Kohlekraftwerk im Touristenparadies

Dänemarks staatlicher Energie-Konzern DONG will an der Küste Vorpommerns ein XXL-Kraftwerk bauen. Nachbarn und Fremdenverkehrsgewerbe sind höchst verärgert

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In keinem anderen Land der EU sind auch nur annähernd so viele neue Kohlekraftwerke geplant wie in Deutschland. 23 Bauvorhaben zählt Florian Noto vom Deutschen Naturschutzring auf seiner privaten Qecksilber-Seite. Doch beliebt sind die durchweg gigantischen Bauvorhaben eigentlich nirgendwo. An fast allen geplanten Standorten regt sich massiver Widerstand, in Köln, Herne, Kiel, Ensdorf und Quierschied (beide Saarland) sowie in Bremen wurden in den letzten Monaten die jeweiligen Pläne aufgrund der öffentlichen Einsprüche bereits zurück gezogen.

Doch wenn es eine Hitliste der unbeliebtesten Standorte geben sollte, dann hat Lubmin in Vorpommern gute Aussichten auf den ersten Platz. Von Rügen über Greifswald bis zur Insel Usedom ist die malerische Region in Aufruhr, weil der dänische Konzern DONG Energy am Greifswalder Bodden ein gigantisches Kraftwerk bauen will. Jeweils 800 Megawatt Leistung sollen die beiden Blöcke haben, die unmittelbar neben dem stillgelegten Atomkraftwerk Greifswald entstehen sollen. Als Brennstoff ist Importsteinkohle vorgesehen. Oder was sich so Steinkohle nennt.

Michael Woitacha, Sprecher der Bürgerinitiative Kein Steinkohlekraftwerk Lubmin, hat sich DONGs Antragsunterlagen genauer angesehen. Darin steht, so Woitacha gegenüber Telepolis, dass der Brennwert der Kohle, die eingesetzt werden soll, 23 bis 24,7 Kilojoule pro Gramm (KJ/g) sein wird. Nach der Internationalen Klassifikation der Kohle wäre das aber keine Steinkohle mehr, sondern Braunkohle. Die Grenze wird bei 25 KJ/g gezogen.

Luftbild des stillgelegten Atomkraftwerks Greifswald am Ortsrand von Lubmin. Greifswald ist einige Kilometer weiter westlich und nur deshalb Namensgeber für das AKW, weil es die nächstgelegene Stadt ist. Die beiden Blöcke des neuen Kohlekraftwerks sollen auf die Fläche zwischen dem Wald im Vordergrund und den alten Gebäuden gebaut werden. Ein Teil des Waldes wurde im Dezember und Januar gerodet. Links vom Stichkanal fängt das Flora-Fauna-Habitat „Struck“ an. Ein weiteres Luftbild aus größerer Höhe, mit dem potenziellen Kraftwerksgelände eingezeichnet, findet sich hier. Bild: EWN

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Die Geschichte ist durchaus beispielhaft für die Informationspolitik des Konzerns. Zwar gibt man sich auf seiner Webseite offen und setzt gar Links zu den kritischen Bürgerinitiativen. Wenn jedoch Journalisten Näheres über die Pläne erfahren will, landen sie bei einer PR-Agentur in Hamburg. Dort schwärmt einem dann Michael Deutschbein etwas über die Modernität der geplanten Anlage vor. Dass DONG in Dänemark ein derartiges Kraftwerk gar nicht bauen dürfte, scheint ihm nicht bekannt. Ein Wirkungsgrad von 47 Prozent würde in den beiden Kraftwerksblöcken erreicht, so Deutschbein. Die Zahl wird von ihm auf erstauntes Nachfragen mehrmals bestätigt. Erst ein Blick in die Informationen der Bürgerinitiative zeigt, dass der Mann offenbar den Brutto-Wirkungsgrad gemeint hat. Zieht man den Eigenbedarf des Kraftwerks ab, dann bleibt ein Netto-Wirkungsgrad von 43,7 Prozent.

Das ist ungefähr das Niveau, welches die neuesten Steinkohlekraftwerke heutzutage erreichen, also ist doch keine Wundertechnologie für Lubmin geplant. Eine bessere Ausnutzung der in der Kohle gebundenen Energie ist nur möglich, wenn auch die Abwärme genutzt werden kann. Doch dafür sind die beiden Blöcke viel zu groß. In der dünnbesiedelten Region gibt es nicht genug Abnehmer. Das nahe gelegene Greifswald verfügt zwar noch aus DDR-Zeiten über ein Fernwärmenetz, das einst aus dem Atomkraftwerk gespeist worden war. Die Stadt hat allerdings nach Stilllegung der Meiler kleine, gasbetriebene Blockheizkraftwerke gebaut. Wegen der vergleichsweise geringen spezifischen Treibhausgas-Emissionen von Gaskraftwerken ist das die klimafreundlichste Variante unter den fossilen Kraftwerken.

Wolfgang Methling, Fraktionsvorsitzender der Linken im Schweriner Landtag und ehemaliger Landesumweltminister, fürchtet nun, dass das DONG-Kraftwerk als übermächtige Konkurrenz die umweltfreundliche Wärmeversorgung durch die Greifswalder Stadtwerke verdrängen könnte.

