"These are desperate times"

Rache ist Blutwurst und Fleischpastete: Tim Burtons Slasher-Splatter-Musical "Sweeney Todd"

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Zur Vorspanntitelsequenz kommt ekeliges Geblubber. Blut! Was sonst? Aber computertechnisch in seiner Fahrt beschleunigt. Dann folgen düstere Steinquader, Kellerdunkelheit, feuchte Löcher, folgen Bilder von Maschinen; Riesenfleischwölfe und Zahnräder in der altmodischen Ästhetik des allerersten Industriezeitalters. Sie machen alles klein, und am Ende kommt Blutwurst und Fleischpastete aus ihnen heraus - alles wird in diesem Film zu Blutwurst und Fleischpastete. Kein Familienfilm? "Kommt auf die Familie an" sagt Burton.

Der eigentliche Film beginnt ein wenig wie ein Ausschnitt aus Nosferatu, der schon eine Stoker-Wagner-Kreuzung war: Nebel, Wasser, Zwielicht, ein geisterhaftes Schiff, dass mit sonderbarer Besatzung bevölkert scheint und einen Hafen erreicht. Schnell ist klar: "There is no place like London", der Fluss ist die Themse, wir sind in der Hauptstadt des viktorianischen Empire irgendwann am Ende des 19. Jahrhunderts, und der Mann auf dem Schiff hat die Unwirklichkeit des fliegenden Holländer. Ein Geist könnte er sein, ein Untoter, ein Zombie, sein Name ist falsch und wie lebendig er ist, wird man erst noch sehen. Eine Kopfgeburt ist das, von einem, der keine Szene ohne Filmzitat drehen kann, und das aber dann voller Sinnlichkeit und Direktheit umsetzt.

Fontänen aus Blut spritzen über Wände

Formal betrachtet ist Tim Burtons neuer Film "Sweeney Todd" die Verfilmung des Broadway-Musicals "Sweeney Todd – Der Teuflische Barbier aus der Fleet Street" von Stephen Sondheim aus dem Jahr 1979. Die Grundlage des Stoffes ist aber eine Groschenroman-Serie aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Sie wurde bereits lange vor dem Musical mehrfach verfilmt: 1926 und 1928 in zwei Stummfilmen, 1936 in einem bis heute recht berühmten britischen Tonfilm gleichen Titels, der sich wiederum nahe an eine überaus erfolgreiche Londoner Theaterinszenierung anlehnt.

Alle Bilder: Warner

Tim Burton verfilmt es nun mit allen Mitteln und Effekten des zeitgenössischen Slasher- und Splatter-Kinos: Kehlen werden Dutzendweise durchgeschnitten, Fontänen aus Blut spritzen über Wände, menschliche Körper türmen sich im Keller zu kleinen Bergen bevor aus ihnen Pasteten gebacken werden, die sich wiederum zu einer in London besonders beliebten Delikatesse entwickeln.

Von Rache zerfressen

In Zentrum der Handlung steht Titelfigur Sweeney Todd. So nennt sich heute Benjamin Barker, einst ein erfolgreicher Barbier, der mit Frau und Kind glücklich in London lebte - bevor ihm ein böser Richter Weib, Kind und Ehre nahm. Nach 15 Jahren aus der Verbannung zurückgekehrt, will er nun Rache nehmen. Ein Film also, der nicht nur in seiner Ikonographie, sondern auch in der Story alle Ingredienzien des 19. Jahrhunderts besitzt. Der Held ist ein verzweifelter, von Rache zerfressener Mensch, eine Kreuzung aus dem Grafen von Monte Christo, dem Phantom der Oper und Jack the Ripper. Eine tragische Figur: "What was his crime? - Foolishness. And he will have his revenge." Der Schauplatz ist ein literarisches, imaginäres London und das London des Tim Burton ähnelt hier jenem der Romane Dickens', Stokers, am meisten; dann aber auch dem Paris der Phantastik, des Schauerromans, der großen Romane Victor Hugos und Eugene Sues. Es ist die Welt, die Burton liebt, zu der er immer wieder zurückkehrt: Das gilt für Burtons Kurzfilm "Frankenweenie", seine Animationsfilme "Nightmare before Christmas" und "Corpse Bride", die bereits auch schon gewissermaßen Musicals waren, es gilt für seinen wohl bis heute besten Film "Sleepy Hollow",

