushalt in der Geschichte des Landes: Die Militärausgaben stiegen gegenüber dem Vorjahr um 20 % auf 1,45 Milliarden Dollar an – und machen damit fast ein Fünftel des gesamten Haushalts aus. Täglich vier Millionen Dollar fließen damit in den Krieg gegen die Rebellen.

Außerdem wurden im letzten Jahr für die Operationen im Norden weitere 30.000 Soldaten rekrutiert. Laut dem International Institute for Strategic Studies beschäftigt die srilankische Armee 150.900 Soldaten (2006). Mit demnach etwa 180.000 Soldaten übersteigen die srilankischen Streitkräfte nun sogar die Armeen von Großmächten wie Australien oder Südafrika um das Dreifache.

„Wir werden Tausende töten“ – Armeechef Fonseka

Nach Schätzungen des Militärs blieben den Tamil Tigers im Jahre 2007 nur noch 7.000 Kämpfer, von denen 2.000 getötet wurden. Die Generäle rechnen vor, dass von den so verbleibenden 5.000 Rebellen 3.000 Kader getötet werden müssen, um den Wendepunkt des Krieges zu bringen: Militärchef Sarath Fonseka kündigte in einem Interview an, dass die Armee in den nächsten sechs Monaten 3.000 Tamil Tigers „vernichten“ wolle. "Unser Ziel ist es, täglich mindestens zehn LTTE-Terroristen zu töten“, zitiert ihn die BBC. So werde die Armee den Krieg im August 2008 für sich entscheiden. Denn im Osten des Landes habe die LTTE im letzten Jahr nur 2.000 Kämpfer aufbieten können, von denen 1.700 getötet wurden, bis das Gebiet wieder unter Regierungskontrolle kam. Die verbleibenden Kämpfer mussten sich in den Dschungel zurückziehen.

In dieser Logik wird allerdings unterschlagen, dass die östlichen Gebiete nur sehr dünn besiedelt sind. Im von den Rebellen kontrollierten nördlichen Vanni-Gebiet leben hingegen 350.000 Menschen - die jetzt geplante Eroberung durch 20.000 Soldaten wird enorme Opfer unter der Zivilbevölkerung fordern. Außerdem ist mit zehntausenden Flüchtlingen zu rechnen.

Rebellenchef Prabhakaran beim "Heldengedenken" 2006. Bild: tamilnet

Wer folgt nach Rebellenchef Prabhakaran?

Eines der Hauptziele des Militärs ist es, die Führungskader der Rebellen zu töten. In den letzten drei Monaten wurden bereits mehrere hochrangige Mitglieder der Tigers vom Militär getötet: Der Chef des politischen Flügels Tamilchelvam, Militärgeheimdienstchef Charles und der Kommandeur für den Osten, Shankar. Auch Rebellenchef Vellupillai Prabhakaran soll im November 2007 bei einem Bombardement seines 13 Meter unter der Erde liegenden Bunkers leicht an Schulter und Arm verletzt worden sein.

Für die Regierung ist der LTTE-Chef seit langem das Hauptziel, da der gesamte Propagandaapparat der Organisation um einen Führerkult herum aufgebaut ist. Prabhakaran wird als der mächtige Messias dargestellt, der die Tamilen ins Heilige Land Tamil Eelam führen wird. Viele Anhänger beschreiben ihn als Suriyadevan, Sonnengott. So dementierte die LTTE die angebliche Verwundung ihres Führers mit den Worten: Da Prabhakaran „wie eine Sonne“ sei, wäre es nicht einmal vorstellbar, ihn auszulöschen. Andere bezeichnen ihn sogar als moderne Inkarnation der hinduistischen Götter Vishnu oder Murugan, berichtet der tamilisch-kanadische Journalist David Jeyaraj.

Hinzu kommt, dass die LTTE kaum Nachfolger zu bieten hat, da sie viele tamilische Führungspersönlichkeiten konkurrierender Organisationen in den 80er Jahren systematisch ausgeschaltet hat. Der Tod Prabhakarans wäre also mehr als das Ende einer Symbolfigur. Es würde das Ende der LTTE bedeuten, wie sie seit 1976 bekannt ist.

