Irans Parlamentswahlen

Düstere Aussichten für die Opposition vor den Wahlen

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Am 14. März finden die Wahlen zum achten Parlament der Islamischen Republik Iran statt (siehe Richtungsweisende Wahlen im Iran). Die Reformer, die beide Staatsgewalten, die Legislative (Parlamentswahlen von 2004) und die Exekutive (Präsidentschaftswahlen von 2005), verloren hatten, hatten sich große Chancen bei den anstehenden Parlamentswahlen ausgerechnet. Die klägliche Bilanz der konservativen Regierung Ahmadinedschad (vgl. Wie lenkbar ist der Oberste Führer?) hatten keine Zweifel übriggelassen, dass die Konservativen keine Chance auf den Sieg bei irgendeiner Wahl hätten. Der Sprung zur Rückeroberung des Parlaments auf dem Weg zur Wiedererlangung des Präsidentenamtes im nächsten Jahr war unter den Reformern um den Ex-Präsidenten Mohammad Khatami fest eingeplant. Die Reformer haben mit breiter Brust ein umfassendes Programm konzipiert.

Der Irrtum der Reformopposition

Die Hoffnungen und Pläne der Reformisten und Pragmatiker um Ex-Präsident Ali Akbar Haschemi Rafsandschani, die sich auch in der breiten öffentlichen Meinung widerspiegelte, scheinen allem Anschein nach nicht eingetreten zu sein. Der Wächterrat, das für die „Überwachung“ der Wahlen verfassungsmäßig zuständige Organ, hat noch offiziell keine Liste der zugelassenen Kandidaten bekanntgegeben. Die Frist zur Nominierung ist bereits abgeschlossen und die diversen Kontrollorgane des Wächterrates und des Innenministeriums haben auch ihre Berichte an den Wächterrat weitergeleitet. Von insgesamt 7.200 Kandidaten wurde die Zulassung von 2.200 (31%) abgelehnt. Laut inoffiziellen, aber zuverlässigen Berichten sollen die Konservativen und Islamisten (Usulgharayan) 95% der durch den Filter des Wächterrats hindurchgegangenen Kandidaten stellen.

Etwa 97% der Reformkandidaten (Eslahtalaban) sollen von den Wahlen ausgeschlossen worden sein. Zuverlässigen Berichten zufolge sollen von insgesamt 290 Parlamentssitzen bereits vor der Wahl über 180 an die Konservativen gefallen sein. In den Provinzen, denen insgesamt 255 Sitze zukommen, haben die Reformkandidaten de facto nur die Chance, um nur 84 Plätze mit den Konservativen zu konkurrieren.

Landesweit sollen die Reformer in ca. 90 Wahlkreisen die Möglichkeit des Wettbewerbs haben. Unter den Ausgeschlossenen befinden sich prominente Politiker, etwa Minister im Kabinett Khatami, etliche Gouverneure der Reformregierung und zahlreiche Ex-Parlamentarier, die allein aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum Reformlager bzw. wegen Kritik an der Regierung Ahmadinedschad nicht um den Parlamentseinzug konkurrieren dürfen. Vielen dieser Bewerber wurde mündlich und schriftlich mitgeteilt, dass sie gegen den Art. 28 des Wahlgesetzes verstoßen hätten. Dieser Artikel beinhaltet die praktische Verpflichtung zum Islam und dem heiligen Regime der Islamischen Republik Iran, die Treue zur Verfassung und dem „fortschrittlichen Prinzip der absoluten Herrschaft des Rechtsgelehrten (Welayat-e Fagih)“.

Der geniale Schachzug der Konservativen und Islamisten

Würden im Iran halbwegs freie Wahlen stattfinden, würde das konservativ dominierte Parlament, das Ahmadinedschads Regierung stützte, abgewählt werden. Alle offiziellen und inoffiziellen Meinungsumfragen gingen davon aus, dass die Konservativen angesichts der desaströsen Amtsführung des Präsidenten Ahmadinedschad keine Chance hätten. Selbst der prominente Erzkonservative Ahmad Tawakoli hatte Ahmadinedschads Wirtschaftspolitik als ein „Schiff ohne Kompass“ bezeichnet. Von der prekären Lage wussten sicher auch die Konservativen selbst.