Vor allem Ekelästhetik

Filmisch ist "Sweeney Todd" ein Musical und ein Splatterfilm, und damit gleich doppelt ungemein modisch: "Hostel" meets "Chicago", wenn man es so ausdrücken möchte. Es ist ein schwarzromantisches, aber auch skurriles Kino, zitatsatt von "Frankensteins Braut" bis "Addams Family", von Boris Karloff bis Christopher Lee weckt der Film vor allem Erinnerungen an den klassischen Horrorfilm. Herrlich düster, mitunter auf die Schönheit des Makabren und Schaurigen, vor allem aber auf Ekelästhetik setzend - burleskes "Théâtre du Grand Guignol", wie fast Burtons gesamtes Werk. Aber eben auch zuviel Subtext, zuwenig Substanz.

Das alles macht dann allerdings auch klar, wo die Probleme liegen: Alles sieht aus wie immer bei Tim Burton. Zudem entscheidet sich der Film nicht recht zu einer stimmigen Form, schwankt zwischen Künstlichkeit und Realismus. Die Blutfontänen sind weder besonders lustig, noch erschreckend. "Sweeney Todd" ist ein Rachethriller ohne die Tiefe asiatischer Vorbilder, ein Musical ohne Datingfaktor - außer bei Filmstudentinnen und Johnny-Depp-Fans -, ein Schauerfilm ohne Horror, ein Dramamit zu wenig Emotion. Die Story ist überaus vorhersehbar und wird abgespult ohne Überraschungen, ist am Ende ermüdend.

Ein Fundamentalist der Gerechtigkeit

Schließlich ist die Form Musical gewöhnungsbedürftig, man versteht gut, wenn die Singerei etwa Kritiker und Filmemacher Jörg Buttgereit vom Berliner "TIP" einfach nur "nervt", und mitunter dominiert traditioneller Broadway-Schwulst. Warum soll einen das interessieren? Aber dann wieder: Kühle klare selbstreflexive Ironie, großartiger Humor, wie in den Szenen, in denen Depp das Lied "My Friends" über seine Rasiermesser singt:

"These are my friends,/ See how they glisten./ See this one shine,/ How he smiles in the light,/ My friends,/ My faithful friends... // Speak to me, friend./ Whisper, I'll listen./ I know, I know/ You've been locked out of sight/ All these years!/ Like me, my friend!/ Well, I've come home/ To find you waiting!/ Home,/ And we're together.../ And we'll do wonders.../ Won't we...? You there, my friend,/ Come, let me hold you./ Now, with a sigh,/ You grow warm/ In my hand.../ My friend,/ My clever friend..."

Ein zusätzliches Problem: Todd ist, auch wenn er von Johnny Depp gespielt wird, einfach keine sympathische Figur. Er ist ein Fundamentalist der Gerechtigkeit, und mag er auch recht damit haben, dass man manchen Leuten am besten die Kehle durchschneidet, dann sind solche Herren der schmutzigen Arbeit doch selten Publikumslieblinge.

Todesfabriken

Warum ist dieser Film dennoch vor allem ein Kritikerliebling, und das verständlicherweise? Weil Burton sich immerhin Mühe gibt, etwas Neues zu machen, die Grenzen des Filmischen auszureizen, weil er mit seinem Slasher-Splatter-Musical ein neues Genre erfindet, und weil seine Inszenierung grandios ist. Zudem sollte man Burton nicht immer nur seine - ebenfalls mitunter recht nervtötenden - früheren Skurrilitäten vorhalten, sondern besser mal genau hingucken: Kalt und bitter ist dieser Film mit Absicht. Es ist nämlich auch Burtons Form, von einem gewalttätigen Zeitalter zu erzählen, von Todesfabriken und Effizienz-Fanatismus bis hin zur Verwertung des menschlichen Leibes als Nahrung menschlicher Leiber. Die rauchenden Schlote von Todds Londoner Todesfabrik spiegeln die Fortsetzung des 19. Jahrhunderts, den Schrecken des 20. Jahrhunderts. "These are desperate times. And desperate measures are called for..." Besser und erhellender kann man es nicht sagen.