Regierung macht bisher keine Vorschläge für politische Lösung

Die Regierung täuscht sich jedoch, wenn sie hofft, mit Prabhakaran auch die tamilischen Unabhängigkeitsbestrebungen loszuwerden. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass militärische „Siege“ ohne politische Idee sich meist als Pyrrhus-Siege herausstellten.

Erstens macht es die 25-jährige Kampferfahrung der Tamil Tigers unwahrscheinlich, dass die Organisation komplett zerschlagen werden kann. Selbst wenn es der Armee tatsächlich gelingen würde, den Norden zu besetzen und die LTTE an ihren Fronten militärisch zu schlagen, würden die Rebellen vermutlich in kleineren, schwer zu kontrollierenden Widerstandsgruppen aufgehen, die sich im Dschungel verstecken. Man muss nicht erst die Situation im Irak bemühen, um auf die verheerenden Konsequenzen eines Guerillakriegs mit täglichen Attentaten hinzuweisen.

Zweitens haben die historischen Ereignisse, die zum bewaffneten Kampf führten, eine weitaus längere Geschichte als die LTTE, die nur eine Folge dieser Entwicklung war. Jeder Vorschlag zur Lösung des Konfliktes muss das berücksichtigen. Die Regierung versprach nun, am 4. Februar - zum 60. Jahrestag der Unabhängigkeit Ceylons von den Briten - einen Plan vorzustellen, wie sie sich eine politische Lösung des ethnischen Konfliktes vorstellt.

Die Wurzeln des Konfliktes sind nicht militärisch zu beseitigen

Auch der Beginn des Bürgerkriegs jährt sich im Juli 2008 zum 25. Mal. Beide Jubiläen weisen auf einen der Hauptstreitpunkte im Konflikt zwischen der singhalesischen Bevölkerungsmehrheit und der tamilischen Minderheit hin: Die Sprache. Anstatt eine sensible Politik zu verfolgen, die dafür Sorge trägt, dass die Jahrtausendealte multiethnische, -religiöse und -sprachliche Zusammensetzung der Bevölkerung auch in den Institutionen der Insel repräsentiert wird, schlug das damalige Ceylon nach der Unabhängigkeit 1948 den Weg des singhalesisch-buddhistischen Nationalismus ein.

1956 traf die Regierung die fatale Entscheidung, Sinhala zur einzigen offiziellen Sprache des Landes zu machen. Jeyaray erinnert daran, dass Prabakharan damals gerade zwei Jahre alt war. Er war vier Jahre alt, als 1958 brutale anti-tamilische Gewalttaten ausbrachen. Der heutige LTTE-Chef war sieben Jahre alt, als die gewaltfreien Satyagraha-Proteste der Federal Party brutal von der Armee unterdrückt wurden. 1972 gab es erneut anti-tamilische Pogrome, nachdem Tamilen friedlich gegen diskriminierende Maßnahmen an den Universitäten protestiert hatten: Während Tamilen 250 von 400 Punkten benötigten, um einen Studienplatz in einer medizinischen Fakultät zu bekommen, mussten Singhalesen nur 229 vorweisen. Erst zu diesem Zeitpunkt - nach 20 Jahren Diskriminierung – begannen sich die ersten militanten tamilischen Gruppen zu bilden.

Während es damals noch die Chance für politische Reformen innerhalb des Gesamtstaates gab, ist es heute dafür vermutlich zu spät. Das Vertrauen ist so nachhaltig zerstört, dass die Regierung nicht um eine föderale Lösung mit weitgehender Autonomie herumkommt. Erst eine Anerkennung gleicher Rechte für die Tamilen könnte die Tigers überflüssig machen und Frieden bringen.

Für die dann neu entstehende tamilische Zivilgesellschaft würden mit einer solchen Lösung die Probleme aber erst beginnen. Sie müssten den Tigers oder ihren Nachfolgern deutlich machen, dass Alleinherrschaft und Diktatur keine Zukunft haben. Die Rechte der Minderheiten im tamilischen Gebiet – etwa der Moslems - sind eine weitere brisante Frage. Weiter muss eine Demilitarisierung der Gesellschaft vorgenommen werden. Fraktionskämpfe sollten unblutig und auf anderen Wegen als durch Exekutionen ausgetragen werden. Auch ohne militärischen Konflikt bliebe der Frieden wohl zerbrechlich.