Der Tod und das Mädchen

Ihr trauriges Ende machte das Hollywood-Sternchen Peg Entwistle zur heimlichen Schutzheiligen aller verhinderten Stars. Heute wäre sie 100 Jahre alt geworden

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Seit bald neun Jahrzehnten thront der berühmte Hollywood-Schriftzug in den Hügeln über Los Angeles. Ihre ursprünglich nur für einige Monate vorgesehene Errichtung im Sommer 1923 verdankte die Buchstabenkette, die anfangs noch Hollywoodland lautete, vielmehr einem pfiffigen Reklamegag, mit dem eine Firma ihre Immobilien möglichst schnell an den Mann bringen wollte. Allerdings musste erst einige Zeit vergehen, bis aus dem schrillen Werbeschild ein Wahrzeichen der ansonsten recht konturlosen Stadt werden konnte. Nichts ganz unbeteiligt an dieser Umdeutung der Reklametafeln zum legendenumwobenen Emblem Hollywoods ist das traurige Schicksal Peg Entwistles, einer jungen Schauspielerin, die der ungestillte Drang nach Ruhm nach Hollywood und schließlich in den Tod getrieben hat.

Hollywood-Schriftzug mit der Satellitenkamera gesehen. Bild: NASA/Goddard Space Flight Center

Stolze 15 Meter, so hoch wie ein vierstöckiges Gebäude, ragen die weiß gestrichenen Schilder am Mount Lee in den blauen kalifornischen Himmel. Sogar nachts leuchtete einst ihre Reklamebotschaft mit der Strahlkraft von 4000 Glühbirnen über der Westküstenmetropole; ein eigener Wärter namens Albert Kothe, der eine Hütte hinter dem ersten L bezog, kümmerte sich darum, die ausgebrannten Glühbirnen auszutauschen – eine geruhsame Beschäftigung; denn besondere Vorfälle pflegten sich auf den Hügeln vor der Stadt nur äußerst selten zuzutragen.

Doch am Abend des 16. September 1932 verließ Peg Entwistle das Haus ihres Onkels am Beachwood Canyon Drive. Statt sich wie angekündigt mit Bekannten zu treffen, erklomm die 24-Jährige die Südseite des nahe gelegenen Mount Lee, legte, am Fuß der monströsen Reklametafeln angelangt, ihren Mantel ab und kletterte – vom Wärter unbemerkt – die Leiter am Gerüst der ersten nach oben. Es war das H, von dessen Spitze aus das verzweifelte Mädchen noch einmal auf die Lichter Hollywoods hinabblickte, um sich dann in die Tiefe zu stürzen, wo sie zwischen Gestrüpp und Kakteen liegen blieb.

Erst am übernächsten Tag fand man am Abhang ihre blutige Leiche und einen flüchtig hingekritzelten Abschiedsbrief: „I am afraid, I am a coward. I am sorry for everything. If I had done this a long time ago, it would have saved a lot of pain“, stand auf dem Blatt, das die Schauspielerin in ihr Handtäschchen geschoben hatte. Die Polizei war zunächst ratlos. Erst als die Presse eine Personenbeschreibung und die – nur mit den Initialen P.E. versehenen – Abschiedszeilen der Unbekannten abdruckte, wandte sich Pegs verzweifelter Onkel an die Polizei.

Hollywood Sign Girl

Mit der stilgerechten Inszenierung ihres Abgangs, die der monumentalen Kulisse eine makabere Hauptrolle zugedacht hatte, dürfte Peg Entwistle in Hollywood neue Maßstäbe für suizidale Nachfolger gesetzt haben. Auf jeden Fall aber hat ihr der Todessprung den Ruhm gesichert, dem sie zeitlebens vergebens hinterhergejagt war. Dabei hatte die Karriere der vor genau 100 Jahren (als Geburtsdatum scheint bisweilen auch der 1. Juli 1908 auf, die amtliche Sterbeurkunde lässt aber keinen Zweifel am 6. Februar) im walisischen Port Talbot geborenen und später mit ihrem Vater in die USA emigrierten Frau durchaus verheißungsvoll begonnen. Bereits mit 17 Jahren feierte Peg ihr Bühnendebüt, und es dauert nicht lange, bis ihr erste Hauptrollen am Broadway angetragen wurden. Das Leben schien es doch noch gut mit der jungen Frau zu meinen, die in ihrer britischen Heimat zunächst ihre Mutter und dann, nach der Übersiedelung nach New York, auch ihren Vater verloren hatte.

Nun hatte alles den Anschein, als stünde Peg am Beginn einer kerzengeraden Karriereleiter. Selbst bei der – beruflich noch unschlüssigen – Bette Davis, die 1926 verzückt einer Inszenierung von Ibsens „Wildente“ beigewohnt hatte, hinterließ ihr Talent einen folgenschweren Eindruck: „Vor dieser Aufführung hatte ich bloß den Wunsch verspürt, Schauspielerin zu werden”, erinnerte sie sich später, “aber als sie zu Ende war, musste ich einfach eine Schauspielerin sein – genau so wie Peg Entwistle!“

Das Unheil aber ließ nicht lange auf sich warten: im Privaten, weil ihre Kurzzeitehe mit dem Schauspieler Robert Keith schon nach einigen Monaten Schiffbruch erlitt (er hatte ihr eine frühere Ehe samt Sohn verheimlicht); und auf der Bühne, weil die Wirtschaftskrise mit Wucht auch über den Broadway fegte und die Theaterbranche arg ins Schlingern brachte. Das Publikum, das sich den teuren Eintritt nicht mehr leisten konnte, blieb aus, und die Stücke, in denen Peg Entwistle jetzt noch mitwirkte, endeten allesamt im finanziellen Fiasko.

