Lob der Härte

Auch heute noch kann sich mancher nicht mit der Existenz benutzerfreundlicher Betriebssysteme abfinden

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Wenn man das bevorzugte Betriebssystem wechselt - vor allem, wenn man sich gut darauf vorbereitet, weil man die gröbsten Katastrophen und Anfängerfehler vermeiden will -, dann macht man sich im Netz über die Risiken und Nebenwirkungen kundig. Und wenn man das gründlich genug tut, läuft man ihnen unweigerlich in die Arme: den Adepten.

Adepten gibt es in vielerlei Gestalt, aber zwei Hauptgruppen lassen sich ausmachen: Die Veteranen und die Jungexperten. Die Veteranen haben sich ihre ersten Rechner seinerzeit noch selbst zusammengelötet und benutzten bis vor kurzem CP/M, weil das so schön klein und handlich ist. Sie haben schon gegen Bugs gekämpft, da waren die meisten aktuellen Computeruser noch gar nicht auf der Welt. Ein bisschen erinnern ihre wehmütigen Berichte von damals an Opas Erzählungen vom Krieg. Die Jungexperten hingegen schnitzen sich ihren Distinktionsgewinn aus der Obskurität. Je abseitiger die gewählten Betriebssystemoptionen sind, desto besser. Linux-Distributionen, die außer ihnen nur der Distributor kennt, oder BSD-Basteleien strikt experimenteller Natur rangieren hoch auf der Beliebtheitsskala. Betriebssystemgefrickel ist ihr A und O. Wenn sie nicht sechzehn sind, dann verhalten sie sich doch auffällig oft so.

Eine Abneigung eint die beiden hauptsächlichen Adeptengruppen: die gegen "Klickibunti" oder, auf Englisch, "eye candy". Weder Veteranen noch Jungexperten brauchen hüpfende Icons beim Programmstart oder schattierte Fensterumrahmungen. Eigentlich sind ihnen Mäuse schon schwer verdächtig. Das Unglück fing für sie 1968 an und zwar mit der berühmten NLS-Präsentation von Douglas Engelbart.

Man ist froh, mit dem Rohmaterial umzugehen, es zu beherrschen. Träumen in Maschinensprache, das wär es eigentlich. Was sich in dieser Haltung manifestiert, sind zutiefst antidemokratische Affekte. Überdeutlich das Bedauern, dass die Masse im Computerzeitalter angekommen ist, wo man sich doch früher in einer Clique von Gleichgesinnten sicher und geborgen fühlte, beim Hantieren mit Hieroglyphen, deren Benutzung den Eingeweihten vorbehalten war. Das lächerliche Getue der Jungexperten ist von der Veteranenneurose der Altmeister kaum zu unterscheiden - nur dass im einen Fall die Eliteideologie im Imperfekt ausgedrückt wird und im anderen im Präsens. Ein weiterer giftiger Bestandteil dieser Ideologie ist der feste Glaube an die Unvereinbarkeit von Arbeit und Spiel. Medizin muss bitter schmecken; wer etwas Sinnvolles tut, muss dabei unbedingt schwitzen.

Das Ornament als Verbrechen

Wie die Bauhaus-Überzeugten der 1920er halten die Betriebssystem-Adepten das Ornament für ein Verbrechen und wünschen sich innig, dass die Form (wie alles andere) der Funktion gehorchen möge - aber sie sind dabei so radikal, dass sie die barbarischen Aspekte dieser Konzepte freilegen: Es bleibt am Ende nichts als die unvermittelbare Rohheit des Funktrens, das in den Händen von arroganten Auskennern und Bescheidwissern liegt. Fachidiotentum und soziale Inkompetenz grassieren. Fragt man diese Sorte Adepten um Rat, so verfällt man meist umstandslos der Verachtung einer Expertenkaste, die ihr jämmerliches Geheimwissen umso krampfhafter verteidigt, je mehr sie es vom Plebs bedroht sieht.

Sicher, die bunten und intuitiv benutzbaren graphischen Oberflächen kommen nicht umsonst. Die Betriebssysteme, die hinter ihnen stehen, schleppen viel Ballast mit, haben über die Jahrzehnte ihrer Entwicklung hin Fett angesetzt, was man zum Beispiel daran merkt, dass die Bootzeiten der Rechner eher steigen als sinken. Aber erstens werden solche Entwicklungen von der immer leistungsfähigeren Hardware, die zudem immer billiger wird, gut in Schach gehalten. Zweitens kann ich mich noch sehr gut an den ersten von mir zum Schreiben genutzten PC erinnern: ein Zenith-Rechner, der keine Festplatte hatte, und dem man mit wabbeligen 5 1/4-Zoll-Disketten erst das Betriebssystem und dann das Textverarbeitungsprogramm jedes Mal neu beibringen musste. Wer die heutige Situation gegen diesen Zirkus abwerten will, dem lache ich gern laut und lange ins Gesicht.

Wenn eines positiv an der privaten Computernutzung bleibt, dann doch die Tatsache, dass sich dabei oft Spiel und Arbeit wechselseitig durchdringen. Niemand wird heute mehr leichtfertig den privaten Rechner als Befreiungsmaschine begreifen. Manche der Hoffnungen, die mit dem Personal Computing verbunden waren, haben sich ins Gegenteil verkehrt. Aber gerade an der Konvergenz von Arbeit und Spiel, die eben nicht nur die Verlängerung der Pflicht in den Feierabend des Scheinselbstständigen-Proletariats hinein ist, hängt noch ein Stück berechtigter Hoffnung auf Freiheit. Möglich ist dies, weil es heute Betriebssysteme und die dazu passenden graphischen Oberflächen gibt, die den Spaß als Faktor im Umfeld der persönlichen Produktivität begreifen. Den Leuten, die sie geschaffen haben, darf man ruhig ein wenig dankbar sein.

Der Autor bat um die Anfügung seiner Stellungnahme, die wir gerne veröffentlichen, um auch selbst zu betonen, dass die Redaktion, wie es sich gehört, natürlich völlig unabhängig von Werbung und Sponsoren arbeitet. Die Redaktion.

"Liebe Leser, liebe Leserinnen!

Wie ich erst aus Reaktionen im Forum erfahren habe, wird mein Artikel "Lob der Härte" (wie seit einiger Zeit alle anderen Artikel bei Telepolis) von Microsoft-Werbung begleitet, insbesondere von einem Schriftzug, der Telepolis als "sponsored by Microsoft" zu erkennen gibt, und von einer Anzeige, die sich auf die Serversoftware von Microsoft bezieht. Wäre mir dies bewusst gewesen, hätte ich diesen Artikel nicht eingereicht. Ich als Autor habe keinen Einfluss auf das Reklameumfeld, in dem meine Artikel erscheinen. Daher bitte ich Sie, liebe Leserinnen und Leser, den Artikel mit der Sorgfalt zu rezipieren, mit der er verfasst wurde, und zu erkennen, dass er sich nicht für oder gegen irgendwelche kommerziellen Produkte ausspricht, sondern Stellung gegen eine bestimmte Haltung im Umgang mit der Entwicklung von Betriebssystemsoftware bezieht.

Mit vielen Grüßen,

Marcus Hammerschmitt"