Unterwegs zum Weltparlament?

In Bonn fand Ende Februar das von Rasmus Tenbergen initiierte World Parliament Experiment statt, das ein potentielles Weltparlament simulierte

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Im Internet existiert das World Parliament Experiment (WPE) bereits seit knapp sieben Jahren. Bei dem Projekt, an dem sich jeder Internetnutzer beteiligen kann, wird symbolisch ein demokratisches Weltparlament simuliert. Nutzer aus aller Welt tummeln sich im Forum, wählen Repräsentanten, setzen Diskussionspunkte und Abstimmungen auf die Tagesordnung und verabschieden Resolutionen zu globalpolitischen Konfliktthemen. Vom 23. Februar bis zum 1. März 2008 tagte das WPE erstmals außerhalb des virtuellen Raums – im Hörsaal 1 der Universität Bonn.

Das World Parliament Experiment

Ansätze zur Einrichtung eines Weltparlaments, das alle Staaten und Weltbürger in einem föderalistischen System bündelt, gibt es einige, und es gibt sie schon lange. Schon bei der Gründung der Vereinten Nationen 1945 war die Etablierung einer Parlamentarischen Versammlung vorgesehen, jedoch fand die Idee keine politische Mehrheit und kam auch nie ernsthaft auf die Agenda der UN-Generalversammlung.

Nach 1990 griffen zahlreiche Nichtregierungsorganisationen das Thema wieder auf. In seinem Übersichtspapier Towards A World Parliament vom Juli 2006 bündelte der Bonner Politikwissenschaftler Rasmus Tenbergen die derzeit bestehenden verschiedenen Konzepte und versucht, sie auf einen Nenner zu bringen und den verschiedenen Strömungen aufzuzeigen, wie wichtig eine Kooperation untereinander ist – zumal alle Theoretiker des Weltföderalismus vom selben Fundament aus starten: der Kritik am globalen Demokratiedefizit, das sie als Ursache für die Schattenseiten der Globalisierung ausmachen. Das mag einer der Gründe dafür sein, dass sich die Majorität der Globalisierungskritiker, die nicht lediglich protestieren, sondern auch pragmatisch an Veränderungen der Global Governance arbeiten, für ein Weltparlament aussprechen.

Tenbergen erprobte bereits im Zuge des International Student Festival in Trondheim (ISFiT), an dem im Frühjahr 2007 mehr als 450 Studenten aus 130 Ländern teilnahmen, einen „World Parliament Day“, der auf dem Onlineprojekt basierte. Das weltweit größte Studententreffen bot sich an, das Experiment auszuführen. Die Studenten teilten sich in 16 geografische Gruppen ein und wählten Repräsentanten. Anschließend erarbeiteten sie eine Resolution für einen humanitären Einsatz der UN in Darfur – der nicht bloß rein symbolisch gemeint war, denn er wurde tatsächlich der Generalversammlung vorgelegt, wenn auch ohne Ergebnis.

Tenbergen, der dem Experiment das Konzept George Monbiots (Manifest for a New World Order, 2004) zugrunde gelegt hatte, zog das Fazit, dass die Welt keine Politiker brauche, die Menschen könnten die globalen Probleme offensichtlich selbst in die Hand nehmen und regeln. Das ist ein schöner Gedanke, er muss sich aber auch die Kritik gefallen lassen, dass ein paar hundert Studenten, die an einem internationalen Festival teilnehmen, nicht repräsentativ für die Weltbevölkerung sind, sondern eher der Spiegel einer kommenden geistigen und politischen Elite, die, würde solch ein Konzept auf breiter Basis realisiert, eben wieder zu den Politikern würden, von denen die Majorität sich repräsentieren lässt. Das allein wäre aber schon ein unvergleichlich großer Schritt vorwärts auf dem Weg zu globaler Demokratie: ein Weltparlament, dessen Vertreter direkt gewählt werden.

Eines der Hauptprobleme bei der Durchsetzung derartiger Ideen, so sagt auch Tenbergen, ist es, den Bürgern die Problematik des Demokratiedefizits ins Bewusstsein zu rufen. Möglicherweise ist das eine der schwierigsten Aufgaben in einer Welt, deren politische und ökonomische Mechanismen für den Einzelnen immer undurchsichtiger werden.

