Der Guido Knopp des Feuilletons

Götz Aly hat ein neues Buch geschrieben. Es geht über die '68er und funktioniert wie seine alten

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Vor einigen Jahren verknüpfte Götz Aly in seinem "Volksstaat"-Buch den Sozialstaat in für einen Historiker recht abenteuerlicher Weise mit der Verteilung von geraubtem Judenvermögen im Zweiten Weltkrieg. Das erzeugt Aufmerksamkeit, vor allem in den Feuilletons. Und das gilt wahrscheinlich auch für sein neues Buch, das am 18. Februar erscheint, und in dem er die "68er-Bewegung" als "Spätausläufer des Totalitarismus" entlarven will.

Götz Aly hat ein einfaches Rezept: Man nehme ein Thema, das zwei Voraussetzungen erfüllt: Erstens: Es wird aktuell diskutiert. Zweitens: Es wird traditionell nicht mit dem Nationalsozialismus in Verbindung gebracht. Zum Beispiel der Sozialstaat oder die "68er". Dann geht Aly in die Archive. Bei Themen aus der Zeitgeschichte haben diese den Vorteil, dass sie so umfangreich sind, dass sich dort zu jedem Thema etwas findet. Und so lässt sich auch jedes Thema mit dem Nationalsozialismus in Verbindung bringen.

Mindestens genauso wichtig wie der Gang in die Archive ist bei Alys Arbeit aber auch das Weglassen. Im Falle seines Volksstaat-Buches nicht nur das von bekannten Fakten (wie etwa der Rolle der Schwerindustrie), sondern – vielleicht noch wichtiger – das von weniger bekannten, welche die meist sehr plakativ formulierte Grundthese seiner Bücher in Frage stellen würden. So wurde beispielsweise das nach der Hyperinflation von 1923 in die Rentenversicherung eingeführte Umlageverfahren 1933 durch ein weitaus stärker mit Kapitaldeckung arbeitendes Verfahren ersetzt. Eine Änderung, die zwar nicht unbedingt vor nationalsozialistischer Ideologie strotzt, die aber Alys Volksstaats-These unter anderem deshalb zuwiderläuft, weil sie auch zum Erscheinungszeitpunkt des Buches von den "Reformern" propagiert wurde.

Noch deutlicher sichtbar wird die eingeschränkte Materialauswahl Alys, wenn man einen Blick in Ingo Böhles ebenfalls vor eine paar Jahren erschienenes und durchaus lesenswerteres Buch über die Geschichte der privaten Krankenversicherungen im Nationalsozialismus wirft. Die Branche, die mit ihrer Sonderbehandlung so genannter "schlechter Risiken" schon vor Hitlers Machtergreifung eine Art Sozialdarwinismus der Tat propagierte, wies dem Historiker zufolge innerhalb der Versicherungswirtschaft die stärkste "Affinität" zum Hitler-Regime auf. Die Ernennung von Dr. Kurt Schmitt, dem Generaldirektor des Allianz-Konzerns zum Wirtschaftsminister im Kabinett Hitler war nicht nur die Erfüllung einer Dankesschuld an einen alten Freund Görings, sondern auch ein "klares Bekenntnis der neuen Staatsführung zur Privatwirtschschaft". Entsprechend arrangierten sich die privaten Krankenversicherungen bestens mit dem System und setzten unter anderem Forderungen wie die Ausschaltung der Konkurrenz aus dem gemeinwirtschaftlichen Sektor durch.

Wo sich der Antisemitismus mit dem Profit verbinden ließ, waren die privaten Krankenversicherungen durchaus eifriger als der Staatsapparat. Bereits kurz nach der Machtergreifung Hitlers strichen sie die Erstattung für Behandlungskosten, welche bei jüdischen und kommunistischen Ärzten entstanden waren. Dies ging allein auf die Initiative der Privatwirtschaft zurück: Die staatlichen Stellen lehnten den Wegfall der Erstattung sogar ab. Opfer dieser privaten Rassenvorschriften waren auch die nichtjüdischen und nichtkommunistischen Versicherten, die ihre Rechnungen nicht erstattet bekamen.1

Aly selbst lieferte in großer Zahl Anhaltspunkte dafür, dass sein Auswählen aus den Archiven nicht nur Methode, sondern auch ein Ziel hatte – und dass es ihm weniger um einen Zugang zur Geschichte ging, als um Politisches. Im Spiegel-Artikel "Die Wohlfühl-Diktatur" dozierte er, man dürfe zur Analyse des Dritten Reiches "nicht länger auf Großbanken und Konzerne starren", denn, so Aly, Hitler sei "mit den Reichen und den Unternehmen [...] weit weniger zartfühlend" verfahren als mit dem einfachen Volk. In der Tageszeitung Die Welt griff er das Streben nach Gleichheit als Wurzel des Totalitarismus an und in der Süddeutschen Zeitung vom 1. September 2004 befand er auf dem Höhepunkt der Hartz-IV-Debatte, dass die Regierung Schröder/Fischer "vor der historischen Aufgabe des langen Abschieds von der Volksgemeinschaft" stehe.

2006 hatten die Wirtschaftshistoriker Christoph Buchheim und Thomas Kuczynski Aly in der Zeitschrift Sozial.Geschichte neben seiner fragwürdigen Methodik auch so viele Rechenfehler nachgewiesen, dass er im neuen Buch die Statistiken beiseite lässt und sich offenbar auf zwei Zahlen beschränken will: 68 und 33. Methodisch bedient er sich in "Unser Kampf" hauptsächlich der freien Assoziation. Da kommt dann so etwas heraus wie "Die nationalsozialistische Studentenrebellion nannte sich ebenfalls Studentenbewegung." Und mit der häufig verwendeten Zauberphrase "das erinnert an" bringt er ohne weiteres die Band "Ton Steine Scherben" mit der Zeile "Wir werden weiter marschieren wenn alles in Scherben fällt" aus dem Hans-Baumann-Lied "Es zittern die morschen Knochen" zusammen.

Was an seinen Thesen in "Unser Kampf" Bestand hat, ist trivial. Es beschränkt sich vor allem darauf, dass sowohl die 1968er als auch die Nationalsozialisten irgendwie mit Revolutions- und Umbruchsvorstellungen zu tun hatten. Das Buch ist deshalb extrem berechenbar und langweilt entsprechend schnell. Außer an Stellen, an denen es unfreiwillig komisch wird - etwa wenn Aly eine Tagebucheintragung Rudolf Dutschkes vom 27. Juni 1967 zitiert: "In der Kneipe 'Machtergreifungsplan' 'ausgepackt'. Riesige Überraschung."

Aly, Götz: Unser Kampf. 1968 – ein irritierter Blick zurück. Frankfurt/M.: S. Fischer. ISBN 978-3-10-000421-5