Staatsferne und Tabubereiche

Interview mit dem SWR-Intendanten Peter Boudgoust zu den Internet-Plänen der öffentlich-rechtlichen Sender

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die Europäische Wettbewerbskommission schrieb den öffentlich-rechtlichen Sendern in Deutschland einen Drei-Stufen-Test zur Prüfung ihrer Internet-Aktivitäten vor. Die ARD interpretierte diesen bisher recht großzügig und schlug Verlagen statt Anhörungs- und Einspruchrechten Kooperationen vor. Mittlerweile scheinen sich erste Zusammenarbeitsmodelle abzuzeichnen.

Herr Boudgoust - Sie waren letzte Woche auf einem Treffen, bei dem die Intendanten der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten unter anderem über die Pläne für eine Zusammenarbeit mit Webportalen sprachen. Was kam dabei heraus?

Peter Boudgoust: Wir haben uns darauf verständigt, dass jetzt konkrete Verhandlungen mit interessierten Verlagen möglich sind. Und wir haben uns auch auf bestimmte Kriterien und Beurteilungsmaßstäbe geeinigt, wobei in jedem Fall Einzelprüfungen notwendig sind. Man kann also nicht sagen, dass daraus jetzt ein Handbuch entstanden ist, wie es weitergeht, sondern es sind eher die Leitlinien formuliert worden.

Man raunt seit einiger Zeit, dass bereits heftig an solchen Kooperationen mit verschiedenen Parteien gewerkelt wird.

Peter Boudgoust: Es gibt – und das ist kein Geraune, sondern, glaube ich, auch mittlerweile bekannt – konkrete Gespräche und Verhandlungen zwischen dem WDR und der WAZ-Gruppe. Es gibt daneben auch ein mehr oder minder konkret geäußertes Interesse anderer Verlage. Wir haben bislang abstrakte Fragenkataloge beantwortet und sehen jetzt der Aufnahme von konkreten Gesprächen und Verhandlungen entgegen, wobei auch klar ist: Wir drängen uns nicht auf, wir gehen ohne Hybris in diese Gespräche. Da muss ein Interessengleichgewicht auf beiden Seiten vorliegen, und das bedeutet eben, dass die Verlage klar erkennen müssen, dass sie Vorteile in einer solchen Kooperation sehen. Wie wir übrigens auch.

Gibt es schon irgendeine konkretere Form der Zusammenarbeit, die sich bei diesen Verhandlungen herauskristallisiert?

Peter Boudgoust: Es wird, glaube ich, immer zu Mischmodellen zwischen Verlinkung und Lizenzierung bzw. Verwertung kommen. Im Grunde bedeutet das, dass solche Inhalte, die auf unseren Internetseiten angeboten werden, auch für alle anderen Interessierten – also nicht exklusiv – per Verlinkung zur Verfügung stehen müssen. Wenn es in Richtung exklusive Nutzung gehen soll, muss es eben zur kostenpflichtigen Lizenzierung kommen.

Das heißt, sie wollen das Verlinken auf bestimmte exklusive Inhalte verbieten?

Peter Boudgoust: Nein. Das können wir gar nicht und wollen wir auch nicht. Es ist eben nur die Frage, wie viel Exklusivität der jeweilige Verlag wünscht. Dort wo eine Verlinkung erfolgen soll, kann es keine Exklusivität geben – ganz im Gegenteil: Da müssen wir ganz besonders auf Wettbewerbsneutralität und -transparenz achten.

Wie soll denn solch ein Exklusivität dann konkret aussehen?

Peter Boudgoust: Wenn ein Verlag einen exklusiven Zugriff auf einen bestimmten Inhalt will, dann kann das nicht per Verlinkung erfolgen, sondern durch eine Lizenzierung, eine Verwertung – im Übrigen ist das auch gar keine neue Form. Programmverwertung gab und gibt es auch jetzt schon. Aber ich glaube, das weit überwiegende Interesse wird darauf gerichtet sein, per Verlinkung zu den Angeboten der Rundfunkanstalten zu kommen. Es kann auch Mischmodelle geben, wo man festlegt: Ein Großteil der Zusammenarbeit besteht in einer solchen Verlinkung, und vielleicht kommen einige wenige Inhalte noch hinzu, die exklusiv erworben werden sollen. Aber wie gesagt, das ist Sache der Verlage. Sie müssen ein entsprechendes Interesse äußern und auch die Konditionen benennen, unter denen sie daran interessiert sind. Und dann prüfen wir, ob das von unserer Interessenlage her passt.