Ende Februar 2008 fand nun an der Universität Bonn eine Woche lang erstmals ein nicht-virtuelles World Parliament Experiment statt. Zwar war der Teilnehmerandrang mit rund 100 Studenten noch recht gering, jedoch erklärt sich das zum Teil aus der fehlenden Reisefinanzierung. Das Programm, das aus der Wahl von Sprechern und Repräsentanten und der Erstellung und Verabschiedung verschiedener Resolutionen etwa zu den Themen Menschenrechtslage im Sudan oder Unabhängigkeit des Kosovo bestand und durch Voträge von Gastrednern abgerundet wurde, steckt, wie der Initiator Tenbergen im nachfolgenden Interview erzählt, noch in den Kinderschuhen.

Das WPE repräsentiert niemanden, der ihm kein Mandat gegeben hat. Gespräch mit Rasmus Tenbergen

Herr Tenbergen, eine Woche lang tagte das simulierte Weltparlament mit rund 100 Teilnehmern in Bonn. Welches Fazit ziehen Sie persönlich?

Rasmus Tenbergen: Aus meiner Sicht war es sehr gut, dass das WPE zum ersten Mal eine Woche lang als Real-Life-Veranstaltung stattfand und wir sehen konnten, welch einen Riesenvorteil das bot etwa gegenüber der eintägigen Veranstaltung im letzten Jahr in Norwegen oder den reinen Online-Beratungen. Es war diesmal wirklich die Zeit vorhanden, sich ausführlich mit unterschiedlichen Themen wie beispielsweise der Unabhängigkeit des Kosovo zu befassen. Ich finde es wichtig, einmal jährlich für eine Woche ein solches Treffen stattfinden zu lassen.

Die Resolutionen des WPE werden in die reale globale Politik eingebracht. Wie sieht die Resonanz darauf aus? Wird das Projekt ernst genommen?

Rasmus Tenbergen: Bisher ist die Resonanz sehr schwach, was damit zusammenhängt, dass wir momentan noch eher symbolisch arbeiten, auch bezüglich der Aufrufe. Ich sehe das Potential darin, dass die am WPE Beteiligten ernsthaft und mit realen Absichten die politische Debatte weiterführen wollen und das auch tun. Wir haben früher schon Politiker kontaktiert, haben aber keine Rückmeldungen erhalten, weil wir nicht nachgehakt haben. Jetzt ist das WPE in einer guten Entwicklungsphase. Wir kommen langsam aus der reinen Symbolik raus und werden in Zukunft verstärkt Reaktionen einfordern.

Es gibt mehrere Ansätze zur Realisierung eines Weltparlaments, beispielsweise die von Andreas Bummel geleitete UNPA-Kampagne. Für wie realistisch halten Sie solche Ansätze? Glauben Sie, dass es in den nächsten Jahrzehnten ein direkt gewähltes Weltparlament geben wird?

Rasmus Tenbergen: Ich bin ein großer Unterstützer des Ansatzes von Andreas Bummel und habe auch den Aufruf [zur Einrichtung einer Parlamentarischen Versammlung bei den UN – Amn. D. Verf.] unterschrieben. Das WPE unterstützt die UNPA-Kampagne und hält sie für realistisch. Zwischen den verschiedenen Ansätzen zur Einrichtung eines Weltparlaments sehen wir keine Gegensätze. Wir finden, dass die Kampagnen sich gegenseitig unterstützen und arbeitsteilig agieren sollten. Gerade das Konzept von Bummel kann erfolgreich sein, ich bin aber noch skeptisch in Bezug auf die Reformfähigkeit der UN. Obwohl ich den Ansatz unterstütze denke ich, dass andere Ansätze einfacher zu realisieren sind.

