Kunst und Konterkonspiration

Das Berliner Medienkunstfestival Transmediale.08 widmet sich dieses Jahr den Verschwörungstheorien

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Schon wieder ein Jahr um. Zum 21. Mal findet in Berlin die Transmediale statt, ein „Festival für Kunst und digitale Kultur“. Künstlerischer Leiter seit diesem Jahr ist Stephen Kovats. Der aus Kanada stammende Architekt war zuvor Chefkurator am V2_Institute for the Unstable Media in Rotterdam. Das Festival, dessen Weiterfinanzierung durch die Bundeskulturstiftung bis 2012 gesichert ist, kehrt in diesem Jahr zurück ins „Haus der Kulturen der Welt“, vom Berliner Volksmund „schwangere Auster“ genannt. Mit dem Motto „Conspire“ will Kovats „eine neue Ära voller spekulativer und kreativer Unternehmungen“ einleiten – so steht’s im Katalog. Grund genug für Nachfragen.

Was eigentlich ist eine Verschwörung?

Stephen Kovats: Ich habe bewusst als Motto der Transmediale den englischen Begriff „conspire“ in der Verbform gewählt. Die Konnotation im Englischen ist etwas verschieden. Im Englischen meint der Begriff eine enge Zusammenarbeit, abgeleitet vom Lateinischen „conspirare“ – zusammen atmen. Wir sind am konspirativen Akt und Handeln interessiert. In der politischen und kulturellen Auseinandersetzung unseres vom Internet geprägten Lebens sind wir alle Mitspieler in einem wachsenden Reich der Verschwörung geworden. Es ist fast schon Teil unseres Alltags.

Sie bezeichnen die Verschwörung als „Conditio humana“, als eine Vorbedingung des menschlichen Zusammenlebens.

Stephen Kovats: In jeder Gesellschaft hat es Verschwörungen gegen jemanden oder zusammen mit anderen gegeben. Die Menschheit bedurfte immer gewisser Narrative, um das Unbeschreibliche beschreiben zu können. Wir brauchen Geschichten, um unsere Fragen zu beantworten, auch wenn wir die genauen Hintergründe nicht kennen. Das wird strategisch gegen andere Erklärungen eingesetzt oder in Form einer Vermutung gestreut. Heute, im Zeitalter des Internet, kann jeder Autor sein und sagen, was er will. Solche Spekulationen können schnell zu einer Verschwörungstheorie oder einer verschwörerischen Darstellung anwachsen. Wenn aber jeder ein Verschwörer ist, bricht der Glaube an Autorenschaft zusammen. Wir wissen dann nicht mehr, wer uns mit Informationen versorgt. Wir wissen auch nicht, wer was in wessen Namen verteidigt.

Verschwörungstheorien sind ein Spiel mit Desinformation, Spekulation und der Reproduktion von Desinformation und Spekulation. Was ist fasziniert uns daran?

Stephen Kovats: Ich glaube, was uns daran fasziniert, ist die Unmöglichkeit, eine Verschwörungstheorie auf eine Realität zurückzuführen. Die besten Verschwörungen sind gleichzeitig immer die besten Fiktionen. Wir besitzen keine Mechanismen, um die wahre Realität über ein bestimmtes Ereignisses zu erfahren. Das wird immer so sein. Deshalb ist die Spekulation ein Teil unserer Diskussionskultur.

Das klingt ja fast schon anti-aufklärerisch?

Stephen Kovats: Ja, man kann es als Problematik beschreiben, wird doch die philosophische Autorität dadurch untergraben. Für einen Philosoph, dessen Lebensaufgabe im Denken und Schreiben besteht, ist der Verlust von Autorenschaft ein Problem. Philosophie hat auch mit Wahrheitsfindung zu tun. Wenn nun jeder mit seinem Aufsatz im Internet die ganze Welt erreichen kann, Philosophie als Hobby betreibt und damit in Fachkreisen anerkannt wird, ist die Autorität des Philosophen dahin. Mit der Transmediale wollen für diese Freiheit im Internet kämpfen, gleichzeitig aber auch auf die Gefahren, die damit verknüpft sind, hinweisen.

Ist das nicht ein Widerspruch?

Stephen Kovats: Die Menschen heute müssen viel mehr arbeiten. Man kann nicht mehr einfach nur ein Buch aufschlagen und nach Erkenntnis suchen. Informationen begegnen uns heute in fünf verschiedenen Versionen. Die Verantwortung dafür, wie wir sie aufnehmen und verarbeiten, nimmt uns keiner ab. Einerseits haben wir alle viel mehr zu tun, andererseits können wir auch viel mehr Unsinn produzieren. Und dies mündet in ein skurriles spekulatives Moment: in die Verschwörung. Auf der Konferenz gibt es ein Panel darüber, wie Terrornetzwerke das Internet nutzen, es ändern und dabei in ihrer Organisationsstruktur selbst verändert werden. Vor einem Jahr wurden zwei Deutsche im Irak verschleppt. Die Entführer erzwangen einen direkten Dialog mit dem Bundespräsidenten über Streaming-Foren. Eine absurde Situation, die ohne die technologischen Strukturen nicht möglich wäre. Uns interessiert daran, wie dies künstlerisch und strukturell aufgearbeitet wird.

Auf welche Weise beschäftigen sich die Künstler mit Verschwörungstheorien?