Für sie bestand die einzige Chance, eine Niederlage bei den Parlamentswahlen abzuwenden, in der Verhinderung der Zulassung der Reformkandidaten. Nun besitzen die Konservativen und Islamisten die entscheidenden Mittel für das Erreichen dieses Ziels, den Wächterrat und das Innenministerium. Der Wächterrat stellt die Kontrollgremien und der Innenminister, der Erzkonservative Mostafa Pour Mohammadi, ist der oberste Stabchef der Wahlen. Beide Instanzen sind von eingeschworenen Konservativen und Reformgegnern besetzt. Die Regierung Ahmadinedschad bzw. das gesamte konservativ-islamistische Spektrum, die solche kritische Tage kommen sahen, haben längst die Weichen für schwierige Zeiten mit dem Ziel, an der Macht zu bleiben, gestellt.

So hat Ahmadinedschad bei seinem Amtsamtritt dafür gesorgt, dass die meisten seiner Ministerien von ehemaligen ranghohen Offizieren der Revolutionswächter und Geheimdiensten besetzt wurden (vgl. Unübersehbar heftige Spannungen). Pour Mohammadi war jahrelang Stellvertreter des berüchtigten und von Interpol gesuchten Ex-Geheimdienstministers Ali Fallahian. Dem Innenministerium fällt die Hauptaufgabe zur Durchführung der Wahlen zu. Dieses Ministerium ist das politisierteste und am meisten mit der Überwachung der Bevölkerung beschäftigte.

Die beiden Vizeminister sind Ex-Generäle der Revolutionswächter. Brigadegeneral Alireza Afschar, der de facto Pour Mohammadi als Stabschef der Wahlen vertritt, ist zuständig für politische Angelegenheiten und Wahlen. Mit ihm an der Spitze der Wahlorganisation waren Manipulationen vorprogrammiert. In den Provinzen sind offiziell die Gouverneure, aber de facto die Bezirksverwalter (Farmandar) und Kreisverwalter (Bakhshdar), für die Durchführung der Wahlen zuständig.

So ernannte Ahmadinedschad über seinen Innenminister ehemalige Kommandeure der Revolutionswächter zu Gouverneuren und diese wiederum besetzten fast alle Posten der Bezirks- und Kreisverwaltungen mit Gleichgesinnten. Ahmadinedschads strategische Vorkehrungen zahlen sich heute aus. Um das zu veranschaulichen empfiehlt es sich, einen kurzen Blick auf die wichtigsten Punkte der organisatorischen Regularien zu den Parlamentswahlen zu werfen.

Organisation von Wahlen in der Islamischen Republik Iran

Gemäss Art. 99 der iranischen Verfassung obliegt die Überwachung von Wahlen und Volksabstimmungen dem Wächterrat. Der Wächterrat hat offiziell die uneingeschränkte Intervention bei den Wahlen ab der 4. Wahlperiode (1992-1996) gesetzlich mit Hilfe konservativer Parlamentarier durchgesetzt. Diese „Überwachung“ erfolgt laut Gesetz nach Ermessen und Empfinden des Wächterrates (Nezarat-e Esteswabi) und erstreckt sich auf alle Wahlphasen und in all ihren Belangen.

Der Wächterrat und das Innenministerium müssen zu allererst die Liste der Kandidaten an das Informationsministerium, den Generalstaatsanwalt, die Einwohnermeldeämter sowie die Teheraner Dienststelle von Interpol schicken. Der Wächterrat ernennt dann ein zentrales Überwachungsteam (Heyathay-e Nezarat), welches Gremien in den Provinzen aufstellt. Hierarchisch unter diesem Gremium, aber völlig unabhängig vom Wächterrat, kontrollieren die örtlichen Gremien (Heyathay-e Edschari) die Durchführung der Wahlen in den Wahlbezirken. Diese örtlichen Gremien sammeln Informationen über die örtlichen Kandidaten und leiten sie an den Wächterrat als oberste Kontrollinstanz weiter.

Diese Ortsgremien spielen besonders bei diesen Wahlen eine entscheidende Rolle. Weil sie überwiegend von den Bezirks- bzw. Kreisverwaltungen aufgestellt werden, die Ahmadinedschads Männer und auch Gleichgesinnte des Wächterrates sind, erklärt sich somit, weshalb die Reformkandidaten kaum Chancen haben, zu den Wahlen zugelassen zu werden.