Gardenien im Nebel

Wie viele ihrer Kollegen versuchte Peg nun ihr Glück in Hollywood, wo der Einzug des Tonfilms frischen Talenten die Studiotore geöffnet hatte. Nach ihrer Ankunft in Los Angeles fand sie im April 1932 eine Bleibe in einem Wohnheim für angehende Schauspielerinnen. Und in der Tat trug ihr die Broadway-Erfahrung rasch ein erstes Bühnenengagement ein, das sie an der Seite von Humphrey Bogart bestritt, einem Hollwood-Neuling wie sie. Doch das Stück, das ihr als Sprungbrett in die Filmwelt dienen sollte, wurde trotz Kritikerlob schon nach wenigen Tagen wieder abgesetzt. Als es ihr dann aber gelang, beim Studio RKO eine bescheidene Filmrolle in der David-O.-Selznick-Produktion Thirteen Women an Land zu ziehen, schien sich das Blatt noch einmal zu wenden.

Und wieder kam es anders: Als die vorab erschienenen Kritiken kein gutes Haar an der Produktion ließen, zog man es vor, den Filmstart kurzfristig abzublasen und den Film stattdessen noch einmal in den Schneideraum zu schicken. Das Filmstudio ließ daraufhin seine Vertragsoption verstreichen, auf die Peg all ihre Hoffnungen gesetzt hatte. Mit dem Mut der Verzweiflung hetzte sie nun von einem Vorsprechen zum nächsten; selbst zu Nacktaufnahmen ließ sich die glücklose Schauspielerin in Ermangelung neuer Engagements bewegen. Schon zuvor war sie, um finanziell über die Runden zu kommen, zu ihrem Onkel gezogen.

Als eine rücksichtslos gestraffte Version von Thirteen Women dann doch noch in die Kinos kam, war von Entwistles kleiner, aber durchaus vielversprechender Nebenrolle kaum mehr übrig geblieben als ein nichtssagender Statistenpart. Fünf Monate nach ihrer Ankunft war sie nun am Ende ihrer Kräfte angelangt. An jenem unheilvollen Septemberabend, just an jenem Abend, an dem Thirteen Women seine verspätete Premiere feierte, schlug Peg Entwistle den Weg zum Mount Lee ein – man hatte sie zur Premiere des Films, der ihr einziger bleiben sollte, nicht einmal mehr eingeladen.

Noch lange vor seiner Adelung zum Ansichtskartenmotiv hatte sich mit ihrem Tod der düstere Mythos Hollywoods über den Schriftzug gelegt. Dazu passt auch, dass schon bald das Gerücht von einer geheimnisvollen Frauengestalt die Runde machte, die im weißen Cocktailkleid hügelan schreitet, um dann, den Duft von Gardenien verströmend, zwischen den gigantischen Schildern im Nebel zu verschwinden. Vielleicht macht ihrer ruhlosen Seele ja noch immer eine späte Ironie des Schicksals zu schaffen: Nur wenige Tage nach ihrem Todessprung flatterte nämlich bei ihrem Onkel ein Brief ins Haus, der der Schauspielerin die ersehnte Hauptrolle in einem Stück des Beverly Hills Playhouse versprach, angeblich die Rolle einer jungen Frau, die im letzten Akt Selbstmord begeht.

Mit dem Schriftzug ging es trotz solcher Legendenbildung danach steil bergab. Die Glühbirnen wurden gestohlen oder fielen aus, das H ächzte im Wind und erst 1949 sprang die Hollywood Chamber of Commerce in die Bresche und setzte den desolaten Schriftzug wieder instand – allerdings ohne die letzten vier Buchstaben und ohne Beleuchtung. Aber schon 20 Jahre später bot das Hollywood abermals einen traurigen Anblick, und diesmal war es eine Charity-Aktion, die das Wahrzeichen 1973 vor dem Abriss bewahrte. Doch kaum war die Sanierung abgeschlossen, machten sich Brandstifter beim ersten L zu schaffen und krachte das dritte O, an dem nach dem Zahn der Zeit nun auch noch Termiten genagt hatten, den Hang hinunter. Daraufhin mobilisierte Playboy-Gründer Hugh Hefner allerlei Prominenz, die bei einer Auktion die Patenschaften für die Neuerrichtung der einzelnen Buchstaben übernahm (ein O ging etwa an Rockstar Alice Cooper. Die Trümmer der alten Schilder jedoch verschwanden und tauchten erst 2005 wieder auf, als sie im Internet um 450.400 Dollar versteigert wurden. Kein schlechter Preis für morsche Bretter.