Beginnt die Lebenserwartung wieder zu sinken?

Der seit Jahrzehnten beobachtete Rückgang der Herzerkrankungen scheint sich nach Studien bei der jüngeren Generation umzukehren

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Herzerkrankungen sind in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich weniger geworden und haben zu weniger vorzeitigen Todesfällen geführt. Koronare Herzerkrankungen sind die häufigste Todesursache in den Industrienationen. Ursachen dafür sind bessere Therapien und Präventionsmaßnahmen, aber auch ein Rückgang von Risikofaktoren im Lebensstil (Rauchen, Inaktivität, Cholesterin, erhöhter Blutdruck). Zwar lässt sich der Rückgang weiterhin bei alten Menschen beobachten, bei jüngeren zwischen 35 und 55 Jahren jedoch scheint der Trend gebrochen zu sein, wie neuere Studien nahelegen.

Für die Studie Recent Trends in the Prevalence of Coronary Disease, die in der Februargabe der Archives of Internal Medicine erscheinen ist, wurden Daten über 3200 Tote zwischen 16 und 24 Jahren, die zwischen 1981 und 2004 im Olmsted County, Minnesota, gestorben sind, untersucht. Ausgewählt wurden 515 Todesfälle, die durch Unfälle, Selbstmord, Mord oder andere, unbekannte Ursachen gestorben sind. Bei 425 Toten war der Zustand der Herzkranzarterien bei der Autopsie dokumentiert worden. 8,2 Prozent wiesen eine starke koronare Herzkrankheit auf, bei 83 Prozent gab es Hinweise darauf.

Zwar hat es nach Aussagen der Autoren trotz des Anstiegs an Fettleibigkeit und Diabetes nicht mehr Todesfälle durch Herzerkrankungen gegeben. Festgestellt wurde anhand der Probe aber der Trend, dass ab 1995 der Rückgang der koronaren Herzerkrankungen aufgehört und sich ab 2000 umgekehrt hat. Seitdem scheinen koronare Herzerkrankungen wieder zuzunehmen. Die Autoren vermuten, dass die Gründe dafür zunehmende Fettleibigkeit und Diabetes sein könnten. Da aber Krankheiten und die Lebenserwartung an den sozialen Statuts der Menschen gebunden sind, könnte die Zunahme auch eine Folge der seit Jahren weiter auseinander gehenden Kluft zwischen Armen und Reichen und/oder einer Verschlechterung der Gesundheitssysteme sein.

Nach den Ergebnissen anderer Studien ist insbesondere Übergewicht in der Kindheit mit dem Auftreten von Herzerkrankungen im späteren Alter verbunden. In einer Studie aus dem Jahr 2007, die Todesursachen bei US-Amerikanern mit einem Alter von über 35 Jahren zwischen 1980 und 2002 untersuchte, ergab sich ein ähnliches Bild. Je jünger die Menschen werden, desto stärker kommt der Rückgang der durch Herzerkrankungen bedingten Todesfälle zum Stillstand oder dreht sich um. Das war bei Männer und Frauen mit einem Alter zwischen 35 und 54 Jahren ab dem Jahr 2000 so, während bei den älteren Menschen der Trend weiter anhält.

In einem Editorial in Archives of Internal Medicine bezeichnet der Epideiologe S. Jay Olshansky daher die jungen Menschen als "Kanarienvögel im Kohlebergwerk", also als Risikomelder: "Aus meiner Sicht ist dies eine absolut schockierende Studie", sagte er. Sollten die Herzerkrankungen und die dadurch bedingten Todesfälle wieder zunehmen, dürfte auch der bislang anhaltende Trend zur Lebensverlängerung einen Knick bekommen. Das hat auch eine Studie amerikanischer Wissenschaftler aus dem Jahr 2007 belegt. Danach könnte der Gipfel der kontinuierlich steigenden Lebenserwartung bereits überschritten sein, da die jetzt 50-Jährigen insgesamt weniger gesund sind als die vorhergehenden Generationen (Die jetzt 50-Jährigen sind kränker als vorhergehende Generationen).

Olshansky und Kollegen hatten bereits 2005 in einer Studie, die im The New England Journal of Medicine veröffentlicht wurde, darauf hingewiesen, dass die Lebenserwartung nicht mehr weiter ansteigen wird. Vor allem aufgrund der Folgen von Übergewicht und Diabetes könnte die Lebenserwartung in den nächsten Jahrzehnten zurückgehen. Dazu könne auch der Anstieg an Todesfällen durch Infektionskrankheiten sowie wachsende Umweltverschmutzung oder andere Risikofaktoren im Lebensstil beitragen, die durch Fortschritte in der Medizin kompensiert werden können.