Nächste Runde im Streit um die Online-Durchsuchung

Regierung und Opposition machen nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts weiter wie bisher, wie die Diskussion im Bundestag zeigte

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Die "Online-Durchsuchung" bietet weiter Anlass für heftigen Streit zwischen den Parteien. Gestern prallten die Positionen zwischen Regierung und Opposition wieder unversöhnlich aufeinander. Die Fraktion der Grünen hatte eine Aktuelle Stunde beantragt mit dem suggestiven Thema "Unterschiedliche Auffassungen in der Bundesregierung zu den Folgerungen aus der Online-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Februar 2008".

CDU und SPD hatten jeweils nur einen Redner benannt, obwohl ihnen zwei zustanden. Offenbar war das eine Retourkutsche auf den durchsichtigen Versuch, öffentlich die Position des Innenministeriums gegen die des Justizministeriums auszuspielen. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Wolfgang Schäuble und Brigitte Zypries nicht nur beim Thema Fluggastdatenbanken miteinander im Clinch liegen, sondern auch bei der Novelle des Gesetzes für das Bundeskriminalamt (BKA) unterschiedlicher Meinung sind.

In der Debatte zeigte sich eines: Alle fühlten sich nach dem Urteil als Sieger, aber man ist sich noch nicht einmal einig, ob es jemals eine erfolgreiche Online-Durchsuchung gegeben hat und wie eng der Rahmen konkret ist, den das Bundesverfassungsgericht für diese Maßnahme den Ermittlern gesteckt hat, wie auch immer sie technisch aussehen könnte.

Wolfgang Wieland (Bündnis90/die Grünen) meinte, das Bundesverfassungsgericht halte die Online-Durchsuchung trotz der Ausnahmen für "grundsätzlich unzulässig". Auch die "Gefahr des internationalen Terrorismus" sei kein hinreichender Grund. Der vom Bundesverfassungsgericht verlangte "wasserdichte Schutz des Kernbereichs" privater Lebensgestaltung stünde auch nicht im Entwurf des BKA-Gesetzes; das von den Richtern "gleich mit zerrissen" worden sei.

Wolfgang Bosbach (CDU/CSU) konterte, bei den Ermittlungen gegen die mutmaßlichen Terroristen aus dem Sauerland (Anschlagsplan aus dem schwäbisch-bayerischen Grenzgebiet) sei die Überwachung der Kommunikation entscheidend gewesen. Ohne das Instrument der Online-Durchsuchung würde der Staat Terroristen einen "Raum zur staatsfreien Kommunikation" sichern.

Wieland wollte wissen, was mit denjenigen geschehen sei, die die Online-Durchsuchung ohne Rechtsgrundlage vollzogen hätten. Es sei untragbar, dass ein Staatsekretär nicht vor dem Innenausschuss erscheine, um sich zum Thema befragen zu lassen. "Wir leben nicht in einer Bananenrepublik." Bosbach erwiderte, die Vorwürfe gegen die jetzige Regierung seien haltlos, da "ja schon mal eine Bundesregierung eine Online-Durchsuchung veranstaltet hat".

Das aber ist nicht bewiesen. Die Abgeordneten sind nur sehr spärlich darüber informiert worden, was bisher wirklich geschehen ist. Das verwundert nicht, konnte doch noch nicht einmal das Bundesverfassungsgericht klären, was es mit den bisherigen Online-Durchsuchungen auf sich hatte. "Über die Art der praktischen Durchführung der bisherigen 'Online-Durchsuchungen' und deren Erfolge ist wenig bekannt", heißt es im Urteil.

Auf Nachfrage ließ Wolfgang Bosbach erklären, er habe seine Informationen über die voraufgegangenen Online-Durchsuchungen "von den Behörden." Wieland sagt, man habe erst während des Diskussion im Haushaltsausschuss im November 2006 über das "Programm zur Stärkung der Inneren Sicherheit" (PSIS von der Idee eines "Fernzugriffs" auf Computer erfahren und dann nachgefragt, was damit gemeint sei.

