Aushebelung des Postgeheimnisses

Das Bundeswirtschaftsministerium muss dem Innenausschuss erklären, warum für alle Postsendungen in die USA vorab Daten erfasst und an die amerikanische Zoll- und Grenzschutzbehörde übermittelt werden dürfen

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Die Parlamentarier waren so unzufrieden mit den „nicht substantiierten“ Angaben des Referenten des gestrigen nicht-öffentlichen Treffens des Innenausschusses zum Thema Postdatenübermittlung an die USA, dass sie eine schriftliche Antwort verlangen. Bis spätestens der übernächsten Woche wird man sich dann eine plausible Erklärung dafür einfallen lassen müssen, weshalb und vor allem mit wessen Wissen Express-Sendungen und Pakete 2004 mal flugs zu Frachtgütern deklariert wurden, für die vor allem Zollbestimmungen gelten sollen. Die Folge: Mit diesem Trick wird seit Jahren das Postgeheimnis ausgehebelt. Das gilt eigentlich nicht nur für klassische Briefe, sondern für alle Formen der Post – also für Postkarten, Briefe, Express-Sendungen, Päckchen und Pakete.

Bereits seit 2004 werden Angaben über Absender, Empfänger sowie Inhalt von Paketen und Express-Sendungen elektronisch erfasst und vor dem Versenden an die amerikanischen Zoll- und Grenzschutzbehörde CBP (Customs and Border Protection) übermittelt. Diese gleicht die Daten mit Informationen anderer Polizeien und nachrichtendienstlichen Behörden ab und speichert sie ("Massiver Eingriff in die Grundrechte").

Das aber gehe weit über die Vorratsdatenspeicherung hinaus, sagte der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum. Gegen die hat Baum bereits Verfassungsklage erhoben. Nun kündigte er an, auch gegen die Weitergabe der Postdaten juristische Schritte zu prüfen. Auf Anfrage von Telepolis sagte Baum: „Ich habe Postvorstandschef Klaus Zumwinkel um Auskunft über die Übermittlung der Daten in die USA gebeten.“ Der hat allerdings zur Zeit andere Sorgen. Sebastian Edathy, Vorsitzender des Innenausschusses, bestätigt auf Anfrage die Berichterstattung der Zeit in vollem Umfang. Eine Verletzung des Postgeheimnisses will er dennoch partout nicht bemerken. „Es werden doch bislang nur Angaben von Express- und Paketsendungen elektronisch vorab übermittelt und von Polizei- und nachrichtendienstlichen Behörden der USA gespeichert und abgeglichen – aber noch nicht von Briefen“, wiegelt er im Gespräch ab.

Ein Unding, findet der schleswig-holsteinische Landesdatenschutzbeauftragte Thilo Weichert:

Wenn die DHL vorab die Absender- und Empfangsdaten an US-Behörden weitergibt, ohne die Betroffenen zu informieren, dann verletzt das Unternehmen das Postgeheimnis", sagt Weichert. "Wenn staatliche Behörden von dieser Grundrechtsverletzung wissen und diese tolerieren, so kann man das Beihilfe durch Unterlassen nennen. Es wäre ein jämmerliches Zeugnis von Grundrechts- wie von rechtsstaatlichem Selbstbewusstsein, wenn sich die Europäische Union – wie bei den Flugpassagierdaten – von den USA zur Herausgabe von Postdaten erpressen ließe.

„Wenn wir weiterhin wollen, dass unsere Sendungen auch in den USA ankommen, müssen wir uns wohl beugen“, redet Edathy das Problem herunter. Seltsam nur, dass Österreicher dies anders sehen. Die wehren sich nämlich seit Jahren ebenso vehement wie erfolgreich gegen die Avancen der USA. "Schließlich würde dies dem Postgeheimnis widersprechen, wonach Daten über Sendungen nur an Absender oder Empfänger mitgeteilt werden dürfen", protestierte Michael Homola, Sprecher der Österreichischen Post.

Nicht nur das: Kritiker warnen auch vor der Gefahr von Wirtschaftsspionage – vor allem bei der Weitergabe von Daten von Express-Sendungen und Paketen: Dem amerikanischen Zoll kann doch nichts Besseres passieren, als dass er erfährt, wer an wen eine interessante Sendung schickt, die es vielleicht lohnt zu öffnen, zum Beispiel weil Konstruktionszeichnungen darin sind. Auch bestehe die Gefahr, dass Unschuldige kriminalisiert würden.

Regelung versteckt in einem Handelsabkommen

Die Hauptfrage ist, wer seit wann von dieser fragwürdigen Praxis mit diesen weitreichenden Konsequenzen gewusst hat. Denn offenbar wurden in den vergangenen Jahren klammheimlich Fakten geschaffen – vorbei an jeglicher parlamentarischer Kontrolle.

Jahrelang wurden Informationen über deutsche Express-Sendungen und Pakete und ihre Absender unbemerkt an die USA übermittelt. Erst jetzt beginnt eine öffentliche Debatte. Eigentlich hätte es einer umfassenden Information des Parlaments und der Öffentlichkeit bedurft. Immerhin sind auch Express-Sendungen und Pakete Postsendungen und unterliegen somit dem Postgeheimnis. Sebastian Edathy will das nicht wahrhaben. „Es handelt sich doch nur um Pakete, und überhaupt, geregelt wurde das ganze in einem Handelsabkommen“, versucht er das Datenschutzdebakel herunter zu reden.

Damit wiederholt er die offizielle Auffassung der Post. Demnach müssen die Vereinigten Staaten nicht einmal offiziell anfragen, eine Veröffentlichung in den einschlägigen Medien reiche als Grundlage völlig aus, argumentiert Claus Korfmacher, Sprecher der Deutschen Post World Net. Dies ist geschehen. Im Federal Register der USA, das auch im Internet zugänglich ist, wurde über die Regelung informiert. Somit war rein formal zwar der Informationspflicht Genüge getan, aber über diese "Information" stolpert noch nicht einmal ein Fachreferent per Zufall. Diese Praxis, einen Angriff auf das Postgeheimnis zu verschleiern, indem die Datenübermittlung in einem Handelsabkommen versteckt wurde, ist Kern des Problems und weckt wenig Vertrauen.

Genauso wenig wie der Verschiebebahnhof der ministeriellen Verantwortlichkeiten. Das Bundesjustizministerium erklärt, es gebe mehrere Anfragen bezüglich der Weitergabe von Postdaten an die USA. Federführend in dieser Frage sei aber das Bundesinnenministerium. Dieses verweist jedoch auf das Bundeswirtschaftsministerium. Und das Bundeswirtschaftsministerium informierte die Parlamentarier ausgerechnet vor dem Treffen des Innenausschusses falsch. Entgegen der Faktenlage behauptet Staatssekretär Bernd Pfaffenbach vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie auf Anfrage der Innenpolitischen Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion Gisela Piltz, dass noch keinerlei Daten an die USA übermittelt würden

Ebenso wenig vertrauenserweckend: Die amerikanische Regelung über Paketdaten kann sogar Briefe und Dokumente betreffen, wie es im sogenannten Advanced Air Manifest heißt. Damit auch diese Daten übermittelt werden, braucht es wieder nur einige Zeilen im Federal Register. Und das dürfte wohl kaum zur täglichen Lektüre deutscher Parlamentarier zählen.