Droht die "Mutter aller Finanzkrisen"?

Fred Bergsten vom renommierten Peterson Institute for International Economics weist auf mögliche Folgen der ökonomischen Ungleichgewichte hin

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Ökonomische Ungleichgewichte könnten die „Mutter aller Finanzkrisen“ verursachen

Geht es nach dem C. Fred Bergsten vom renommierten Washingtoner Peterson Institute for International Economics, dann steht dem Finanzsystem die ultimative Krise noch bevor. Beim Weltwirtschaftsforum in Davos erinnerte er jedenfalls an ein schon länger schwelendes Problem, das, sollten es nicht gelöst werden, nicht weniger als „die Mutter aller monetären Krisen“ verursachen könne: Der bevorstehende Ausgleich der internationalen Leistungsbilanz-Ungleichgewichte, also vor allem der Abbau des derzeit bei jährlich mehr als 700 Mrd. Dollar liegenden Defizits der USA, dem hohe Überschüsse der asiatischen Exportländer, der Ölexporteure und Deutschlands gegenüber stehen.

Das ist schon seit Jahren das Lieblingsthema des einflussreichen Ökonomen, der allerdings derzeit sogar auch einige positive Tendenzen beobachtet: So sei das US-Außendefizit seit 2005 um rund 100 Mrd. USD zurückgegangen und das US-Budgetdefizit habe sich – dies allerdings konjunkturell bedingt, wie Peterson betont – im letzten Finanzjahr auf 1,2 Prozent des US-BIP verringert. Dazu komme eine handelsgewichtete Abwertung des Dollar um 25 Prozent, die die US-Devise „graduell und geordnet“ gegen frei floatende Währungen auf das laut Petersen anzustrebende „Gleichgewichtsniveau“ hat abrutschen lassen. Das betreffe vor allem den Euro der mit 1,5 USD je Euro fair bewertet sei.

Damit sei die „1. Phase“ der erforderlichen Anpassungen jedoch abgeschlossen und es müsse nun eine „2. Phase“ folgen, die laut Peterson eine weitere Reduktion des US-Leistungsbilanzdefizits um 1,5 bis 2 Prozentpunkte erfordere. Denn dann würde die Auslandsverschuldung der USA, die makroökonomisch jedes Jahr in Höhe des Leistungsbilanzdefizits zunimmt, im Verhältnis zum US-BIP konstant bleiben, was Bergsten für „nachhaltig“ hält. Voraussetzung dafür sei jedoch eine weitere handelsgewichtete Abwertung des Dollar um zehn bis 15 Prozent.

Das große Problem, das Petersen nun herannahen sieht, ist die Gefahr, dass diese Abwertung ungeordnet erfolgen werde: „Viele Dollar-Halter - unter anderem Zentralbanken, staatliche Investmentfonds (Sovereign Wealth Funds) und private Investoren – wollen dringend in andere Währungen diversifizieren. Da die ausländischen Dollarbestände insgesamt mindestens 20 Billionen Dollar umfassen, könnte selbst eine bescheidene Umsetzung dieser Wünsche einen freien Fall des Dollar und eine umfassende Zerrüttung der Märkte und der globalen Wirtschaft bewirken.“ Diese schon länger umlaufende Angst sei laut Peterson an den Märkten und bei Geld- und Wirtschaftspolitiken zuletzt massiv angestiegen.

Die großen Notenbanken stünden nun vor der Herausforderung sicherzustellen, dass die unbedingt erforderliche Dollar-Abwertung weiterhin geordnet verläuft und nicht in eine Panik ausartet; und dass sie gegenüber den richtigen Währungen erfolgt, also gegenüber den der derzeit mehr oder weniger fest an den Dollar gebundenen Exportländern - vor allem China -, die in der nun anstehenden „2. Phase“ die Hauptlast der Dollarabwertung tragen müssten.

Das stößt in den betroffenen Ländern bekanntlich nicht auf viel Zustimmung, da dadurch einerseits deren internationale Wettbewerbsposition verschlechtert würde, sie anderseits aber auch hohe Verluste auf ihre Dollarbestände zu verschmerzen hätten. China, das gegenüber dem Dollar wohl um die 30 Prozent aufwerten müsste, dürfte eine Aufwertung also gut 400 Mrd. Dollar (nach aktueller Kaufkraft) kosten. Andernfalls erwartet Bergsten für China 2009 einen Leistungsbilanzübeschuss von 500 Mrd. USD, also bereits gut drei Viertel des US-Defizits. Schon jetzt müsse China monatlich mit 40 bis 50 Mrd. USD an den Devisenmärkten intervenieren, was schlicht doppelt so viel sei wie 2005, als China offiziell angekündigt hatte, sich nun stärker einem marktbasierten Währungssystem zuwenden zu wollen.

