Ist Österreich eine Bananenrepublik?

Polizeiliche Erhebungen sollen von parteipolitischem Kalkül beeinflusst und abhängig gemacht worden sein

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Ein ehemals hochrangiger Beamter des österreichischen Innenministeriums packt aus. Mehrmals soll es Weisungen aus dem ÖVP-geführten Ministerbüro gegeben haben, polizeiliche Ermittlungen - politischen Erwägungen entsprechend - entweder zu forcieren oder hintan zu halten. Die Vorwürfe wiegen schwer und bringen die große Koalition zwischen Sozialdemokraten und Konservativen ins Wanken. Das ohnehin nicht allzu große Vertrauen der Bevölkerung in die Exekutive ist weiter gesunken. Immer lauter wird auch generell die Frage nach dem Ausmaß von Korruption im österreichischen Staatsapparat gestellt.

Folgendes geschieht: Der Leiter des österreichischen Bundeskriminalamtes wird auf einen unbedeutenden Versorgungsposten versetzt. Herwig Haidinger macht daraufhin etwas für österreichische Verhältnisse sehr Untypisches. Er hält nicht den Mund und ergibt sich seinem Schicksal. Er geht an die Öffentlichkeit und löst damit ein innenpolitisches Erdbeben aus.

Er wäre abgelöst worden, weil er sich nicht korrumpieren lasse, so Haidinger in einem Interview. Es hätte eine ganze Reihe von Wünschen und Anliegen von zwei ÖVP-Innenministern - dem amtierenden Minister Günter Platter und dessen im Dezember 2006 verstorbener Vorgängerin Liese Prokop - gegeben. „Wenn die Umsetzung dieser Wünsche Korrumpierung bedeutet, mache ich da nicht mit“, so der abgelöste BK-Chef, der selbst dem Lager der ÖVP zugeordnet wird.

Inzwischen wurden diese Vorwürfe in einem parlamentarischen Ausschuss konkretisiert. Interventionen hätte es etwa in der Affäre um die ehemalige Gewerkschaftsbank BAWAG gegeben, die aufgrund haarsträubender Spekulationsgeschäfte am Rande des Bankrotts stand. Haidinger sagte aus, der Kabinettschef von Innenminister Platter habe von ihm gefordert, die Unterlagen der Sonderkommission zur Untersuchung der Affäre um die Gewerkschaftsbank Bawag (Bank für Wirtschaft und Arbeit AG) zuerst an die ÖVP-Parlamentsfraktion und erst dann an den Banken-Untersuchungsausschuss zu übermitteln. Dabei drängt sich der Verdacht auf, dass man über den „politischen Gegner“ Informationen sammeln und/oder diese möglichst rasch erhalten wollte.

Im Entführungsfall Natascha Kampusch gab es – damals noch unter dem SPÖ-Minister Karl Schlögl - anscheinend gravierende Ermittlungspannen. Wie man heute weiß, war bereits kurz nach dem Verschwinden des Mädchens ein profunder Hinweis auf den Täter von einem Exekutivbeamten bei den ermittelnden Kollegen eingegangen. Diese Spur wurde aber nicht näher verfolgt. In einem Email wies Haidinger einem Kabinettsmitglied des Innenministeriums dann 2006 daraufhin hin, dass die Aufklärung der Vorwürfe bezüglich möglicher Polizeischlamperei Auswirkungen auf Amtshaftungsansprüche habe. Der Mitarbeiter des Ministerbüros bittet den BK-Leiter dann an einer anderen Stelle aber, "die Sache ohne größere Eklats abzuschließen".

Nur keine Skandale vor einer Wahl?

Haidinger fordert nochmals die Untersuchung der Ereignisse und vermerkt schließlich: "Nach wie vor bin ich anderer Ansicht, halte mich aber dennoch an die Weisung meiner Vorgesetzten." Die Vermutung, dass man diese heikle Untersuchung, aus dem 2006 anstehenden Nationalratswahlkampf heraushalten wollte, hat sich inzwischen aufgrund der Aussagen Haidingers vor dem Innenausschuss erhärtet. Selbst nach den Wahlen kam es zu keiner vernünftigen Evaluierung des Falles. Erst nach den Aussagen Haidingers wurde jetzt eine Evaluierungskommission eingesetzt. Natascha Kampuschs Anwälte überprüfen inzwischen die Möglichkeit einer Amtshaftungsklage gegen die Republik.