Atomkraftwerk Greifswald

Die Fläche auf der DONG bauen will, liegt zwar direkt in einer ländlichen Region und ist idyllisch hinter Kieferwäldern versteckt, ist jedoch ein seit langem gut erschlossenes Industrieareal. Unter anderem hat die Landesregierung einen alten Kühlwasser-Kanal mit EU-Mitteln zu einem regelrechten kleinen Hafen ausbauen lassen. Dort könnten die Kohleschiffe anlegen, die die Importkohle heranschaffen würden. Weder in der Landeshauptstadt Schwerin, noch in Brüssel scheint sich jemand daran gestört zu haben, dass jenseits des Kanals ein bei der EU angemeldetes Naturschutzgebiet beginnt.

Diesseits des Kanals waren seit 1968 nach und nach sechs Reaktorblöcke gebaut worden. Über einen Kilometer weit erstreckt sich heute das Gebäude, zu dem sie verschmelzen, und liegt wie eine gigantische Bastion in der flachen Landschaft. Der erste Reaktor war 1973 in Betrieb gegangen. Drei weitere – Leistung je 408 MW – folgten schon bald, gemeinsam hatten sie lange Zeit einen wichtigen Anteil an der Stromversorgung der DDR. Noch 1989 ging ein fünfter Reaktor versuchsweise in Betrieb, ein sechster wurde nicht mehr mit Brennstäben bestückt und kann heute besichtigt werden.

Bild: Wolfgang Pomrehn

Der Preis des Atomstroms war hoch. Mancher der einst 10.000 Mitarbeiter und der Lubminer, die in unmittelbaren Nachbarschaft der Meiler im Schrebergärtchen eigenes Obst und Gemüse anbauten, ist inzwischen an Krebs gestorben, wie Woitacha aus Erzählungen weiß. Im Rahmen der politischen Wende in der DDR erwirkten Bürgergruppen, dass der Probebetrieb von Block 5 abgebrochen wurde. Später folgten die anderen Blöcke. Auch der Bau von Block 6 wurde eingestellt, die Pläne für Block 7 und 8 landeten im Reißwolf. 1995 wurden die Anlagen wie auch die übrigen AKW in Ostdeutschland endgültig stillgelegt. Zur gleichen Zeit wurde auf dem Gelände in Lubmin ein ziemlich großes Zwischenlager für radioaktiven Müll errichtet. Eine Bürgerinitiative in Greifswald protestierte vergebens.

Neben den alten Kraftwerksblöcken steht heute ein Zwischenlager für hochradioaktiven Müll. Eingeweiht wurde es 1999 vom damaligen Grünen Bundesumweltminister Jürgen Trittin. In dem Lager können auch CASTOR-Behälter aus anderen AKWs abgestellt werden. Bild: Wolfgang Pomrehn

Noch tausend Menschen arbeiten heute auf dem Gelände, angestellt bei der Energiewerke Nord GmbH, die vom Bund finanziert wird. Die verbliebenen Mitarbeiter sind nun damit beschäftigt, die Anlagen zu demontieren, hochradioaktiven Müll abklingen zu lassen und sich Gedanken über die Entsorgung der Anlage zu machen. Nebenbei kümmert man sich auch noch um interessierte Besucher, die im Gebäude des sechsten, nie mit radioaktivem Material bestückten Reaktorblocks, die einmalige Gelegenheit haben, die Innereien eines Atomkraftwerks zu besichtigen.

Emissionen

Mag sein, dass das für einige der etlichen hunderttausend Touristen, die die Region Jahr für Jahr anzieht – Rügen und das benachbarte Hiddensee zählten allein im ersten Halbjahr 2007 2,2 Millionen Übernachtungen von knapp 470.000 Gästen –, eine kleine zusätzliche Attraktion ist. Doch das neue Kohlekraftwerk wird es mit Sicherheit nicht sein. Mit 120 Metern Höhe werden die beiden Kesselhäuser die benachbarten Reaktorgebäude deutlich überragen. Die Schlote könnten bis zu 180 Meter hoch werden. Vom benachbarten Strand im Seebad Lubmin wird das kein schöner Anblick sein, befürchten die Lokalpolitiker. Uferpromenade und Seebrücke des Ortes wären nur 900 Meter Luftlinie von dem neuen Kraftwerk entfernt. Schon die wesentlich niedrigeren Schlote des AKW sieht man über die Wipfel des Kieferwaldes emporragen.

In dem 2000-Seelen-Dorf hatte sich in einer Bürgerbefragung eine große Mehrheit der Einwohner gegen den Bau ausgesprochen. Der Bürgermeister steckt allerdings in einer Zwickmühle. Obwohl das Gelände ganz überwiegend auf dem Gebiet seiner Gemeinde liegt, sind ihm im derzeit laufenden Planfeststellungsverfahren die Hände gebunden. Lubmin hat mit den Nachbargemeinden Rubenow und Kröslin einen Zweckverband gegründet und diesem seine Planungshoheit abgetreten. Doch im Verband werden die Lubminer nun überstimmt.

