Europol greift zu

Die bisher eher beschaulich agierende EU-Polizei soll in eine Agentur umgewandelt werden. Dahinter verbirgt sich der massive Ausbau der Kompetenzen der Haager Behörde

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

So richtig mag man mit dem Thema nicht an die Öffentlichkeit gehen: Eher beiläufig segneten die EU-Abgeordnete am Donnerstag mit einigen Änderungen die Vorschläge von EU-Kommission und Ministerrat zur Umwandlung des "Europäschen Polizeiamts" Europol in eine EU-Agentur ab. Was auf den ersten Blick wie eine rein bürokratische Amtshandlung aussieht, könnte jedoch massive Auswirkungen nicht nur für Kriminelle haben.

Nach der Umwidmung wird Europol eine Einrichtung wie die EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit oder das Zentrum zur Förderung der Berufsausbildung sein. Rein formal gesehen bekäme das Amt dann sein Budget von etwa 70 Millionen Euro (2007) aus den Brüsseler Kassen (und nicht wie bisher aus den Mitgliedsländern); die Mitarbeiter würden in den Beamtenstand rutschen. Verbunden ist mit der Umgestaltung aber eine enorme Ausweitung der Aufgaben und Möglichkeiten von Europol, insbesondere was den Datenaustausch mit nationalen Behörden anbelangt.

Bislang waren die Kompetenzen von Europol streng begrenzt. Über Vollstreckungsbefugnisse, beispielsweise für Festnahmen oder Hausdurchsuchungen, verfügt das gut 500 Mann starke Polizeiamt mit Sitz im niederländischen Den Haag schon gar nicht. "Europol hat den Auftrag, einen wesentlichen Beitrag zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität und des Terrorismus zu leisten", verkündet die Homepage der EU-Polizei. Geschehen soll dies vor allem über die Sammlung, die Auswertung und den Austausch von Informationen. Dies passiert - zumindest nach den Festlegungen der Übereinkunft über die Polizeibehörde vom Juli 1995 - jedoch nicht "automatisiert": Die Europol-Datenbanken können nur über sogenannte nationale Europol-Stellen, die als einzige Verbindungsstellen zwischen EU-Polizeiamt und Behörden der Mitgliedstaaten fungieren, angezapft und umgekehrt auch bestückt werden. Die Abfragen laufen nach bisherigen Vorschriften über offizielle Informationsersuchen. In Den Haag selbst sitzt zudem mindestens ein "Verbindungsbeamter", der die Interessen seines Landes wahrnehmen soll.

Die Begrenzung der Kompetenzen allerdings war weniger dem Interesse am Schutz der Privatsphäre der Bürger oder der strikten Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien geschuldet. Vielmehr galt gerade der Bereich von Justiz und Innerem als zentrales Element nationaler Souveränität. Nicht nur die Briten, die traditionell den staatlichen Ausverkauf an Brüssel fürchten, befürworteten zwar eine Zusammenarbeit der Rechts- und Innenbehörden, wollten sich aber möglichst nicht in die Karten schauen oder gar von Beamten aus anderen Ländern bevormunden lassen.

Ungebremster Informationsfluss

Mit der Verstärkung der mit dem Maastricht-Vertrag von 1992 eingeführten polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit als "dritter Säule" der Gemeinschaftspolitik und nicht zuletzt nach den Terroranschlägen von New York, Madrid und London wurden die strengen Regelungen aufgeweicht und allein in den vergangenen fünf Jahren durch ein halbes Dutzend Rechtsakte erweitert. So wurde beispielsweise mit einem Protokoll von November 2003 zum Europol-Übereinkommen ermöglicht, direkte Kontakte zwischen verschiedenen nationalen Behörden und Europol herzustellen - unter der formalen Voraussetzung, dass die nationale Europol-Stelle parallel unterrichtet wird.

Dieser ungehinderte Informationsfluss soll nun die Regel werden. Das "Einholen, Speichern, Verarbeiten, Analysieren und Austauschen von Informationen und Erkenntnissen, die von den Behörden der Mitgliedstaaten, von Drittländern oder anderen öffentlichen oder privaten Stellen übermittelt werden", soll laut Vorgaben der EU-Kommission künftig zentrale Aufgabe von Europol sein.

Ausdrücklich werden jetzt operative Maßnahmen, auch im Zusammengehen mit anderen Behörden, in die Tätigkeitsbeschreibung aufgenommen: "Koordinierung, Organisation und Durchführung von Ermittlungen und von operativen Maßnahmen, die gemeinsam mit den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten oder im Rahmen gemeinsamer Ermittlungsgruppen durchgeführt werden, gegebenenfalls in Verbindung mit Eurojust oder mit Drittstellen." Ebenso sollen die Informationen ungebremst und ungefiltert fließen. So ist als Aufgabe festgelegt, "Ermittlungen in den Mitgliedstaaten durch die Übermittlung aller sachdienlichen Informationen an die nationalen Stellen (zu) unterstützen".

Auch die Liste der Straftaten wird erweitert

Der Europäische Datenschutzbeauftragte warnte in seinem Gutachten zu der Europol-Umwandlung vor diesen Regeländerungen. So fordert er "spezifische Bedingungen und Einschränkungen hinsichtlich der aus privaten Quellen stammenden Informationen und Erkenntnisse, unter anderem um die Richtigkeit dieser Informationen zu gewährleisten" und die "Aufnahme von Garantien für den Zugriff auf Daten von Personen, die (noch) keine Straftat begangen haben".

"Die durch das Europol-Übereinkommen gebotenen Garantien sollten nicht abgeschwächt werden", meinte Peter Hustinx. Vor allem aber verlangt der Datenschützer, dass "der elektronische Zugang zu Daten in anderen nationalen und internationalen Informationssystemen und der Abruf dieser Daten (...) nur auf Einzelfallbasis unter strengen Auflagen zulässig sein" solle. Der neue Europol-Vertrag solle erst dann in Kraft gesetzt werden, wenn der EU-Rat einen entsprechenden Rahmenbeschluss zum Datenschutz gefasst habe. Das aber ist bis heute nicht geschehen, wie auch das Europaparlament am Donnerstag monierte.

Daneben soll auch die Liste jener Straftaten ausgeweitet werden, die Europol ins Visier nimmt. "Mit der Neuregelung sind die Interventionsmöglichkeiten des Polizeiamts nicht mehr nur auf die organisierte Kriminalität beschränkt. Der Tätigkeitsbereich von Europol wird vielmehr auf andere Arten schwerer Straftaten, die außerhalb der organisierten Kriminalität begangen werden, erweitert, was eine wesentliche Neuerung darstellt", heißt es in der Stellungnahme des Europaparlaments (8). Das ist sicher etwas positiv ausgedrückt. Denn tatsächlich umfasst die dem Kommissionsvorschlag angehängte Europol-Zuständigkeitsliste nicht nur schwerste Vergehen, sondern nahezu alle Arten von Straftaten.