Generation Netz-Naiv

Zweifelhafte Informationen in einem Bestseller und ein vermutliches Plagiat im Spiegel verweisen auf den schmalen Grat zwischen schlechter Internet-Recherche und Plagiat

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Wie gut, dass die Autoren des aktuellen Bestsellers "Generation Doof" gleich im Vorwort klarstellen, selbst zur Generation Doof zu gehören. Insofern kann man ihnen jene Praktiken kaum vorwerfen, die BILDblog jetzt aufgedeckt hat: Haben die Autoren für ihr Buch schlecht recherchiert oder sogar plagiiert? So oder so - bezeichnend für die "Generation Doof" ist die unhinterfragte, quellenunkritische Übernahme jedweder Information aus dem Internet: das Zusammenfallen von Netzinformation und Wirklichkeit.

In den vergangenen Tagen geisterte die Sequenz als Leitbeispiel für die Vertrottelung der Deutschen durch zahlreiche Medien: Eine Kandidatin der RTL-Show "Wer wird Millionär?" habe sich bei der Frage, wie der Vorname von "George W. Bush" heißt, für "Edmund" entschieden. Die "Readers Edition" hievte das Fallbeispiel gar auf den Olymp der Mediengeschichte:

Zum Schreien komisch in die Mediengeschichte eingegangen ist jene Jauch-Kandidatin, die so nicht Millionärin werden konnte. Sie hatte es aber auch schwer, als sie nach dem Vornamen von George W. Bush gefragt wurde. Die vier Möglichkeiten a) Peter, b) Edmund, c) Torgen, d) George waren für sie zwei zu viel.

Aber auch die beiden Antwortmöglichkeiten b) Edmund, d) George überforderten sie. Also fragte sie das Publikum. Das entschied sich zu 42 Prozent für Edmund und zu 58 Prozent für George. Daraus zog sie den Kurzschluss, dass Georg W. Bush nur Edmund mit Vornamen heißen könne.Readers Edition

Bild.de und Kölner Stadt-Anzeiger zogen mit. In der gestrigen Kerner-Show tauchte das Beispiel erneut auf, allerdings mit Kerners kleinlauter Abschwächung "wenn's denn wirklich so war". Denn augenscheinlich steht seit längerem fest, dass das Beispiel auf einem Internet-Fake basiert, der hier zu finden ist - samt Diskussion, ob der Fall nun authentisch ist oder nicht. Von BILDblog wurde der Fake-Charakter der Screenshots bereits vor knapp einem Jahr geoutet.

Screenshot von Webmaster-Verzeichnis

Die "Generation Google" ist nicht der Fortschritt, sondern das Problem

Dass aus Internet-Fakes Fakten werden, ist kein Einzelfall. Die Generation Doof (hier: der Journalisten und Buchautoren) ist wohl auch eine, der ein kritisches Evaluieren von Netzinformationen fremd ist, welche die Idee der "Originalquelle" für einen verschrobenen Anachronismus hält und die eigentlich alles für bare Münze nimmt, was auf YouTube oder sonstwo im Web 2.0 zu finden ist.

Aktuelle internationale Studien wie etwa jene zur "Google-Generation" (genauer Titel: Information Behaviour of the Researcher of the Future) warnen vor einem krassen Defizit an "web literacy" bei der jungen Generation und fordern nationale Programme zur Anhebung der Informationskompetenz, beginnend an den Schulen. Hierzulande wird dieses Problem kaum gesehen - das Gegenteil ist der Fall. So lobte - sofern der "Kölner Stadt-Anzeiger" korrekt zitiert hat - Cordula Avenarius von der Studienstiftung des deutschen Volkes gerade eben ausdrücklich die Generation Google(-Copy-Paste):

Vielleicht können heute junge Leute nicht mehr so viel auswendig rezitieren. Aber dafür haben sie Auslandserfahrung und wissen, wie man sich Wissen durch zwei Klicks im Internet beschafft.

Cordula Avenarius

Dass dieses "Wissen durch zwei Klicks", die "information at your fingertips" zu großen Teilen genau das Problem ist, wird konsequent ausgeblendet. Vielleicht, weil es der EU-Leitideologie widerspricht, wonach mehr Vernetzung prinzipiell gut ist?

Dass Netzinformation und Wirklichkeit für die "Generation Doof" zusammenfallen und das Bewusstsein für Quellen(transparenz) schwindet, bestätigt auch die Lektüre des Buchs "Generation Doof": Auf Seite 8 f. beschreiben die Autoren eine Befragung von Kandidatinnen für die "Miss Ostdeutschland"-Wahl von 2004, bei der die jungen Damen zu doof waren, in einer Deutschlandkarte die Grenze zwischen Westen und Osten einzuzeichnen. Offenbar ironiefrei internetgläubig loben die Autoren hier YouTube als Aufdecker des Missstands:

Die Angelegenheit hätte wohl auch keine weitere Beachtung gefunden, wenn Chad Hurley, Steve Chen und Jawed Karim nicht just einen Monat später die Internetplattform YouTube gegründet hätten. Doch seitdem man hier seine Abende mit lustigen Videos über den Unfug fremder Leute zubringen kann, ist der geistige Totalausfall der Ost-Schönheiten zu einem Lieblingsclip vieler Internetsurfer geworden.

"Generation Doof", S. 8 f.

Das YouTube-Video findet sich hier und ist - sofern kein Fake - ein hinterlegter SAT-1-Beitrag. Nun wollen wir hier mal keine akademischen Standards anlegen und ein Originalzitat einfordern. Aber es spricht doch auch Bände für die Netzgläubigkeit (oder gegen die Annahme, dass SAT 1 Zuseher hat), wenn behauptet wird, die "Angelegenheit" hätte ohne die Gründung von YouTube "keine weitere Beachtung" gefunden.