Wenn man beispielsweise die Konzepte UNPA und WPE gegenüberstellt, kann man zwei Fragen gegenüberstellen: Was müsste innerhalb der UN passieren, damit ein Parlament realisiert werden kann? Und zum Vergleich: Was muss im Internet beim WPE passieren? Beim WPE müssen „nur“ Individuen ja sagen. Das ist aus meiner Sicht der klarere Weg. Im Grunde kann man jedem Menschen die Testfrage stellen, ob er generell bereit ist, die Kampagne zu unterstützen, unabhängig davon, ob er mit allen Details einverstanden wäre. Damit lässt sich beantworten, ob das Modell realistisch ist – ein Vorgehen, das direkt zum Erfolg führt. Das UNPA-Konzept ist insgesamt komplizierter, da es seinen Weg unter anderem über intensive Lobbyarbeit sucht. Letzten Endes können die Weltbürger das aber selber machen. Das Haupthindernis ist dabei der Gedanke, das Projekt könnte unrealistisch sein.

Auf welche Probleme sind Sie bei der Simulierung des Weltparlaments in Bonn gestoßen? Gab es beispielsweise unlösbare Interessenkonflikte?

Rasmus Tenbergen: Wir haben natürlich das Problem, dass wir, gemessen an unserer Philosophie, nur über wenige Mandate verfügen. Zwar sind viele Länder, daraus aber nur wenige Einzelpersonen repräsentiert. Die Teilnehmer des WPE in Bonn wurden gebeten, in ihren Heimatländern für ihr Mandat möglichst viele Unterschriften zu sammeln, was mitunter nicht wirklich funktioniert hat. Leider hatten einige nur knapp hundert Unterschriften sammeln können. Der Idee nach könnte eine sehr große Anzahl von Menschen repräsentiert werden, aber das steht noch relativ am Anfang. Man muss auch stets den Disclaimer einbauen, dass die Stärke des WPE darin liegt, dass viele Menschen einsteigen könnten. Das WPE repräsentiert schließlich niemanden, der ihm kein Mandat gegeben hat. Das wäre der Sache abträglich.

Ein weiteres Problem lag meines Erachtens darin, dass die Teilnehmer noch sehr diplomatisch waren. Beispielsweise wurde in der Hauptresolution zum Kosovo keine Empfehlung zum völkerrechtlichen Status abgegeben. Ich hätte mir gewünscht, dass das symbolisch passiert. Zu entscheiden, ob ein solches Weltparlament das Kosovo anerkennen würde oder nicht. Aus meiner Initiatorensicht ist es die Aufgabe der Teilnehmer, in ihrer Rolle mutiger zu sein. Auch wenn mancher sagt, so ein Projekt sei lächerlich – das ist es nicht. Man tut nicht bloß so, sondern man repräsentiert tatsächlich. Genau das, die Frage, was wir sind und was nicht, ist auch in den selbstbestimmenden Resolutionen festgehalten.

Die Medienresonanz ist, zumindest in Deutschland, sehr überschaubar. Sind Ideen wie ein Weltparlament und globale Demokratie Tabuthemen? Und: Mangelt es der Öffentlichkeit an Interesse daran, wie und von wem sie regiert wird?

Rasmus Tenbergen: Für unser Projekt haben wir keinen Schwerpunkt auf die Pressearbeit gelegt. Wir sehen uns in einer Anfangs- und Selbstfindungsphase. Der Bonner Generalanzeiger hat über das WPE berichtet, der WDR war interessiert, hat aber letztendlich nicht gesendet. Ich denke schon, dass es möglich ist, Öffentlichkeitswirkung herzustellen, wenn man bereit ist, das Problem ins öffentliche Bewusstsein zu rücken – wo es eindeutig nicht ist.

Wenn man die Leute nach ihrer Haltung zum Thema fragt, dann ist die übliche Antwort die Frage, wozu man denn ein Weltparlament bräuchte, es gebe doch die UN. Daher müssen die Standpunkte intensiver vertreten werden, ich denke da an Gary Davis nach dem 2. Weltkrieg. Es ist zweifellos möglich, diese Arbeit zu leisten und zu vorzeigbaren Ergebnissen zu kommen. Es ist zum Beispiel auch sinnvoll, was Andreas Bummel gemacht hat, mit der Basisarbeit anzufangen, indem man Stimmen und Unterstützer sammelt. Das ist meines Erachtens die strategisch richtige Reihenfolge: Erst die inhaltliche Arbeit, dann die Medienkampagne.