Pulverfass Libanon

Wer hinter den Anschlägen steckt, ist noch immer nicht bekannt, zwischen Hisbollah und Israel bahnt sich ein neuer Konflikt an

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Am Freitag explodierte wieder einmal eine Autobombe im Libanon und tötete den Anti-Terrorismusspezialisten Wissam Eid vom Inneren Sicherheitsdient (ISF). Es war der 14. Anschlag in einer langen Serie, die im Oktober 2004 mit einem fehlgeschlagenen Attentat auf den Telekommunikationsminister Marwan Hamadeh begonnen hatte. Wer hinter der Anschlagserie steckt, ist immer noch unklar. Hisbollah kämpft in der Opposition gegen die „Marionettenregierung der USA“ und leistet sich gleichzeitig eine Propagandaschlacht mit Israel.

Bisher waren Journalisten und Politiker das Ziel der tödlichen Anschläge im Libanon. Mit Wissam Eid starb nun zum zweiten Mal ein Mann der libanesischen Sicherheitsdienste. Im Dezember 2007 wurde bereits der Brigadegeneral Francois al-Hajj ermordet. Beide waren verantwortlich für die erfolgreiche Bekämpfung der Fatah al-Islam, einer Al-Qaida nahe stehenden Gruppe, die sich im palästinensischen Flüchtlingslager Nahr al-Bared http://www.usatoday.com/news/world/2007-05-22-lebanon_N.htm für mehrere Monate Gefechte mit der libanesischen Armee geliefert hatten (Kämpfe im Libanon; Zone der Einsamen).

Die Regierungskoalition um Ministerpräsident Fuad Siniora hält Syrien und seinen Geheimdienst für den Tod von Francois Al-Hajj und Wissam Eid, sowie für alle anderen 11 Attentate verantwortlich. Dabei lassen gerade die Anschläge auf die beiden Militärs auch auf andere Urheber schließen. War es vielleicht ein Racheakt von Fatah al-Islam für die Niederlage in Nahr al-Bared? Sind noch andere militante islamistische Gruppen verwickelt, von denen es im Libanon eine ganze Reihe gibt? Es wäre kein Wunder, wenn sie sich die Führung der libanesischen Sicherheitsdienste als Ziel aussuchen, die für die Verfolgung islamistischer Terroristen zuständig sind.

Die anti-syrische Regierungskoalition hält dagegen, dass Wissam Eid Beweise von einer Verbindung zwischen Fatha al-Islam und dem syrischen Geheimdienst gefunden hätte und deshalb aus dem Weg geräumt werden musste. Wie auch alle andere Opfer der letzten drei Jahre wegen ihrer anti-syrischen Haltung ums Leben gekommen seien. Man erklärt das Oppositionsbündnis der schiitischen Hisbollah und der christlichen Freien Patriotischen Bewegung von Michel Aoun dafür mitverantwortlich. Schließlich seien sie pro-syrisch. Dabei ist Michel Aoun, ein Gegner der Hegemonie-Politik Damaskus, verbrachte er doch 15 Jahre wegen Syrien im Exil in Frankreich. Erst nach dem Abzug der syrischen Truppen aus dem Libanon im April 2005 konnte er erst wieder in sein Heimatland zurückkehren. Hisbollah hat strategisch ähnliche Ziele wie Syrien, nämlich einen starken Anti-Amerikanismus. Ideologisch liegen jedoch Welten zwischen dem Regime in Damaskus und der schiitischen Organisation. Für Hisbollah ist die Regierung unter Premier Fuad Siniora eine Marionette der US-Imperialismus.

Derartige Differenzierungen sind für den sunnitischen Mufti von Mount Libanon, Sheik Mohammed Ali Jouzou, anscheinend überflüssige Spitzfindigkeiten. Er meinte, die Opposition sei für jeden Tropfen Blut, der auf libanesischem Boden vergossen wurde, schuldig. „Die Opposition ist für die Opfer der Anschlagserie verantwortlich. Die Opposition ist für alle diese kriminellen Bomben verantwortlich.“

Neuer Krieg zwischen Israel und Hisbollah?

Dieser Meinung würde sich ganz sicher auch Walid Jumblatt, der Vorsitzende der Progressiven Sozialistischen Partei, anschließen. Er ist eine der Galionsfiguren der Regierungskoalition und ein ebenfalls vehementer Kritiker des syrischen Präsidenten Bashir Assads. Jumblatt hält es sogar für möglich, dass die Syrer auf einige Praktiken aus dem Libanesischen Bürgerkrieg (1975-1990) zurückgreifen. Damals wurden Ausländer gezielt getötet und entführt. „Mit dem syrischen und iranischen Terrorismus könnten wir zu diesem diabolischen Zyklus zurückkehren“.

Nach zwei Anschlägen auf UN-Friedenstruppen im Südlibanon, war es Mitte Januar zum ersten Mal zu einem Attentat auf ein Fahrzeug einer ausländischen Vertretung (US-Botschaft) gekommen. Der Drusenführer befürchtet zudem einen neuen Krieg zwischen Israel und der Hisbollah. In einem Interview mit dem pan-arabischen TV-Sender Al Arabiya mutmaßte Jumblatt, dass sich Hassan Nasrallah, der Hisbollah-Generalsekretär, bereits in den Vorbereitungen für den nächsten Krieg befinde. Nachdenklich hatten Jumblatt die Aussagen Nasrallahs anlässlich der Ashoura-Feierlichkeiten in Beirut gemacht. Vor mehreren Hunderttausenden von Menschen hatte der Generalsekretär behauptet, Hisbollah sei im Besitz von Körperteilen israelischer Soldaten, die im Libanon-Krieg 2006 gefallen waren. „Wir haben Köpfe, Hände und Füße, sogar eine halbwegs vollständige Leiche vom Kopf bis zum Becken." Für Walid Jumblatt ein Indiz, dass ein neuer Krieg bevorstehen könnte. „Wenn er von Leichenteilen spricht, kommt auch ein neuer Krieg?“

Besondere Wirkung hatten Hassan Nasrallahs Worte in Israel. Man bezeichnete ihn als „Kanalratte, die man eliminieren sollte“, denn seine Aussagen „erinnerten stark an Hitler“. Der Kolumnist Yigal Wait der Zeitung Yedioth Aharanot schrieb, dass Nasrallahs Worte „das Blut zum Kochen brachten“.

