"Ein Fetzen vor dem Gesicht ..."

Der Islamisten-Prozess gegen GIMF-Aktivisten in Österreich sorgt auch nach der Urteilsverkündung für Diskussionen

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Anfang September 2007 wurden in Österreich mehrere Personen festgenommen, die als Macher der „Globalen Islamischen Medienfront“ (GIMF) terroristische Propaganda verbreitet haben sollen. Gestern wurde das angeklagte Paar Mohammed M. und Mona S. in allen Punkten schuldig gesprochen. Der Richter stufte die Angeklagten als „Überzeugungstäter“ ein und begründete damit die ausgesprochenen unbedingten Haftstrafen. Indes gehen die Debatten um die Zulässigkeit der Computer-Überwachung und die Vollverschleierung von Angeklagten weiter. Die Urteile sind nicht rechtskräftig, die Anrufung höherer Instanzen ist zu erwarten.

Der Prozess gestaltete sich von Beginn an turbulent. Die angeklagte Mona S. (21), die mit dem Hauptangeklagten Mohammed M. (22) nach islamischem Recht verheiratet ist, und nach eigenen Angaben „nur“ Übersetzerdienste leistete, wollte „aus religiösen Gründen“ ausschließlich mit dem Niqab (ein schwarzer Gesichtsschleier, der nur die Augenpartie offen lässt) auftreten. Der Richter schloss die von Kopf bis Fuß in Schwarz gehüllte Dame daraufhin vom Prozess aus. Die Geschworenen, erklärte er, müssten ihr Mienenspiel sehen, um ihre Glaubwürdigkeit einschätzen zu können. Richter Norbert Gerstberger begründete seine Entscheidung mit einem Paragrafen der österreichischen Strafprozessordnung, der besagt, dass Angeklagte bei "ungeziemendem Verhalten" aus dem Saal verwiesen werden dürfen. Inwieweit "ungeziemendes Verhalten" auf Kleidungsstücke anwendbar ist, ist allerdings noch nicht durchjudiziert. Gut möglich, dass die nächst höhere Instanz diese Auffassung nicht teilt.

Die Vollverschleierungsdebatte schien zeitweise die eigentliche Anklage in der öffentlichen Wahrnehmung zu verdrängen. Der Staatsanwalt warf Mohammed M. unter anderem vor, als Mitglied der al-Qaida oder „eines anderen international tätigen radikal-islamistischen Terrornetzwerkes“ gegen den Paragraf 278 StGB („Terroristische Vereinigung“) verstoßen zu haben. Im Internet wäre die Durchführung von Terroranschlägen erörtert worden, so die Staatsanwaltschaft (vgl. Bin Ladens Sprachrohr gekappt?). Mohammed M. habe führend an der Globalen Islamischen Medienfront (GIMF) - "ebenfalls eine terroristische Vereinigung" - mitgewirkt und ein Drohvideo gegen die deutsche und die österreichische Regierung verbreitet. Seine Frau Mona S. wiederum habe ihm Übersetzerdienste geleistet und sich damit mitschuldig gemacht.

Der Prozess wurde in wenigen Tagen abgehandelt. Dabei fiel Mohammed M. durch mehrere Wutanfälle und Ausführungen zum „Heiligen Krieg“ auf. Das ganze sei ein Schauprozess, so der Angeklagte, der aus seiner Abneigung gegen die USA keinen Hehl macht. Er beteuerte aber, gegen die Tötung von Unschuldigen zu sein, auch hätte er nichts mit Terroranschlägen zu tun. Auch Mona S. plädierte auf „nicht schuldig“ und argumentierte in einer schriftlichen Stellungnahme, dass ja auch Journalisten Botschaften von Terroristen übersetzen würden. Zudem betonte sie ihre Unschuld vor „Gott“. Der Richter zitierte aus der Stellungnahme: „Gott gab jedem Menschen Verstand. Doch um sich ein richtiges Bild zu machen, muss der Mensch alle Versionen der Ereignisse kennen.“ Eine „andere Version“ von „der US-Besatzung und dem Krieg im Irak“ hätte sie mit ihrer „Nachrichtenagentur“ weitergegeben, so die Argumentation der Angeklagten. Als der Richter der Angeklagten gegen Prozessende gewährte, trotz Vollverschleierung eine mündliche Stellungnahme abzugeben, waren ihre Worte kaum verständlich. Schließlich entfuhr dem Richter ein: „Es ist jemand relativ schwer verständlich, der einen Fetzen vor dem Gesicht hat“. Das umgangsprachliche österreichische Wort „Fetzen“ bedeutet Tuch, Kleidungsstück. Gerstberger ruderte dann aber zurück: „Ich bin bereit, das zurückzunehmen, wenn sich dadurch jemand beleidigt fühlt“

