Israel: Ende des Booms?

Furcht vor Exporteinbruch und Finanzspekulation. Armut weiter gestiegen

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Nach fünf Jahren Wirtschaftsboom geht in Israel die Angst um, von der Wirtschafts- und Finanzkrise in den USA mitgerissen zu werden. Seit November 2007 ist der 100 Firmen umfassende TA-100-Index an der Börse von Tel Aviv um 17% gefallen. Das ist der größte Einbruch seit Beginn der Hausse im März 2003. Sorgen bereitet auch die Fehlspekulationen führender Unternehmen, wie beim Pharma-Konzern TEVA oder bei der High-Tech-Firma Allot Communications, die im Rahmen der Subprime-Krise erhebliche Verluste vermeldeten. Vor allem aber versetzt der Höhenflug der israelischen Währung Unternehmer und Gewerkschaften in Unruhe.

Seit zwei Jahren findet eine stetige Aufwertung des Schekels gegenüber dem Dollar statt. Allein seit Juli letzten Jahres verteuerte sich der Schekel um 16%. Da die Exporte 45% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ausmachen, wird darin zunehmend eine Gefahr für die israelische Wirtschaft gesehen. Dem Präsident der Manufacturers Association, Shraga Brosh, zufolge führt das zu „einer Situation, in der viele Exporteure berichten, dass sie Geld oder Aufträge verlieren. Wir prophezeien, dass uns dies einen Verlust von 4,5 Milliarden Dollar (3,1 Mrd. Euro) bei den Unternehmensprofiten bescheren wird.“ Yaakov Fisher, Vorstandsvorsitzender von I-Biz, einem der wichtigsten Unternehmensberatern des Landes, sieht die israelische Wirtschaft vor einem doppelten Problem: einem hohen Wechselkurs verbunden mit einem Rückgang der Nachfrage, aufgrund des nachlassenden Wachstums oder gar einer Rezession in den USA.

Der Vorsitzende des israelischen Export-Instituts, David Arzi, erklärte Mitte Februar vor dem Finanzausschuss der Knesset: „17% des Währungshandels sind spekulativ und darauf ausgerichtet, schnellen Profit zu machen.“ Arzi wies weiter daraufhin, dass „Hedge Fonds“ auf den internationalen Währungsmärkten zu den wichtigsten Akteuren des Schekel-Handels gehörten und kurzfristig einen erheblichen Einfluss auf die Entwicklung des Wechselkurses besäßen. „Ich bin besorgt über Hedge Fonds, an denen Israels Feinde beteiligt sein könnten“, fügte er hinzu. Auf diese Weise könnten finanzkräftige Personen oder Kreise Israel schweren wirtschaftlichen Schaden zufügen.

Hauptursache für den Anstieg des Schekel sind allerdings die hohen Wachstumsraten der israelischen Wirtschaft. Im letzten Jahr betrug es 5,3%. Für 2008 erwartet die Bank of Israel bislang einen Zuwachs von 3,6% bis 4,4%. Eine tragende Rolle spielen dabei der Technologiesektor (inklusive Rüstungsindustrie), die Pharma-Branche und die Agrarwirtschaft. Die bereits erwähnte TEVA Pharmaceutical Industries Ltd. mit Hauptsitz in Petach Tikwa ist inzwischen weltweit größter Hersteller von Nachahmermedikamenten (Generika) und steigerte ihren Umsatz im vergangenen Jahr nach eigenen Angaben um 12% auf 9,4 Milliarden Dollar (6,4 Mrd. Euro). Der Nettogewinn stieg (vor den Subprime-Abschreibungen) um 350% auf 1,95 Mrd. Dollar. Viele israelische Agrarunternehmen verfügen über große Erfahrung mit dem Kultivieren karger Böden. Analysten erwarten, dass dieses Knowhow (inklusive Saatgut und Chemikalien) zukünftig weltweit stark gefragt sein wird. Auch die Rüstungsindustrie gilt als interessant. Immer mehr Strategen gehen davon aus, dass „viele Staaten einen Nachholbedarf bei der Beschaffung ‚intelligenter’ militärischer Waffensysteme haben werden, die in Israel entwickelte und gefertigte Komponenten enthalten“, wie es die FAZ am 19.2.2008 ausdrückte.