Screenshot von dem SAT-1-Beitrag auf YouTube

Anmerkung: Der performative Widerspruch einer Selbstbeschreibung der "Generation Doof" durch die "Generation Doof" durchzieht das Buch. Aber alle Fehler sind natürlich verziehen, wenn man selbst Teil des Beschreibungsobjekts ist. Auch mit der Begriffslogik hapert es mitunter: So verweist etwa die Formulierung, die "Generation Doof" umfasse unter anderem auch "Eltern, die heute ihren späten Wurf großziehen (oder kinderlos bleiben)", auf das philosophisch schöne Paradoxon kinderloser Eltern ("Generation Doof", S. 14) usw.

Wie unüberprüfte Web-Informationen zu massenmedialen Wahrheiten werden

Doch es kommt noch dicker: BILDblog hat nicht nur das Beispiel mit dem Vornamen von George W. Bush als Fake enttarnt, sondern behauptet überdies, nahezu alle Beispiele für die dümmsten Antworten bei Fernseh-Quizshows im Buch "Generation Doof" (und in der Folge von vielen Massenmedien übernommen) stammten von einer privaten Website, nämlich von Die Unmoralische. Die Kollektion - ihrerseits durchgängig ohne exakte Quellenangaben wie Sendetermine etc. - wurde zuletzt vor zwei Jahren aktualisiert. Eine Anfrage beim Betreiber der Website, woher er selbst seine Beispiele habe, blieb bis dato unbeantwortet.

In der Welt der Internet-Recherche wird einem oft der Boden unter den Füßen weggezogen: Was, wenn der Betreiber von unmoralische.de nicht selbst die Beispiele kompiliert hat, sondern er diese bloß von jemand anderem kopiert hat? Was, wenn der offensichtliche SAT-1-Beitrag über die doofen Missen in Ostdeutschland selbst ein - perfekt gemachter - Fake ist? Wenn am Ende das George-Bush-Beispiel doch echt ist?

Der inhärente Widerspruch erfasst auch den Autor dieses Beitrags, wenn er selbst Blogs zitiert, um Fakes zu enttarnen. Kriminologisch anmutende Recherchen wären vonnöten, um letzte Zweifel auszuräumen. Brauchen wir eine (bitte nicht-staatliche) "Wissenspolizei" für das Internet? Oder ist ohnedies jedes Faktum dreh- und wendbar, ein Medienkonstrukt im Web 2.0? Unabhängig von der erkenntnistheoretischen Präferenz: In den allermeisten Fällen genügen immer noch Hausverstand und ein genaues Hinsehen.

Wenn Spiegel Online die Washington Post plagiiert...

So wie etwa im folgenden Beispiel. Schön, dass in Blogs nicht nur Contentklau betrieben wird (Contentklau in Blogs und anderswo), sondern diese auch - wie etwa BILDblog - Contentklau aufdecken. Ein aktueller Vorwurf in einem Blog wird hoffentlich nicht folgenlos bleiben für die Diskussion um journalistische Qualität: Keinem geringeren als dem Washington-Korrespondenten des Spiegel, Gregor Peter Schmitz (laut Spiegel in Harvard promoviert), wird vorgeworfen, erhebliche Teile eines Berichts über den US-Präsidentenwahlkampf vom 18. Februar 2008 von einem Artikel in der Washington Post plagiiert zu haben, der bereits am 8. Oktober 2007 erschienen ist. Die im Blog nachgewiesenen Übersetzungsplagiatsstellen sind jedenfalls entlarvend.

Die Redaktion von Spiegel Online hat nach Bekanntwerden der ersten Vorwürfe im Blog im Artikel noch einmal Hand angelegt. Nun findet sich am Ende des Artikels folgendes Statement:

"Hinweis: Für diesen Text wurde in mehreren Passagen auf einen Artikel der 'Washington Post' Bezug genommen. Die 'Washington Post' wurde auch als Quelle zitiert, nach Ansicht einiger Leser wurde allerdings nicht deutlich genug, welche Informationen von der 'Washington Post' übernommen wurden. Die betreffenden Stellen wurden nun entsprechend gekennzeichnet."

Es mag nun jeder Leser selbst überprüfen, inwieweit durch diesen Hinweis und durch einige Einfügungen "laut Washington Post" im Fließtext dieser plagiatsfrei geworden ist.

... passiert das offensichtlich nicht das erste Mal

Es ist dies nicht der erste Fall dieser Art beim Spiegel, bei dem ein Autor lediglich eine Vor-Ort-Recherche simuliert, aber weite Teile abgeschrieben oder zumindest bloß ergoogelt hat. Ein weiterer pikanter Fall, bei dem "Spiegel Online" offenbar von einer britischen Fernseh-Dokumentation unzitiert abgeschrieben hat, wird hier geschildert. Ein dritter Fall in der Spiegel-Printausgabe betrifft einen ergoogelten Bericht, der aber Vor-Ort-Präsenz suggeriert. Fälle dieser Art häufen sich insgesamt im Journalismus. Einer wurde auch vom Wikipedia-Aktivisten Mathias Schindler veröffentlicht, und viele weitere befinden sich hier. Was setzen Journalistenausbildungsstätten und Redaktionen dieser Entwicklung entgegen?

Freilich gilt, wie immer im Netz, die Einschränkung: Der gestern bekannt gewordene neue Fall ist eine Blamage für Spiegel Online - aber wirklich nur dann, wenn der Artikel der Washington Post kein Fake ist.