Auch Gisela Piltz (FDP) wies in ihrer Rede darauf hin, dass Mittel für "heimliche Online-Durchsuchungen" im Bundeshaushalt 2007 vorgesehen waren; der Bundesinnenminister sei der Meinung gewesen, er brauchte dafür keine spezielle Rechtsgrundlage. Rudolf Körper (SPD) hingegen erklärte in der "Aktuellen Stunde", es sei nur um Mittel gegangen, die Online-Durchsuchung "zu erforschen".

Im PSIS steht in der Anlage 2b unter anderem über das notwendige "kriminalistische Instrumentarium zur Sachaufklärung":

Ein wichtiger Baustein hierfür ist die technische Fähigkeit entfernte PC auf verfahrensrelevante Inhalte hin durchsuchen zu können, ohne tatsächlich am Standort des Gerätes anwesend zu sein. Das hierfür notwendige Instrumentarium befindet sich derzeit in der Entwicklung.

Wieland hat in einem Interview mit der Tagesschau am 28.04.2007 bezweifelt, dass es bisher eine Online-Durchsuchung gegeben habe:

Wir gehen auch davon aus, dass das noch nie richtig geklappt hat. Es gab technische Schwierigkeiten. Das Einschleusen hat nicht geklappt.

Undurchsichtige Lage

Die bisherige Berichterstattung in den Medien ist in der Tat äußerst widersprüchlich. Der Tagesspiegel berichtete zum Beispiel am 09.12.2006, das Bundesinnenministerium habe behauptet, das "System der sogenannten "Online-Durchsuchung" sei bereits in diesem Jahr mehrfach angewandt worden." In der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage einiger Abgeordneten der Fraktion der Linken (Drucksache 16/3787) vom 22.12.2006 heißt es:

Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse über in Ermittlungsverfahren durchgeführte Online-Durchsuchungen vor.(...) Die vom Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs am 21. Februar 2006 angeordnete Maßnahme wurde nicht durchgeführt.

Am 25.04.2007 meldete heise.de unter der Überschrift Bundesregierung gibt zu: Online-Durchsuchungen laufen schon: "Zur Anzahl der bisher durchgeführten verdeckten Netzermittlungen gab die Bundesregierung keine Auskunft." Zwei Tage später titelte die Tagesschau: Rund ein Dutzend Mal wurde geschnüffelt. Wolfgang Schäuble sprach in einem Interview mit dem Spiegel am 9.7.2007 von "einem Anwendungsfall im Inland". Am 01.03.2008 behauptete Spiegel Online, es habe zwei "bekannte Fälle gegeben".

Niemand weiß also etwas Genaues. Daher ist der politische Streit um das BKA-Gesetz, das Online-Durchsuchungen anhand der Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts regeln soll, auch so kompliziert. Jan Korte (Die Linke) wies darauf hin, dass die Bundesregierung zugegeben habe, bei einer Online-Durchsuchung könnten vergleichbare Informationen gewonnen werden wie bei einer offenen Durchsuchung oder einer Beschlagnahme der Rechner. Deshalb, so Korte, sei eine Online-Durchsuchung überflüssig. Er erwarte aber jetzt "einen brutalstmöglichen Angriff auf das neue Grundrecht."

Die Aktuelle Stunde zeigte: Alle machen weiter wie bisher. Die Regierung will das BKA-Gesetz möglichst schnell verabschieden, antwortet aber auf die Frage, wie der verlangte Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung technisch zu garantieren sei, ausweichend. Zudem hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil explizit erwähnt, dass man sich gegen eine Online-Durchsuchung schützen könne. Wen man unter diesen Voraussetzungen noch erfolgreich via Internet überwachen will, bleibt ein Geheimnis der Befürworter des "heimlichen Zugriffs auf informationstechische Systeme".

Eines hat der Streit im Bundestag bewiesen: An die Forderung des BKA-Chefs Jörg Ziercke, "die öffentliche Debatte über die Online-Durchsuchung und deren Technik" müsse jetzt beendet werden, wird sich niemand halten. Ganz im Gegenteil: Die Debatte wird erst jetzt richtig beginnen.