Kolumbien/USA gegen Ecuador/Venezuela

Die kolumbianische Regierung beschuldigt Venezuela und Ecuador und bringt schmutzige Bomben und finanzielle Hilfe von Chavez ins Spiel

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Die kolumbianische Regierung hat nach dem Angriff auf schlafende FARC-Rebellen im Nachbarland Ecuador tief in die Kiste der Anschuldigungen gegriffen, um seine völkerrechtswidrigen Aktivitäten zu rechtfertigen. So beschuldigt Präsident Alvaro Uribe die Regierung Ecuadors, sie unterstütze die FARC. Deren Präsident Rafael Correa gibt zurück, dass man mit dem getöteten FARC-Kommandanten in fortgeschrittenem Stadium über die Freilassung 12 weiterer Geiseln verhandelt habe. Darunter sei auch Ingrid Betancourt gewesen, deren Freilassung über die Attacke ebenfalls verhindert worden sei. Kolumbien wirft Venezuela vor, Hugo Chávez habe die FARC mit 300 Millionen US-Dollar unterstützt und will ihn vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag anklagen. Zudem behauptet Kolumbien, die FARC habe radioaktives Material zum Bau einer schmutzigen Bombe erworben.

Irgendwie kommt einem das Strickmuster bekannt vor: Nuklearwaffen oder Massenvernichtungswaffen, die angeführt werden, um eine dubiose Kriegsstrategie zu begründen (Aufklärung als Vernebelung). In diese Trickkiste der Geheimdienste greift derzeit offenbar die kolumbianische Regierung, nachdem sie für ihren Angriff auf schlafende Mitglieder der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) in Ecuador in Bedrängnis geraten ist (Kolumbien riskiert den Krieg).

So versuchte der kolumbianische Vizepräsident Francisco Santos Calderon am Dienstag vor der UNO-Abrüstungskonferenz in Genf in die Offensive zu gehen und erklärte, die Guerilleros hätten mit "radioaktivem Material zum Bau von schmutzigen und terroristischen Bomben gehandelt". Santos zeichnete in Genf ein enormes Bedrohungsszenario, das angeblich von der FARC ausgehe. "Diese Informationen werden einem strikten und rigorosen Überprüfungsprozess unter internationaler Beteiligung unterzogen und sie zeigen an, dass das ökonomische Gewicht, das die terroristischen Gruppen über den Drogenhandel erlangen, zu einer Gefahr nicht nur für unser Land, sondern für die gesamte Andenregion und Lateinamerika ist. (http://afp.google.com/article/ALeqM5hC3RnCMcvc9HlhZT47a87U8EZhbA).

Zwar sagte Santos nicht, auf wessen Hilfe er sich bei der Verifizierung stützt, doch darf man hier von US-Stellen ausgehen. US-Präsident George W. Bush hatte der kolumbianischen Regierung nach der Bombardierung für ihre "starke Führung" im Kampf gegen die Rebellen gedankt, während das Vorgehen allseits verurteilt wird. Brasilien und Chile wollen auf einer Sondersitzung des Ständigen Rates der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) die Einsetzung einer Untersuchungskommission fordern.

This morning I spoke to President Uribe of Colombia. He updated me on the situation in his country, including the continuing assault by narco-terrorists, as well as the provocative maneuvers by the regime in Venezuela.

I told the President that America fully supports Colombia's democracy, and that we firmly oppose any acts of aggression that could destabilize the region. I told him that America will continue to stand with Colombia as it confronts violence and terror and fights drug traffickers.

US-Präsident Bush am 4.3.2008

Der Direktor der kolumbianischen Polizei Oscár Naranjo hatte schon am Vortag behauptet, die Polizei hätte auf der Festplatte des Rechners des getöteten FARC-Kommandant Raúl Reyes, Hinweise auf den An- und Verkauf von 50 Kilo Uran gefunden. Naranjo behauptete, die Guerilla mache große Fortschritte auf dem Weg zu einer "internationalen Terrororganisation".