Für das vom Tourismus lebende Seebad mit wunderschönem Sandstrand ist das eine kleine Katastrophe. „Ich weiß nicht, was aus dem Tourismus werden wird“, meint Woitacha. Die maximal 150 Dauerarbeitsplätze, die DONG anbieten kann, werden Verluste im Fremdenverkehr kaum ausgleichen können. Schon gar nicht, wenn die Befürchtungen von Wissenschaftlern der Uni Greifswald eintreffen, die sich im Januar mit einem Appell an die politische Vernunft an die Öffentlichkeit gewendet haben.

Sie befürchten unter anderem, dass das flache Wasser des Greifswalder Boddens, jenes schmale Stück Ostsee zwischen dem Festland und der Insel Rügen östlich von Stralsund, umkippen könnte. Die hohen Stickstoffeinträge aus den Abgasen in Verbindung mit den warmen Abwässern könnten zu Überdüngung und zu Algenblüten führen. Schon so ist es in der von Natur aus biologisch labilen Ostsee verschiedentlich zu Ereignissen gekommen, bei denen sich giftige Algenarten explosionsartig vermehrten und Strände gesperrt werden mussten.

Auch die Emissionen des Kraftwerks lassen Schlimmes befürchten. DONG verweigert zwar Aussagen, mit welcher Mindestlaufzeit man kalkuliert, spricht aber von 6000 bis 7500 geplanten Volllaststunden im Jahr (das Jahr hat 8760 Stunden). Gefragt, mit welchem Schadstoffausstoß zu rechnen ist, übermittelte DONG-PR-Mann Deutschbein einfach die gesetzlichen Höchstgrenzen. Interessant daran ist zum einen, dass man in dem „modernen“ Kraftwerk offenbar keine Veranlassung sieht, diese zu unterschreiten. Zum anderen sind Höchstgrenzen in Deutschland keine Höchstmengen. Vorgeschrieben sind nur Grenzwerte in der Abluft, die nicht überschritten werden dürfen. In der Praxis heißt das, dass je mehr Abluft ein Kraftwerk hat, desto mehr Schadstoffe darf es auch emittieren.

DONGs Kohlekraftwerke werden zusammen 4.280.000 Kubikmeter Abgase pro Stunde ausstoßen. Bei 7500 Volllaststunden ergeben sich daraus beachtliche jährliche Emissionswerte. An Stickoxiden, Stickstoffdioxid und Schwefeldioxid werden es je 6.420 Tonnen sein. Letzteres ist einer der Hauptverantwortlichen der Waldschäden. An Feinstäuben kommen weitere 642 Tonnen hinzu. Des Weiteren ist mit einem wahren Potpourri an Schwermetallen zu rechnen: 4,815 Tonnen Blei, 1.123 Tonnen Cadmium, 0,963 Tonnen Quecksilber und 0,802 Tonnen Arsen. Schließlich ist da noch das Treibhausgas Kohlendioxid, von dem in Lubmin zehn bis elf Millionen Tonnen ausgestoßen würden. Das wären immerhin 1,4 Prozent der derzeitigen deutschen oder rund 20 Prozent der dänischen Emissionen. Und das aus einem einzigen Kraftwerk. Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Harald Ringstorff (SPD) hält das für einen Beitrag zum Klimaschutz.

Derweil regt sich auch in Dänemark Widerstand gegen die Pläne von DONG, allerdings zu wenig, wie Frank Aaen von der linken Rot-Grünen Einheitsliste meint. Aaen sitzt im dänischen Parlament in Kopenhagen und bekommt dort aus nächster Nähe mit, wie die liberal-konservative Regierung den Konzern führt, bzw. nicht führt. Der Staat hält mit 73 Prozent die Mehrheit am Unternehmen, der Rest gehört anderen öffentlichen Gesellschaften. In der dänischen Politik sei es allerdings weitgehend Konsens, dass DONG sich wie ein privates Unternehmen verhalten, also vor allem Gewinn machen soll. Dennoch hat es verschiedene öffentliche Proteste von Umweltschützern gegen DONGs Lubminer Pläne gegeben, zuletzt Ende Januar, als 50 junge Leute vor einem DONG-Kraftwerk in Kopenhagen eine Kundgebung abhielten.

Die Schweriner Landesregierung von SPD und CDU konnte bisher weder das noch der erhebliche Unmut in den Dörfern und Städten rund um Lubmin beeindrucken, der sich auch dort schon in verschiedenen Demonstrationen ausgedrückt hat. Unbeirrt hält sie am Kraftwerksbau fest. Die Gegner bereiten hingegen eine Volksinitiative vor. Als Initiatoren treten Ulrike Berger, Landessprecherin der Grünen, Wolfgang Methling von der Linken und der ehemalige Landtagspräsident Hinrich Küssner auf. Küssner ist in der SPD, dürfte dort aber wegen seiner Position einen schweren Stand haben. Bis Ende April sollen die nötigen Unterschriften gesammelt sein.