Zudem soll Afschar den Ortgremien die Namen der „kritischen Kandidaten“ gesondert genannt haben. Zwar hatte das reform-pragmatische Lager Manipulationen des Wächterrates und des Innenministerium erwartet, doch wurde es von der Dimension dieses Unternehmes angesichts der weit verbreiteten Kritik gegen Ahmadinedschad und das gesamte konservative Lager überrascht. Der Coup von Wächterrat und Ahmadinedschad düpierte die Opposition sehr wirkungsvoll.

Reaktion der Opposition

Die Opposition ist vom Verlauf der Ereignisse im Vorfeld der Wahlen sichtlich überrascht. Es besteht überhaupt keine Einigkeit darüber, wie man sich bei den Wahlen verhalten soll. Lediglich die Position der „Partei des Nationalen Vertrauens“ um den Ex-Parlamentspräsidenten Mehdi Karubi ist ganz deutlich. Der Geistliche will auf jeden Fall an den Wahlen teilnehmen und mahnt die anderen benachteiligten Parteien, keinen harten Ton einzuschlagen.

Karubi hofft, dass er vielleicht mit Verhandlungen mit den einflussreichen Geistlichen den Ausschluss einiger seiner Männer rückgängig machen kann. Ex-Präsident Khatami sprach von einer „radikalen Rechnungsbegleichung“ seitens der Konservativen. „Die Teilnahme an den Wahlen, bei denen wir keine Kandidaten haben, ist zwecklos.“ Sein Ex-Vize Mohammad Reza Aref warnte, es sei wahrscheinlich, dass die Reformer den Wahlen fernblieben, wenn es so weiterginge.

Ex-Präsident Rafsandschani, dessen enges Umfeld für die Wahlen nicht kandidierte um sich nicht düpieren zu lassen, hat sich auffällig zurückgehalten. Er ließ sich lediglich auf ein Treffen mit Khatami und Karubi zwecks Beratung über Lösungsmöglichkeiten ein. Khatami traf sich auch mit der reformistischen „Gemeinschaft der kämpfenden Geistlichen" (Majma'-e Rohaniyun-e Mobarez). Die Gemeinschaft drohte mit Wahlboykott:

Die Anwesenheit bei jenen Wahlen, bei denen das Schicksal von mehr als zwei Dritteln der Wahlkreise bereits vor der Wahl bestimmt ist, ist sinnlos.

Die „Organisation der Modschahedin der Islamischen Revolution“ (Sazman-e Modschahedin-e Enqelab-e Eslami) warnte in einem sehr mutigen Brief an den obersten Religionsführer Ayatollah Ali Khamenei vor den Folgen eines derartigen Wahlganges. Die Organisation nennt den Urheber indirekt:

Wir sind Zeuge der konspirativ durchorganisierten Komplotts, Diffamierung und Beleidigung gegen die Reformer. Bedauerlich, dass an der Spitze dieser Welle die Zeitung Keyhan unter Leitung Ihres Vertreters und auch die Kanzeln des Freitagsgebets stehen.

Mustafa Tadschzadeh, Innenminister unter Khatami und heute Vorstandsmitglied der Partizipationspartei (Dschibhe-e Moscharekat) macht auch indirekt den Religionsführer für die Lage verantwortlich:

Nach der Niederlage von Ahmadinedschads Regierung hinsichtlich eines fairen Wettbewerbs mit den Reformern ist nun der Wächterrat an der Reihe, der unter der Federführung des Religionsführers agiert.

Der Wächterrat besteht aus zwölf Mitgliedern, sechs Geistlichen und sechs Juristen. Die Geistlichen werden direkt von Khamenei ernannt, die juristischen Laien werden auf Vorschlag des Chefs der Judikative vom Parlament gewählt.

Der Chef der Judikative wird aber auch direkt vom Religionsführer Khamenei berufen! Die Opposition hat zu recht indirekt die eigentliche Quelle des Übels ausfindig gemacht. Und doch wagt es keiner, ihn beim Namen zu nennen, außer dem Studentenverband „Büro zur Festigung der Einheit“ (Daftare Tahkime Wahdat; DTW), die einzige offiziell, wenn auch mit Argwohn, anerkannte Studentenorganisation (vgl. Unübersehbar heftige Spannungen) ruft indirekt das Volk zum Boykott der Wahlen auf.

