Rückschlag für den Mythos "Naturheilmittel ohne Nebenwirkung"

Eine Studie deutet darauf hin, dass Ginkgo Biloba zwar möglicherweise Gedächtnisstörungen vorbeugen kann, aber auch das Schlaganfallrisiko erhöht

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Extrakte aus Blättern und Früchten des Ginkgobaums haben nicht erst seit ihrer Erwähnung in Mondo 2000 einen Ruf als "Smart Drugs". Trotz unbewiesener Wirkung wird die Substanz aber nicht nur zur Gedächtnisleistungssteigerung eingenommen: Die Bandbreite des medizinischen Einsatzes umfasst dutzende verschiedenster Krankheiten - vom Asthma bis hin zur Gonorrhoe. Die derzeit beliebtesten Theorien zur angeblichen Wirksamkeit basieren auf den im Ginkgo enthaltenen Flavonoiden und Terpenoiden, die teilweise zu komplex sind, um sie synthetisch herzustellen.

Trotzdem mangelt es nicht an Studien, in denen einmal die Wirksamkeit, ein andermal wieder die Wirkungslosigkeit des Pflanzenextrakts gegen Gedächtnisprobleme festgestellt wurde.

Während der neuesten, am NIA-Layton Aging & Alzheimer Disease Center der Oregon Health & Science University und am Oregon Center for Complementary and Alternative Medicine in Neurological Disorders durchgeführten Studie, bekam die Hälfte der Teilnehmer dreimal täglich Ginkgo-Biloba-Extrakt verabreicht, die andere Hälfte erhielt stattdessen ein Placebo.

Die Wissenschaftler untersuchten drei Jahre lang, ob sich Gedächtnisstörungen in den beiden Gruppen entwickelten und konnten dabei zuerst keine schützende Wirkung von Ginkgo Biloba feststellen. Dann berücksichtigen sie die Zuverlässigkeit, mit der die Personen ihre Medikamente einnahmen, und kamen zu dem Ergebnis, dass das Risiko, Gedächtnisstörungen zu entwickeln, bei Personen, die ihre Medikamente verlässlich einnahmen, in der Ginkgo-Gruppe um 70 % niedriger lag als in der Vergleichsgruppe. Die Forscher geben in ihrer letzte Woche in der Onlineausgabe der Fachzeitschrift Neurology veröffentlichten Studie allerdings selbst zu, dass die Ergebnisse der mit lediglich 118 Probanden durchgeführten Testreihe alles andere als endgültig sind und in größeren Untersuchungen überprüft werden müssen.

Mindestens ebenso interessant wie das Hauptergebnis der Studie ist ein Nebenergebnis das den verbreiteten Mythos, "Naturheilpräparate" hätten keine Nebenwirkungen etwas korrigiert: Bei den Auswertungen stellte sich heraus, dass die Teilnehmer der Ginkgo-Biloba-Gruppe ein beträchtlich erhöhtes Risiko aufwiesen, einen Schlaganfall oder eine Transitorische ischämische Attacke (TIA) zu erleiden. Insgesamt hatten sieben Personen aus der Ginkgo-Gruppe Schlaganfälle – und kein einziger aus der Vergleichsgruppe. Auf das schon vorher bekannte erhöhte Blutungsrisiko bei Einnahme von Ginkgo Biloba konnten die Schlaganfälle nicht zurückgeführt werden – alle sieben resultierten aus Blutverklumpung. Schon bisher war bekannt, dass Ginkgobaum-Samen nicht ganz ohne gesundheitliche Risiken sind: Neben dem erhöhten Blutungsrisiko kann der in ihnen enthaltene Vitamin-B6-Antagonist 4-Methoxypyridoxine im Übermaß genossen zu Vergiftungserscheinungen führen.

Dass der Wille der Forscher, ihre Ergebnisse noch einmal einer (methodisch möglicherweise fragwürdigen) "genaueren" Überprüfung zu unterziehen, von Geschäftsinteressen geleitet war, ist angesichts der Förderung durch das National Center for Complementary and Alternative Medicine in Neurological Disorders und das ebenfalls staatliche National Institute on Aging eher unwahrscheinlich. Auch dass die Forscher, die in ihrer Studie entdeckte Nebenwirkung so freimütig preisgeben, deutet darauf hin, dass hier eher keine geschäftlichen Interessen vorlagen. Allerdings ist auch der Glaube, dass nur chemisch hergestellte Substanzen geschäftlichen Interessen ausgesetzt wären, ein Irrtum - das Geschäft mit Ginkgo ist alleine in den USA ein Millionenmarkt.