UBERMORGEN.COM / Paolo Cirio / Alessandro Ludovico (at/it). Amazon Noir - The Big Book Crime

Stephen Kovats: In der Ausstellung wird zum Beispiel ein Projekt von UBERMORGEN.COM, Paolo Cirio und Alessandro Ludovico gezeigt, „Amazon Noir – The Big Book Crime“. Das Projekt bedient sich eines bestimmten Mechanismus bei Amazon. Die „Search Inside“-Funktion, mit der sich man ausgewählte Passagen eines Buches vorab anschauen kann, zeigt ja, dass die Bücher gescannt worden sind und die Informationen irgendwo digital vorliegen. Das impliziert komplizierte Fragen nach dem Urheberrecht. Entweder ist ein Buch geschützt oder nicht. Wenn es jedoch in Teilen ausgeliefert wird, verschwimmen die Grenzen. Die beiden Künstler haben also eine Software entwickelt, um ein vollständiges Buch zu erhalten. Sie wählten dazu „Steal this book“ von Abbie Hoffman. Das hat eine Weile gedauert, doch schließlich schafften sie es, das gesamte Buch samt Cover zu rekonstruieren. Es wurde übrigens nicht geklaut, denn die Urheberschaft bezieht sich auf das materielle Buch bei Amazon.

Ist Medienkunst gar selbst eine Verschwörung?

Stephen Kovats: Ein Teil der künstlerischen Auseinandersetzung besteht darin, den Code der Sprache einer Verschwörung zu benutzen, auseinanderzunehmen und eine Art konterkonspirativen Sinn zu erzeugen. In der Ausstellung zeigen wir eine Arbeit von Trevor Paglen, der sich mit dem Wahren und Unsichtbaren innerhalb der amerikanischen Militärprogramme beschäftigt hat. Alle Militärs haben Geheimnisse, es gibt offene und sogenannte „schwarze“ Geheimnisse, die offiziell gar nicht existieren. Wir sehen beispielsweise einen Stuhl und ein militärischer Sprecher erklärt uns „Nein, diesen Stuhl gibt es nicht!“ Das ist eine sehr skurrile Welt, die mit Forschung für neue Waffen, Raketen und Flugzeuge befasst ist und um die sich viele unglaubliche Geschichten ranken. In all diesen Programmen, die offiziell gar nicht existieren, gibt es Menschen, die auf ihre Arbeit sehr stolz sind. Weil es beim Militär die Tradition von Insignien gibt, die auf Uniformen geheftet werden, haben auch die „schwarzen“ Programme, die eigentlich gar nicht existieren, ihre Abzeichen.

Trevor Paglen (us) - Symbology

Wenn so viele unsichtbare Leute bezahlt werden müssen, ist es kein Wunder, dass die Militärbudgets so hoch sind.

Stephen Kovats: Die Arbeit von Paglen hat eine skurrile und ironische Seite, aber auch eine ernste. Zum Beispiel operiert der CIA und vermutlich auch jeder andere Geheimdienst mit Entführungen („extraordinary rendition“). Leute werden mit unangemeldeten Flugzeugen in ein anderes Land gebracht, dort verhört und vielleicht gefoltert und anschließend wieder irgendwo anders hin verschleppt. Eigentlich müssten die Regierungen darüber Bescheid wissen, aber offiziell gibt es diese Flüge nicht. Paglen hat aber solche Flugzeuge fotografiert. Es gibt es ein riesiges Netzwerk von sogenannten „plane spotters“ auf der ganzen Welt. Das sind Leute, die Flugzeuge beobachten, und die haben solche Flüge tatsächlich bestätigt. Auf den Fotos sieht man nicht viel, den Horizont und die Silhouette von irgendetwas sowie Angaben über die Institution, die Entfernung und den Zeitpunkt der Beobachtung. Als Betrachter wird man in den spekulativen Prozess eingebunden und ist unsicher, ob es die Objekte wirklich gegeben hat oder ob Paglen damit spielt. Die Bilder lassen das offen.

Die Transmediale wirkt mit Vertretern aus Biologie, Chaosforschung, Architektur und Paraphysik in diesem Jahr besonders transdisziplinär. Liegt das am Thema, weil die Wissenschaften in ihrer Spezialisierung auf Außenstehende selbst wie Geheimbünde wirken. Oder ist Medienkunst tatsächlich in all diese Disziplinen involviert?

Stephen Kovats: Medienkunst ist eine Kunstform, die stark mit Technologie und Naturwissenschaft zu tun hat, weil es um Information, um Medien und um Wahrnehmung von Kommunikation geht. Deshalb hat Medienkunst einen so starken politischen Charakter. Der Chaosforscher Otto E. Rossler beispielweise – eine innerhalb seiner Disziplin umstrittene Person - beklagt die Mechanismen der wissenschaftlichen Konsensbildung, die er selbst als eine Art Verschwörung begreift.

Konsens innerhalb der geschlossenen Welt der Wissenschaften kommt bisweilen dadurch zustande, dass man nicht alles überprüfen kann, was andere gerade machen. Man übernimmt dann eine wissenschaftliche Erkenntnis sehr häufig auf der Basis von Meinungen. Innerhalb der Medienkunst gibt es viele Leute, die einen dekonstruktivistischen Zugang zur Technologie haben, um daraus neue Sachen zu entwickeln, neue Erkenntnisse, neue künstlerische Experimente. Was Rossler in seiner Wissenschaft erforscht – es ist ziemlich schwer verständlich und Hardcore-Mathematik – kann er zu einem Punkt bringen, von dem aus es ziemlich einfach ist, an künstlerische Prozesse anzuschließen. Deshalb arbeitet er sehr gerne mit Medienkünstlern zusammen.