Einige Großayatollahs, wie der einstige designierte Khomeini-Nachfolger Ayatollah Hussein Ali Montazeri sowie Ayatollah Taheri Esfehani kritisierten hart die Arbeit des Wächterrates. Der Überwachungsmodus des Wächterrates bedeute den Tod der Revolution und der Verfassung, so Ayatollah Taheri.

Die konservativen Islamisten geben sich siegessicher und halten die Entscheidungen des Innenministerium und des Wächterrates für absolut rechtens. Sie werfen sogar vielen Reformern vor, kandidiert zu haben, obwohl sie wussten, dass sie abgelehnt würden! Die Führung des Militärs und der Revolutionswächter äußern sich eifrig zu den Wahlen. Der Stabschef der iranischen Streitkräfte, Generalmajor Hassan Firouzabadi, bezeichnete Ahmadinedschad als vorbildlichen Präsidenten und forderte das Volk auf, nicht diejenigen (Reformer) ins Parlament zu schicken, die amerikanischen Interessen stärkten.

Ausblick

Während der Amtszeit von Präsident Khatami (1997-2005) versuchte seine Regierung, mit zwei berühmten „dualen Gesetzesentwürfen“ die Macht des Wächterrates zu beschneiden und gleichzeitig die Machtbefugnisse des Präsidenten zu erweitern. Es war die größte Herausforderung durch Khatamis Regierung, die im Wächterrat unter Rückendeckung des Religionsführers scheiterte. Wären die Gesetzesentwürfe durchgekommen, könnten die Wahlen im Iran freier als in jedem anderen islamischen Land (mit Ausnahme der Türkei) sein. Die illegale, aber geduldete Opposition um die „Freiheitsbewegung Irans“ (Nahzat-e Azadi-e Iran) hatte vor über einem Monat die internationale Überwachung der Wahlen gefordert.

Davon haben die Reformer Abstand genommen bzw. sie heftig als Beleidigung für das iranische Volk kritisiert, um es sich mit dem Establishment nicht zu verderben. Das Establishment hat anscheinend nicht vor, die verfassungsmäßig verankerten Machtverhältnisse zu revidieren. Ahmadinedschads Regierung stützt sich auf ein Devisenpolster von mehreren Milliarden US-Dollar aus dem Erlös von 100 Dollar pro Barrel Öl und ist finanziell überhaupt nicht auf das iranische Volk angewiesen. Den Reformern verbleiben die Präsidentschaftswahlen, die im nächsten Jahr stattfinden. Dort können sie ihre letzte Trumpfkarte spielen, die Nominierung Mohammad Khatamis als Präsidentschaftskandidat. Dem Wächterrat dürfte es sehr schwer fallen, ihn abzulehnen. Aber selbst dann, was kann ein Khatami als Präsident gegen ein konservatives Parlament, einen konservativen Wächterrat, die allesamt vom obersten Religionsführer gedeckt werden, ausrichten?

Der Teufelskreis der Islamischen Republik scheint tatsächlich keinen Spielraum für tiefgründige Reformen zu bieten. Die Wahlen spielen sich in einem geschlossenen kontrollierten Rahmen ab. Vieles kommt auf die wahren Reformer an, die tatsächlich die Herrschaft des Volkes und des Gesetzes anstreben. Die müssen das Tabu der Unanfechtbarkeit des Religionsführers brechen. Der Anfang ist bereits implizit gemacht. Die Idee der internationalen Überwachung sollten sich die Reformer zu eigen machen. Noch fehlt es ihnen an Mut. Der gesellschaftliche Diskurs um konkrete Forderungen wie freie Wahlen und internationale Beobachtung müssen salonfähig werden.

Die Eine-Million-Unterschriftenkampagne der Frauen für die Verbesserung der rechtlichen Stellung der Frauen im Iran ist eine Vorbildaktion. Vorerst müssen die Reformer eine Entscheidung hinsichtlich der Wahlen treffen. Ihre Glaubwürdigkeit steht einmal mehr auf dem Spiel. Was hat es für einen Sinn, an Wahlen teilzunehmen, bei denen weder die Organisatoren noch die Überwacher vertrauenswürdig sind. Bleibt es bei der radikalen Säuberung der Kandidaten und ist die Wahlbeteiligung hoch, würde das System der Herrschaft des Rechtsgelehrten weitere Legitimation erfahren.