Das hatte der Hisbollah-Generalsekretär auch beabsichtigt. Nach den Behauptungen israelischer Medien, die von einigen Zeitungen in der Golfregion nachgedruckt wurden, er habe nach Anweisungen aus Teheran den Oberbefehl über den militärischen Flügel seiner Partei verloren, hat er sich nun ausgiebig revanchiert. Gleichzeitig stärkte er seine Position bei Verhandlungen über einen Gefangenaustausch der beiden israelischen Soldaten. „Unser Problem ist“, sagte der israelische Verteidigungsminister Ehud Barak, „dass wir Nasrallah immer mehr Bedeutung zumessen, als es eigentlich notwenig wäre. Er benutzt immer psychologischen Druck und ich empfehle einfach, seinen Kommentaren keine Beachtung mehr zuschenken.“

Hisbollah bringt die isaraelische Regierung in Verlegenheit

Ganz so einfach, wie es sich Ehud Barak macht, ist es allerdings nicht. Nachdem die libanesische Zeitung Al Akhbar ein Foto von einer Identitätsplakette eines im Libanon-Krieg 2006 gefallenen Soldaten abdruckte und behauptete, es gäbe noch mehr Fotos von Überresten toter Soldaten , wurde es sehr unangenehm für die Regierung. Die israelische Öffentlichkeit und besonders die Familien der getöteten 116 Soldaten stellten sich die gleiche Frage, die Hassan Nasrallah in seiner Rede an Ashoura in Beirut Richtung Israel gesandt hatte. „Welche Überreste hat die Armee den Hinterbliebenen gegeben?“ Nach jüdischem Brauch muss der Körper eines Verstorbenen komplett begraben werden. Deshalb suchen nach einem Selbstmordattentat auch Rabbis in gewissenhafter wie schrecklicher Kleinarbeit den Tatort selbst nach den kleinsten Körperteilen ab, um eine vollständige Bestattung der jüdischen Opfer zu gewährleisten.

Unangenehme Fragen, mit denen die israelische Regierung und das Militär konfrontiert werden: Hat die Armee die Familienangehörigen tatsächlich angelogen, wie der Generalsekretär der Hisbollah behauptet? Hat diese Armee, die sich rühmt, nie einen toten oder verwundeten Kameraden im Feld zurückzulassen, diesmal ihre gefallenen Soldaten nicht oder nur zum Teil nach Hause gebracht?

Die ganze Sache wäre vielleicht nicht so schwerwiegend, wenn es keine Vorgeschichte gäbe. Im September 1997 hatte Hisbollah ein 16-köpfiges Eliteteam der israelischen Armee in einen Hinterhalt gelockt und dabei insgesamt 12 Soldaten getötet. Danach sammelte Hisbollah die Überreste eines Soldaten ein, der durch eine Bombe getötet worden war und tauschte sie unter deutscher Vermittlung gegen 60 libanesische Gefangene aus israelischen Gefängnissen und den 40 toten Hisbollah-Kämpfern ein. Die Überreste des israelischen Soldaten wurden dem Roten Kreuz in einer Kühlbox übergeben, die allerdings auch Körperteile von zwei weiteren Soldaten enthielt, wie Hisbollah den Israelis mitteilte. DNA-Tests hatten das ergeben. Das israelische Militär wollte jedoch nicht, dass die Öffentlichkeit erfährt, dass noch mehr Soldaten vermisst waren und begrub alles zusammen in einem Sarg.

Hisbollah zeigte wenig später auf einer Webseite ein Foto mit fünf Füßen und fragte, wie es möglich sein kann, dass ein Mann fünf Füße habe. „Die Armee verschweigt euch die Fakten’, hieß es auf der Webseite. „Sie behandeln eure Söhne nicht nur ohne Respekt, wenn sie sie in den sicheren Tod schicken, sondern auch dann, wenn sie tot sind. Die Leichen euerer Söhne sind nicht vollständig und mit anderen Teilen von anderen Soldaten vermischt.“

Daraufhin musste die Armee ihre Fehler eingestehen. Familien von gefallenen Soldaten verlangten Autopsien und DNA-Tests ihrer bereits begrabenen Angehörigen, um sicher zugehen, dass sich im Sarg kein Mischmasch mit anderen befand.

Seither weiß man in Israel, dass es Regierung und Armee manchmal mit der Erfüllung der jüdischen Begräbnisriten nicht sehr genau nehmen. Darauf spekulierte Hassan Nasrallah mit seinen Aussagen und traf psychologisch manipulierend ins Schwarze der israelischen Öffentlichkeit. Das wäre dem Staatsfeind Nummer Eins nicht möglich, wenn er bei der israelischen Bevölkerung nicht den Nimbus der Glaubwürdigkeit und Authentizität besäße. Nach einer Umfrage in Israel schenkte man den Reden des Generalsekretärs der Hisbollah während des Libanon-Kriegs 2006 mehr Glauben als den Verlautbarungen der Regierungssprecher oder denen des damaligen Verteidigungsministers Amir Peretz.