Schritt auf dem Weg zum bipolaren Weltwährungssystem

Angesichts dieser Herausforderungen sieht Bergsten unmittelbaren Handlungsbedarf, der folgende Kernpunkte umfasst: Unter dem Dach des Internationalen Währungsfonds solle ein “Asian Plaza Agreement” (benannt nach einer 1985 im New York Plaza geschlossenen Vereinbarung, japanischen Yen und D-Mark gegenüber dem Dollar stark aufzuwerten) vereinbart werden, das eine Aufwertung der „richtigen“ Währungen sicherstellt. Außerdem müsse ein Notfallplan entwickelt werden, damit eine internationale Kooperation der Notenbanken im Falle einer Dollarpanik sofort einschreiten könne.

Letztlich schlägt Bergsten eine monetäre Lösung vor, die „als einzige alle betroffenen Parteien befriedigen“ könne und die Bergsten schon im Dezember via „Financial Times“ angeregt hatte. Der IWF möge ein „Substitutionskonto“ („Substitution Account“) einrichten, in den die Überschussländer ihre ungeliebten Dollars abladen könnten, wofür sie so genannte „Sonderziehungsrechte“ (special drawing rights, SDR) erhalten sollten, eine Art internationaler Währung, die 1969 vom IWF eingeführt wurde und die derzeit im Gegenwert von 34 Mrd. USD in Umlauf ist. Ein vergleichbarer Plan war schon 1970 sowie 1978, als der Dollar sich in einer ähnlichen Lage befunden hatte, ausgearbeitet, niemals aber umgesetzt worden. 1978 wurde er laut Bergsten jedoch nur deshalb nicht realisiert, weil die USA die Leitzinsen auf zweistellige Niveaus angehoben hatten, um die ebenfalls zweistelligen Inflationsraten einzubremsen, was den Einbruch des Dollar damals gestoppt und umgekehrt hatte.

Derart rabiate Maßnahmen dürften von der US-Notenbank Fed auf absehbare Zeit nicht zu erwarten sein, so dass Bergsten keinen anderen Weg sieht, den internationalen Dollarüberhang abzubauen.

Diese SDRs wären in einem Währungskorb denominiert (44 % Dollar, 34 % Euro, je 11 % Yen und Sterling) und würde den Dollar in US-Aktien investieren, wobei als zusätzliche Deckung die Goldreserven des IWF von 80 Mrd. USD herangezogen werde könnten. Damit würden die Notenbanken ihre Dollarbestände abbauen können, ohne die Währungsmärkte zu erschüttern, und hätten gleichzeitig ihre Reserven über den Währungskorb sofort optimal auf das von Bergsten erwartetete „bipolare Weltwährungssystem“ verteilt, in dem der Euro künftig gleichauf neben dem Dollar stehen wird. Bei Bedarf könnten diese SDRs zudem jederzeit „für Zahlungsbilanzzwecke oder andere legitime Zwecke genutzt werden. Da sich durch die SDRs auch die internationale Geldmenge nicht erhöht, würden die Inflationsgefahren in den Exportländern gelindert, während die USA dadurch vermeiden könnte, die Leitzinsen zu sehr anheben zu müssen.

Für den Währungsfonds antwortete der IWF-Historiker James M. Boughton, der den Substitution Account zwar als exzellente Idee bezeichnet, allerdings zwei Schwierigkeiten sieht: So müsste das Wechselkursrisiko, das die Notenbanken abgeben wollen, von irgendjemandem übernommen werden, wofür eine Formel gefunden werden müsse, die für die USA und die anderen Länder akzeptabel ist. Außerdem befürchtet Boughton, dass der Fonds weniger liquide sein könnte, als die Notenbanken es erwarten würden, insbesondere kann er sich nicht vorstellen, dass ohne offizielle Hilfe ein liquider privater Markt für SDRs entstehen könne.

Die von Bergsten geforderte verstärkte internationale Kooperation im Krisenfall dürfte vermutlich eher umgesetzt werden können, wie die erfolgreichen Kooperationen der Notenbanken vor Weihnachten gezeigt haben. Ob es für die Europäische Zentralbank (EZB) aber sinnvoll sein wird, einen weiteren Euro-Anstieg etwa mit Dollar-Stützungskäufen zu behindern, muss sich erst herausstellen. Schließlich brächte sich die EZB, wenn sie denn begänne, die US-Defizite zu finanzieren, in das selbe Dilemma, in dem sich jetzt die asiatischen Notenbanken befinden.