Mohammed M. wurde gestern nach mehrstündiger Geschworenenberatung zu vier Jahren Haft, Mona S zu 22 Monaten unbedingt verurteilt. Die möglichen Höchststrafen wären nach dem Terrorparagraphen bis zu 10 Jahre gewesen. Als mildernd wurden die bisherige Unbescholtenheit und das Alter der Angeklagten gewertet. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Beobachter erwarten den Gang in höhere Instanzen. Der Verteidiger des Paares, Anwalt Lennart Binder, bezeichnete die Anklage „als Witz“ und die Urteile als Ausdruck von „Fremdenfeindlichkeit“.

Wie auch immer die Sache weiterlaufen wird, es gibt zwei Aspekte, die vom konkreten Fall unabhängig weiter diskutiert werden sollten: Die europaweite Ausjudizierung, ob Vollverschleierung vor Gericht möglich sein soll oder nicht. Hier gibt es europaweit unterschiedliche Auffassungen und oft auch national keine eindeutigen Regelungen. Dabei geht es sicherlich auch um gesellschaftspolitische Wertungen. Ist die Burka beziehungsweise die Gesichtsverschleierung ein Symbol der Unterdrückung der Frau, wie nicht nur viele Politiker unterschiedlicher Lager, sondern auch gemäßigte Muslime meinen? Und sollten diese Kleidungsstücke deshalb aus der Öffentlichkeit (insbesondere aus der Gerichtsbarkeit) verbannt werden? Wo liegen hier die Grenzen der persönlichen Freiheit?

Zum anderen steht noch die heikle Frage an, inwieweit das Ausspähen von Computerdaten tatsächlich rechtmäßig und mit der westlichen Auffassung vom Bürgerrecht auf Privatsphäre vereinbar ist. Nach Auffassung des österreichischen Datenschützers Hans Zeger, der auf Antrag der Verteidigung dazu vor Gericht gehört wurde, wäre das Vorgehen der österreichischen Ermittler mehr als zweifelhaft gewesen. Das Ausspähen der Computer der Angeklagten sei ohne ausreichende gesetzliche Grundlage erfolgt, argumentierte der Verteidiger. Wie sich diese Überwachung gestaltete, erklärte ein Ermittlungs-Beamter: Man habe etwa M.’s Internet-Telefonie abgehört und ein Programm auf seinem Computer installiert, das „alle 60 Sekunden einen Screenshot an die Überwacher übermittelte“. Ein Rechtsschutzbeauftragter meinte vor Gericht, dass die Vorgehensweise korrekt gewesen sei. In erster Instanz wurde die Rechtmäßigkeit der eingesetzten Mittel schließlich anerkannt.

Gewisse Zweifel bleiben dennoch. Und bei Menschen, denen es um die Wahrung von Bürgerrechten geht, schrillen auch die Alarmglocken, wenn der österreichische Innenminister Günther Platter jetzt diesen Fall einmal mehr zum Anlass nimmt, um erneut, den rechtlichen Rahmen für die umstrittene Online-Durchsuchung "unbedingt und so schnell wie möglich" einzufordern.