Angeblich soll sich auf dem Rechner auch ein Dokument befunden haben, das auf den 28. Februar 2008 datiert ist und den Titel trage: "Offizielle Allianz zwischen der FARC und der Regierung von Ecuador", teilte Naranjo auf der Pressekonferenz ebenfalls mit. Man darf davon ausgehen, dass es kaum ein Dokument mit einem solchen Titel gäbe, wenn tatsächlich eine solche Allianz tatsächlich beschlossen worden wäre. So verwundert es eigentlich kaum, wenn Naranjo den nachfragenden Journalisten die Kopien verweigerte, die seine hochtrabenden Anschuldigungen belegen würden.

Die Militäraktion soll die Freilassung von Betanvourt verhindert haben

Tatsächlich hat der ecuadorianische Präsident Rafael Correa den Kontakt zu Reyes längst eingeräumt. Doch er hat eine viel plausiblere Begründung. Es sei bei dem Kontakt darum gegangen, die weitere Freilassung von Geiseln zu erreichen, die sich seit Jahren in den Händen der FARC befinden. Darunter auch die Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt, die sich seit dem Frühjahr 2002 in den Händen der Guerilla befindet (Angst gehört hier zur Politik).

"Alle Kontakte zu der Guerilla fanden aus humanitären Gründen statt", bestätigte Correa die Kontakte zu Reyes. "Ich bedauere es, ihnen mitteilen zu müssen, dass die Gespräche zur Freilassung von 12 Geiseln in Ecuador weit fortgeschritten waren, unter denen sich auch Ingrid Betancourt befand. Das alles wurde durch die autoritären und kriegstreiberischen Akte zerstört und wir können nicht ausschließen, dass dies eine Motivation für den Angriff durch die Feinde des Friedens war."

Correa bestätigte, dass die Kontakte in Abstimmung mit Frankreich abgewickelt wurden, denn schließlich ist Betancourt auch französische Staatsbürgerin und für ihre Freilassung hat sich Präsident Nicolas Sarkozy persönlich eingesetzt: "Fällt es irgendjemandem ein, Präsident Sarkozy vorzuwerfen, die FARC zu unterstützen?", fragte er. Auch der französische Außenministers Bernard Kouchner erklärte, dass Reyes der Verhandlungspartner für die Freilassung von Betancourt war. "Es ist eine schlechte Nachricht, dass der Mann, mit dem wir gesprochen haben, mit dem wir in Kontakt standen, getötet wurde", bewertete Kouchner die Ermordung von Reyes. Nach unbestätigten Berichten wollte sich Reyes demnächst direkt mit Sarkozy treffen. Der hatte nach der Geiselbefreiung in der letzten Woche erklärt, er sei bereit sich persönlich in den kolumbianischen Dschungel zu begeben, um die Freilassung von Betancourt zu erreichen. In der bombardierten Grenzregion sei derweil an der Vorbereitung des Treffens gearbeitet worden.

Die Familie Betancourts ist sehr besorgt und macht Uribe schwere Vorwürfe. Der Ex-Ehemann der Präsidentschaftskandidatin warf Uribe "Niederträchtigkeit" vor. Schließlich hätten dessen Geheimdienste gewusst, dass Reyes die Grenze überschritten habe, um mit der Regierung Ecuadors die Freilassung weiterer Geiseln zu vereinbaren. Fabrice Delloye sagte in France Info), Uribe selbst habe die Schweiz, Frankreich und Spanien aufgefordert, Kontakt zu Reyes aufzunehmen, um zu einem humanitären Abkommen zu kommen. Dabei sei ihm das Leben der Geiseln egal, meint Delloye: "Er zieht es vor, seinen Krieg, koste es was es wolle, durchzuziehen."