Peter Pilz, der Sicherheitssprecher der Grünen, präsentierte auf einer Pressekonferenz wiederum eine Weisung aus dem Kabinett von Innenressortchef Ernst Strasser (ÖVP) aus dem Jahr 2004, in der das Büro zur Schleppereibekämpfung aufgefordert wird, eine Sachverhaltsdarstellung gegen den Asylanwalt Georg Bürstmayr an die Staatsanwaltschaft zu schicken, obwohl das Büro selbst zu diesem Zeitpunkt "keine strafrechtliche Relevanz" für einen derartigen Schritt gesehen habe. Pilz sprach von einem "klassischen Fall von gesetzeswidriger Weisung" und "Missbrauch", um sich "Kritiker zu entledigen".

Indes kamen noch weitere merkwürdige Details über das Gebaren des Innenministeriums an die Öffentlichkeit. Die Opposition fordert deshalb einen Untersuchungsausschuss. Dagegen wehrte sich die ÖVP zunächst massiv. Auch die SPÖ-Regierungsmannschaft wand sich zunächst, wohl um die Koalition nicht zu gefährden. Allerdings wächst der Druck von der SP-Basis und aus den Bundesländern. Immerhin wird es jetzt einen weiteren Innenausschuss in dem Fall Innenministerium geben.

Der früherer Rechungshofpräsident und jetzige Präsident des Beirates von Transparency International Austria erklärte in einem Interview die Tragweite der Affäre. Wenn es zutreffen sollte, dass Erhebungen der Polizei von parteipolitischen Rücksichten abhängig gemacht werden, dann wäre das eine ganz schwere Erschütterung des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung, wird Fiedler zitiert. Solche „Methoden, aus parteipolitischen Rücksichten Erhebungen vorzunehmen oder nicht vorzunehmen, die erinnern an Bananenstaaten der Dritten Welt.“ Sollten sich die Vorwürfe bewahrheiten, so müsse man über neue Strukturen in den Ministerien und andere Maßnahmen entwickeln, um Korruption außen vorzuhalten.

Kriminelle staatliche Makrostrukturen?

Gegenwärtig ermittelt die Staatsanwaltschaft, ein Ende der hochnotpeinlichen Affäre auf politischer Ebene ist nicht abzusehen. Einige sehen bereits das Ende der großen Koalition. Neuwahlen wird es aber kaum vor Ablauf der heuer stattfindenden Fußball-EM geben. Doch immer lauter wird auch die generelle Frage nach dem Korruptionsgrad des österreichischen Staatsapparates gestellt. Der renommierte Anwalt Richard Soyer betont etwa in einem Kommentar, er hätte aus den „Wirrnissen im Italien der Nachkriegszeit“ gelernt, dass „es nichts Schlimmeres in einem Staat gibt als die Schizophrenie eines korrupten Machtapparates, der von einer ebensolchen Justiz sekundiert“ werde. Soyer fordert, nicht nur die Kleinkriminellen ins Visier zu nehmen, sondern ebenso die Strukturen der staatlichen Machtapparate einer genauen Analyse zu unterziehen.

Nachdem jahrzehntelang Lausch- und Spähangriff, Rasterfahndung, verdeckte Ermittlungen und Scheingeschäfte, Online-Zugriffe und lückenlose Videoüberwachungen propagiert wurden und damit der Blick auf die Mikrokriminalität statt auf die das Gemeinwesen bedrohenden kriminellen (auch staatlichen) Makrostrukturen fokussiert wurde, ist es endlich an der Zeit, der Korruption in diesem Land Paroli zu bieten.

Die jetzt aufgeflogene Affäre wäre sicher eine günstige Gelegenheit grundsätzlich über verbesserter Strukturen und effektive Maßnahmen nachzudenken, die den Staatsapparat wieder zum eigentlichen Zweck hinführen: Dieser begründet sich in einer Demokratie nämlich schlicht und einfach darin, dem Gemeinwesen zu dienen.