Die Stimme der Moslems

In einer umfassenden Studie wurden 50.000 Moslems von Gallup nach ihren Einstellungen zu Terrorismus, Glauben, Anti-Amerikanismus und Gleichberechtigung gefragt

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Nicht nur amerikanische Politiker bedienen sich der Angst vor Anhängern des Islam, um Forderungen nach mehr Sicherheit zu unterlegen. Auch in Deutschland wird kaum eine Möglichkeit ausgelassen, auf die Bedrohung durch Moslems hinzuweisen, auch wenn die Argumente oftmals wenig stichhaltig sind. Ob bei den Anschlägen vom elften September, in Madrid oder auch in Deutschland: wenn es zu Anschlägen kommt oder sie vereitelt werden, wendet sich die öffentliche Diskussion schnell von den Tätern ab und der Religion zu, die in den meisten Fällen verantwortlich gemacht wird. Dabei sind es weniger die Fakten, als mögliche Schreckensszenarien, die in den Medien beachtet werden und Rufe aus der Politik nach umfassenderer Kontrolle nach sich ziehen. Die muslimische Kultur wird in der „westlichen Welt“ häufig als zurückgeblieben und gewaltaffin wahrgenommen.

Deswegen ist das Erscheinen der Ergebnisse der Gallup-Umfragen von 2001 und 2005-2007 zu begrüßen. Gallup-Umfragen werden seit den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts durchgeführt, seit 1958 unter dem Dach der Gallup-Organisation. Die Umfragen sollen auf lange Sicht die öffentliche Meinung in der gesamten Welt zu unterschiedlichen Themen einfangen.

Im März erscheint in den USA das Buch „Wer spricht für den Islam? – Was eine Milliarde Muslime wirklich denken“, das der muslimischen Bevölkerung in mehr als 35 Ländern, in denen diese überwiegt oder einen bedeutenden Anteil an der Gesamtbevölkerung ausmacht, eine Stimme geben soll. Hierfür wurden vom Gallup Center for Muslim Studies Interviews mit 50.000 Muslimen geführt, die nach ihren Einstellungen zu Erziehung, Glauben, Demokratie, Kultur, Wohlstand und den Medien gefragt wurden. Konkreter ging es unter anderem um folgende Fragestellungen:

Ist der Islam für den Terrorismus verantwortlich zu machen? Warum gibt es einen so starken Anti-Amerikanismus in der muslimischen Welt? Wer sind die Extremisten? Wo sind die Moderaten? Was wollen muslimische Frauen wirklich?

Das Buch stellt einen Querschnitt dar, wie Eric Nielsen, „Senior Director of Media Relations“ von Gallup in Washington betont: „Das Buch ist die Ansammlung von laufenden Studien, die fortgesetzt werden sollen. So ist es nur das Bild eines fortschreitenden Prozesses.“

Die dort präsentierten Ergebnisse brechen mit einigen Vorurteilen. Überraschen könnte es zum Beispiel, dass 80% der Befragten in zehn Ländern, in denen die muslimische Bevölkerung dominiert, die Freiheit, das juristische System und die Redefreiheit im Westen am meisten bewundern. Sie kritisieren hingegen ein übertriebenes Anhängen an der islamischen Lehre und den Extremismus in ihrem eigenen Kulturkreis.

Dennoch wird von Gallup darauf hingewiesen, dass in einigen Ländern der Anteil an Befürwortern der Scharia als einziger Quelle der Rechtssprechung hoch ist. In Ägypten forderten dies zum Beispiel 66% der Befragten, im Libanon hingegen nur 8%. Aber wenn auch mehr als 50% der Befragten in weiteren Ländern – Pakistan, Jordanien in Bangladesch – sich für die Scharia aussprechen, bedeutet dies nicht, dass sie zugleich eine Theokratie befürworten.

Auch in anderen Bereichen wirken die Zahlen ernüchternd. Nur sieben Prozent der Muslime werden als radikal bezeichnet, was daran festgemacht wird, dass sie sowohl die Anschläge vom elften September begrüßen, als auch eine negative oder sehr negative Einstellung gegenüber den USA einnehmen. Die restlichen 93% werden dem moderaten Spektrum zugerechnet. Eine weitere Beobachtung scheint dem Mythos vom religiösen Fanatiker zu widersprechen:

Das vielleicht Überraschendste für viele aus dem Westen ist, dass die beiden Gruppen wenig Unterschiede in ihrer Religiosität zeigten, gemessen an der Regelmäßigkeit der Anwesenheit bei religiösen Veranstaltungen und der Bestätigung, dass Religion eine wichtige Rolle in ihrem Alltagsleben spiele.

Die als radikal eingestuften Moslems verfügen darüber hinaus noch im Durchschnitt über eine höhere Bildung. Ihre größte Sorge ist meist die Besatzung, bzw. die Dominanz der USA. Es ist die westliche Politik, nicht aber die Kultur, die von vielen Muslimen abgelehnt wird. Sowohl moderate, als auch radikale Moslems sehen eine Respektlosigkeit des Westens gegenüber dem Islam, letztere fühlen sich zudem eher durch den Westen bedroht. Dennoch sehen beide Gruppierungen einen Vorteil in der Demokratisierung der muslimischen Gesellschaften.

Danach gefragt, welche westliche Demokratie sie mit dem Gedanken der Freiheit in Verbindung sehen, wurden häufig die USA an erster Stelle genannt, erst dann folgten England, Frankreich und Deutschland. Demnach werden nicht Prozesse der Demokratisierung abgelehnt, sondern im Gegenteil befürwortet, solange diese nicht zur Unterdrückung der eigenen Kultur führen.

Auch den europäischen Demokratien hat die Studie einige Aufmerksamkeit zugewandt. Dabei wurden in unterschiedlichen Umfragen muslimische Bewohner von London, Paris und Berlin befragt. Die hauptsächlich türkischstämmige muslimische Bevölkerung wurde Anfang des letzten Jahres befragt. Während nur 41% der Gesamtbevölkerung der deutschen Hauptstadt die Religion für einen wichtigen Teil ihres Alltagslebens halten, sehen 85% der Moslems dies als zutreffende Beschreibung für sich. Dies widerspricht jedoch keinesfalls der Loyalität gegenüber Deutschland. Drei Viertel der Moslems in Berlin bezeichnenn sich als loyal.

Auch die Tatsache, dass sich ein großer Teil der Befragten in den muslimischen Ländern für eine Gleichberechtigung von Mann und Frau aussprechen, widerspricht einigen Vorurteilen, wenn auch nicht zu leugnen ist, dass es sich faktisch anders verhält.

An den Umfragewerten lässt sich leicht absehen, dass der bestehende Extremismus in den muslimischen Ländern keinesfalls von einer breiten Bevölkerungsschicht getragen wird. Demokratie und Religion schließen sich für den Großteil der Befragten keinesfalls aus, wenn auch die Befürchtung besteht, dass der erzwungene Demokratisierungsprozess, an dessen Spitze sich die USA gestellt haben, zur Unterdrückung von muslimischer Religion und Kultur führt. Die Umfragen zeigen demnach ebenso wie die Studie Muslime in Deutschland die Angst von Muslimen, durch den Westen marginalisiert zu werden, und den Wunsch, in Entscheidungsprozesse einbezogen zu werden.