Auch der ecuadorianische Präsident wirft Uribe Verrat vor. Man sei nicht vom kolumbianischen Volk verraten worden, sondern "von nur einem Mann, von einer Regierung, aber wir wissen, wie wir unser Land verteidigen", sagte Correa. Statt sich für den Angriff zu entschuldigen, besäße Uribe auch noch die Frechheit, Ecuador zu beschuldigen und Erklärungen zu verlangen. Uribe versuche den Nachbar zu destabilisieren, weil Ecuador sich weigere, dem von den USA entwickelten Plan Columbia zu unterstützen. Er fragt sich, ob es letztlich darum gehe, auch in Ecuador eine Marionettenregierung einzusetzen.

Chavez soll die FARC mit Geld unterstützt haben

Angriff ist die beste Verteidigung denkt man sich offenbar in Bogota und beschuldigt auch den venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez. Ihm wirft der kolumbianische Polizeichef nun vor, die FARC finanziell zu unterstützen. Dass diese Anschuldigung sich mit der Tatsache widerspricht, dass die FARC über den Drogenhandel zu einer Gefahr für die gesamte Region geworden sei, ist nur eine der Besonderheiten in der Argumentation. Jedenfalls behauptete Naranjo, Venezuela habe 300 Millionen US-Dollar (fast 200 Millionen Euro) an die FARC gezahlt. "Wir haben Informationen gefunden, welche die venezolanische Regierung kompromittieren", sagte Naranjo. Auch diese Daten seien auf dem Computer von Reyes gefunden worden, der sich zur Quelle aller Anschuldigungen von Uribe zu verwandeln scheint.

So will Uribe nun Hugo Chávez vor den Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag bringen, weil dieser den "Völkermord unterstütze und finanziere", wie Uribe nach einem Treffen mit dem ehemaligen Kongress-Mitglied Gloria Polanco ankündigte. Polanco war erst letzte Woche durch die Vermittlung von Chávez nach sechs Jahren Gefangenschaft freigelassen worden. In Venezuela bezeichnete der Präsident der Parlamentskommission für auswärtige Angelegenheiten das Vorgehen als "Ablenkungsmanöver". Es handele sich um eine lachhafte Anschuldigung vor einem "sehr ernsthaften Institution, und ich glaube nicht, dass die kolumbianische Regierung das wirklich vorhat".

Die kolumbianische Regierung versucht, mit diesen Aktionen, wieder in die Offensive zu gelangen. Dass Uribe dabei mit dem Feuer spielt und die Region an den Rand einer Kriegsgefahr bringt, ist ihm offensichtlich genauso egal wie das Wohlergehen der Geiseln. Tatsächlich kam er durch die erfolgreiche Vermittlung von Chávez immer stärker unter Druck. Zudem waren es die vier Ex-Kongressmitglieder, die letzte Woche als Geste des guten Willens ohne Gegenleistung von der FARC freigelassen wurden, die von Uribe politische Verhandlungen mit der FARC forderten, um eine "politische Lösung zu erreichen".

Es müsse etwas getan werden, um die übrigen Geiseln zu retten, sagten sie auf einer Pressekonferenz in Caracas. Die Öffentlichkeit müsse sensibilisiert werden und "Druck auf beide Seiten ausgeübt werden, damit sie verstehen, dass es eine politische Lösung geben muss", forderte Luis Eladio Pérez. "Es ist absurd an die Möglichkeit einer militärischen Befreiung zu denken." Wenn der kolumbianische Präsident weiter auf diesen Weg dränge, "wird er 40 oder 50 Leichen erhalten". Sie erklärten, einen Vorschlag für Uribe, Sarkozy und Chávez zu haben, dessen Inhalt sie noch nicht öffentlich machen könnten.

Ecuador und Venezuela haben wegen der Anschuldigungen durch Kolumbien inzwischen die diplomatischen Kontakte zu dem Land abgebrochen und zum Schutz ihrer Grenzen Truppen im Grenzgebiet zu Kolumbien aufziehen lassen. Hugo Chávez hat zudem auch den kolumbianischen Botschafter und das diplomatische Personal des Landes verwiesen. Ecuador fordert von der OAS eine Untersuchung der kolumbianischen Verletzung seiner Souveränität.