Um möglichen Schaden von der Exportwirtschaft abzuwenden, versuchten die Unternehmerverbände in einer konzertierten Aktion mit dem traditionell sozialpartnerschaftlich ausgerichteten Gewerkschaftsbund Histadrut die Zentralbank zu einer Senkung der Leitzinsen zu drängen. Diese liegen in Israel bei 4,25% und damit deutlich über denen der US-Notenbank, was teilweise zu dem bekannten Phänomen des „Carry Trade“ führt, bei dem international tätige Akteure Kredite zu niedriger Verzinsung aufnehmen, um sie dann in Hochzinsländern anzulegen. Der Histadrut-Vorsitzende Ofer Eini drohte in diesem Zusammenhang im Februar gar mit einem Generalstreik. Industriellenpräsident Brosh forderte eine Zinssenkung um einen Prozentpunkt, um zu verhindern, dass „spekulative Kapitalinvestitionen den Dollar noch weiter schwächen“.

Zentralbankgouverneur Stanley Fisher, ein ehemaliger stellvertretender IWF-Direktor, ließ sich davon allerdings nicht beeindrucken und verfolgt, mit Blick auf die Inflationsgefahr, weiterhin dieselbe Linie wie die Europäische Zentralbank. Auch ein Indiz für den sinkenden ökonomischen Stellenwert der USA.

Während sich jedoch das israelische Bruttoinlandsprodukt pro Kopf allein zwischen 2004 und 2006 um 12,4%.erhöhte und die Arbeitslosenrate von 11% vor vier Jahren auf nun 7,8% sank, nimmt die Armut immer weiter zu. Einem aktuellen Bericht des Nationalen Versicherungsinstituts (NII) zufolge lebten im vergangenen Jahr 1.674.800 Israelis unter der Armutsgrenze. Das entspricht 24,7% der Gesamtbevölkerung des Kernstaates (also ohne die 1967 besetzten Gebiete) und einen Anstieg um 20.000 Personen im Vergleich zu 2006. Noch erschreckender ist das Ausmaß der Kinderarmut. Hiervon sind 804.000 Kinder betroffen, insgesamt 35,9%. Weit verbreitet sind auch die sog. „Working Poor“, das heißt diejenigen, die trotz Arbeit arm sind. So nahm die Zahl der als arm eingestuften Familien mit einem Einkommensbezieher von 162.000 in 2006 auf 168.000 in 2007 zu. Doch auch die Zahl der armen Familien mit zwei Verdienern stieg binnen Jahresfrist um fast 10% auf 23.000. Insgesamt weisen 40% aller Haushalte, die unterhalb der Armutsgrenze leben, mindestens einen Berufstätigen auf. Grund dafür sind die extrem niedrigen Löhne in vielen Branchen. Die offizielle Armutsgrenze lag 2007 bei einem monatlichem Einkommen von 2.028 Schekel (ca. 364 €) für Alleinstehende, 3.244 Schekel (ca. 600 €) für ein kinderloses Paar und 5.191 Schekel (rund 944 €) für eine vierköpfige Familie.

Gewerkschaftschef Ofer Eini sagte dazu: „Die Regierung schafft virtuelle Beschäftigung, deren Ziel darin besteht, einen statistischen Rückgang der Arbeitslosenzahlen vorweisen zu können. Was wir brauchen, ist einerseits die weitere und verstärkte Durchsetzung von Arbeitsgesetzen und andererseits die Schaffung eines qualitativ hochwertigen Beschäftigungsprogramms – einem das sich von dem der letzten Jahre unterscheidet. Einem, das Jobs schafft, bei denen man einen achtbaren Lohn verdienen kann und keine hohlen Jobs, die nur die Armut vergrößern.“

Wie nicht anders zu erwarten, zeigten sich auch diverse Vertreter der großen Koalition aus Kadima, Arbeitspartei und der ultra-orthodoxen Shas insbesondere über die zunehmende Kinderarmut und die wachsende Zahl der „Working Poor“ „bestürzt“. Konkrete Taten oder Ankündigungen folgten dem bislang allerdings nicht. Im Gegenteil: Der Anstieg der meisten Sozialbeihilfen blieb mit einem halben Prozentpunkt deutlich unter dem Anstieg der Konsumentenpreise. Und die Zentralbank wies Ende Februar etwas irritiert darauf hin, dass die drei Ministerien des Sozialbereiches im Januar 2008 statt der vorgesehenen 8,3% nur 5,3% ihres Jahresbudgets ausgegeben hätten. Ganz im Gegensatz zum Verteidigungsministerium.