Zypries schützt Telefonbetrüger

Unseriöse Anbieter können weiter angeblich am Telefon geschlossene Verträge vortäuschen

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Die mit Abstand leistungsfähigste Presseabteilung der Bundesregierung befindet sich mit großer Wahrscheinlichkeit im Justizministerium: Die von dort kommenden Pressemitteilungen suggerieren mit bemerkenswerten Aufwand das Gegenteil von dem, was das jeweilige Gesetz effektiv bringt

Das heute von Justizministerin Brigitte Zypries und Verbraucherschutzminister Seehofer gemeinsam vorgestellte Paket wurde nicht nur als Maßnahme gegen unerlaubte Telefonwerbung angepriesen, sondern auch als Stärkung des Verbraucherschutzes. Allerdings wird die Kernproblematik von angeblich am Telefon geschlossenen Verträgen nur in einem kleinen Randbereich wirklich angegangen: Behauptet ein Telefonanbieter, dass ein Verbraucher den Anbieter gewechselt habe, so muss er künftig "in Textform" nachweisen, dass der angeblich neue Kunde beim alten Anbieter wirklich gekündigt hat. Wohlgemerkt lediglich "in Textform" - und nicht etwa durch eine Unterschrift des Verbrauchers. Laut Auskunft des Justizministeriums soll sogar eine Email reichen.

In allen übrigen Geschäftsfeldern ist dem Missbrauch weiterhin Tür und Tor geöffnet. Die in anderen besonders betrugsverseuchten Bereichen geplante Widerrufsfrist ist bei "untergeschobenen Verträgen" keine Hilfe für den Verbraucher, sondern nur eine Möglichkeit für die unseriösen Anbieter, ihre Betrügereien nach zwei Wochen oder einen Monat zu legalisieren. Anstatt die Beweisregeln zu Gunsten des Verbrauchers zu ändern, zwingt ihn das geplante Gesetz praktisch, den nicht geschlossenen Vertrag erst anzuerkennen, um ihn dann auf eigene Zustellungskosten zu widerrufen.

Wer etwas unverlangt zugesandt bekommt, der kann es deshalb nicht einfach wegwerfen, sondern muss es zum Postamt tragen und dort zurückschicken. § 241a BGB widerspricht dem nur scheinbar, weil ein betrügerischer Versender ja nichts "unverlangt" zusendet, sondern wahrheitswidrig einen Vertragsabschluss behauptet. Das Widersprechen geht auch bei bloßen "Vertragsbestätigungen" ins Geld – schließlich ignorieren mittlerweile nicht nur unseriöse Anbieter jede Art von Briefen, die nicht als Einschreiben mit Rückschein kommen. Vor allem seit die privatisierte Post täglich mehr als 30.000 Sendungen verschlampt. Die vollmundige Ankündigung Seehofers ("immer wieder kommt es zu Auseinandersetzungen über vermeintlich am Telefon abgeschlossene Verträge - das werden wir ändern") darf deshalb getrost so interpretiert werden, dass der Verbraucher in Zukunft öfter zahlt und schweigt, statt sich auf einen potentiell aussichtslosen Rechtsstreit einzulassen.

Dabei wäre eine verbraucherfreundliche Regelung höchst einfach gewesen: Am Telefon geschlossene Verträge sind nur bei Barzahlung (Pizzaservice) oder bei nachträglicher schriftlicher Bestätigung gültig. Auch bei vielen anderen Rechtsgeschäften, die besonderen Gefahren unterliegen, wird eine besondere Form gefordert. Seriöse Anbieter hätten von solch einer Regelung nichts zu befürchten: Wer nur solche Waren und Dienstleistungen liefert, welche die Kunden auch bei vollem Bewusstsein bestellt haben, der wird auch bei dieser Rechtslage kaum mit Problemen konfrontiert sein. Fürchten müssten solch eine Rechtslage lediglich die unseriösen Anbieter. Darauf angesprochen, heißt es im Justizministerium, dass solch eine Regelung "von der Bevölkerung nicht gewollt" sei. Statistiken oder Meinungsumfragen dazu können die Mitarbeiter im Justizministerium allerdings nicht vorweisen.

Der vom Justizministerium gemachte Verweis darauf, dass der betrügerische Anbieter den Vertragsschluss ja im Zweifelsfall vor Gericht beweisen müsse und dass sich auch Unterschriften fälschen ließen, lässt den finanziellen und bürokratischen Aufwand für den Verbraucher ebenso außer Acht wie die Tatsache, dass eine Falschaussage eines unter Druck gesetzten Call-Center-Mitarbeiters vor Gericht wesentlich weniger leicht zu entlarven ist als eine gefälschte Unterschrift.

Ein Placebo mit möglichen Nebenwirkungen

Auch die von Zypries angepriesenen Maßnahmen gegen unerlaubte Telefonwerbung dürften in der Praxis – wenn überhaupt – nur sehr eingeschränkt positive Auswirkungen für den Verbraucher haben. Schon bisher ist ungebetene Telefonwerbung nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG verboten. Verbraucher konnten solche Anrufe über die Email-Adresse rufnummernmissbrauch@bnetza.de melden. Diese konnte dann ein Inkassoverbot verhängen, was allerdings häufig erst nach Wochen oder Monaten geschah.

Diese zeitliche Verzögerung und die relative Unbekanntheit dieser Möglichkeit sind wahrscheinlich zwei wichtige Gründe dafür, dass dieses Verbot bisher kaum etwas bewirken konnte. Im Gegenteil. Zumindest der gefühlte Belästigungsgrad stieg in den letzten Jahren weiter an. Im letzten Herbst ergab eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts forsa, dass sich 86 % der Bevölkerung von Werbeanrufen belästigt fühlen. 64 % der Bevölkerung hatten im letzten Monat mit mindestens einem ungebetenen Werbeanruf zu tun. Und auch das Justizministerium musste zugeben, dass die "Durchsetzung des geltenden Rechts [...] in der Praxis auf Schwierigkeiten" stößt. Doch anstatt die dafür zuständige Abteilung der Bundesnetzagentur personell aufzustocken und die Möglichkeit bekannter zu machen, will Zypries lediglich ein kaum abschreckendes Bußgeld und ein Verbot der Rufnummernunterdrückung einführen.

Allerdings ist zu erwarten, dass sich die Branche nicht unbedingt an das Verbot der Rufnummernunterdrückung halten wird – vor allem dann, wenn die Anrufe aus dem Ausland getätigt werden. Die Regelung gleicht insofern einem Verbot für Einbrecher, Handschuhe zu tragen. Dafür könnte sie negative Auswirkungen für Menschen haben, welche die Rufnummernunterdrückung zur Wahrung ihrer Privatsphäre einsetzen.

Im Endeffekt lässt die von Zypries weiter tolerierte Situation den Verbrauchern nur den Weg der Selbsthilfe: Sich ein Aufnahmegerät zulegen und bei jedem Anruf als erstes fragen, ob der Anrufer einverstanden ist, dass das Gespräch aufgenommen wird. Wird die Aufnahme als MP3 oder OGG abgespeichert, nimmt sie kaum Platz weg und lässt sich jahrelang als Beweismaterial aufheben.