Aber eine Verlinkung ist doch eine selbstverständliche Sache und keine besondere Form der Zusammenarbeit.

Peter Boudgoust: Nein. Eine besondere Form der Zusammenarbeit bestünde aber in solchen Mischmodellen, und daraus wird dann vielleicht ein interessantes publizistisches Angebot für den jeweiligen Verlag.

Gibt es schon konkrete Pläne über Sendeformate, die möglicherweise von der WAZ in besonderer Weise verwertet werden?

Peter Boudgoust: Das weiß ich nicht. Da müssten Sie den WDR und die WAZ fragen. Ich weiß nur abstrakt von diesen Verhandlungen, aber ich kenne sie nicht im Detail.

Im Internet wird überwiegend eine größere Themenbandbreite abgedeckt und eine größere Staatsferne praktiziert als von den öffentlich-rechtlichen Medien. Meinen Sie nicht, dass Kooperationen etwas gefährden könnten, das Internetportale jetzt für Nutzer interessanter macht als die öffentlich-rechtlichen Sender?

Peter Boudgoust: Einspruch: Wenn das Gütesiegel „Staatsferne“ auf jemanden zutrifft, dann auf die öffentlich-rechtlichen Anstalten, für die Unabhängigkeit das höchste Gut ist – das wurde uns ja auch in mehreren Verfahren vom Bundesverfassungsgericht bestätigt. Ich glaube, wir haben einen ganz gewichtigen Vorteil gegenüber bestehenden Angeboten: Wir sind eben frei von finanziellen Interessen. Wir können und wollen unsere Angebote nur werbefrei einstellen, und darin sehe ich ehrlich gesagt eine Bereicherung der Online-Welt und keine Beeinträchtigung oder Bedrohung.

Es scheint aber offenbar einige Tabubereiche für die öffentlich-rechtlichen Sender zu geben. Zum Beispiel die EU-Verfassung, die ja in zwei Ländern vom Volk abgelehnt und die dann als Vertrag von Lissabon trotzdem verabschiedet wurde. In der Tagesschau wurde das mit den Worten verlautbart: "Die EU ist ein Stück demokratischer und handlungsfähiger geworden." Kein Wort der Kritik und zu den konkreten Auswirkungen. Ist das tatsächlich staatsfern?

Peter Boudgoust: Der Vertrag von Lissabon ist etwas gänzlich anderes als die EU-Verfassung, die gescheitert ist. Und der einzelne Satz, den Sie mir da vorhalten, hat mit Staatsnähe oder Staatsferne nichts zu tun: Die journalistische Einschätzung eines ARD-Korrespondenten ist alles andere als eine „Verlautbarung“. Ich will mit Ihnen nicht über die Frage streiten, wie demokratisch die EU ist. Mir geht es darum, dass keine andere Fernsehsendung so ausführlich, mit allen Facetten und kritischen Aspekten über den Reformprozess der EU berichtet hat wie die „Tagesschau“. Gehen Sie mal bei tagesschau.de in die Suchfunktion – da finden Sie ganze Dossiers mit Videos, Audios und Texten.

Aber Sie haben praktisch nicht über die Inhalte der EU-Verfassung berichtet, und schon gar nicht kritisch.

Peter Boudgoust: Das weise ich zurück. Wir haben sehr wohl in einer ganzen Reihe von Sendungen, von der „Tagesschau“ bis zum „Europamagazin“ im Ersten, für das der SWR im Wechsel mit dem WDR verantwortlich zeichnet, in aller Ausführlichkeit über die Inhalte, Beweggründe und die Historie dieser Entscheidungen informiert. Wir haben unsere eigenen ARD-Korrespondenten, die aus Brüssel wie aus Straßburg für alle drei Medien berichten. Da fehlte es an nichts.

Kritiker an der EU-Verfassung kamen in öffentlich-rechtlichen Sendern praktisch überhaupt nicht zu Wort.

Peter Boudgoust: Ich kann Ihnen nur sagen, dass wir eine außerordentlich umfangreiche und intensive Berichterstattung hatten, und da kam das Für und Wider all dieser Regelungen sehr ausführlich zur Sprache. Vergleichbares habe ich in keinem privaten Medium gesehen oder gehört.