Marketing oder Moral?

Auf dem ersten Wirtschafts- und Ethikforum in Berlin ging es um die soziale Verantwortung von Unternehmen

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Mit der Wirtschaftsethik verhalte es sich wie mit dem Ungeheuer von Loch Ness, meinte Niklas Luhmann einmal: „Es wird viel über sie geredet, obwohl niemand so genau weiß, ob es sie überhaupt gibt.“ Eine Erscheinungsform der Wirtschaftsethik, über die in letzter Zeit besonders viel geredet wird, ist die freiwillige Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch Unternehmen, neudeutsch Corporate Social Responsibility (CSR). Am Dienstag fand zu diesem Thema im ehemaligen Techno-Tempel „E-Werk“ das erste Globale Wirtschafts- und Ethikforum statt, das von dem Verlagshaus Helios Media veranstaltet wurde. Trotz des weltumspannenden Titels waren es ausschließlich einheimische Politiker und Unternehmensvertreter, die auf dem Berliner Kongress zu Wort kamen.

Hauptredner Wolfgang Schäuble betonte die Vorbildfunktion von Leistungseliten in einer saturierten, „postheroischen“ Gesellschaft und beklagte zugleich den Sittenverfall in der real existierenden Managerkaste. Mit Blick auf die Wirtschaftsskandale der jüngsten Vergangenheit mutmaßte der Minister, womöglich bestehe in den Führungsschichten ein ähnliches Integrationsdefizit wie am unteren Rand der Gesellschaft.

Auch SPD-Generalsekretär Hubertus Heil fasste seine Eindrücke von einer Bankertagung am Gendarmenmarkt in der Bemerkung zusammen, in den Finanzdistrikten der Hauptstadt gebe es ähnliche Parallelgesellschaften wie im Proletenviertel Berlin Neukölln.

Konzerne ohne Heimat

Christoph Keese, Chefredakteur der Welt am Sonntag, führte die wachsende Entfremdung von Wirtschaft und Gesellschaft darauf zurück, dass den globalisierten Unternehmen die regionale Verankerung abhanden gekommen ist. „Jede erfolgreiche Organisation braucht eine Heimat“, so Keese. Bei einem multinationalen Konzern komme dafür nur der Ort der Gründung in Frage. Dem „entheimateten Denken“ der Global Player stellte Keese die Bodenhaftung des Mittelstands gegenüber. Viele familiengeführte Betriebe würden schon seit Generationen praktizieren, was die Großkonzerne erst seit kurzem propagieren: den verantwortlichen Umgang mit der natürlichen Umwelt und dem soziokulturellen Umfeld des Unternehmens.

Diese idyllische Sicht des Mittelstands blieb nicht unwidersprochen: Auch viele mittelständische Unternehmen seien in Gefahr, ihre regionalen Wurzeln zu verlieren, weil sie als Zulieferer ihre Fertigung nach Indien oder China verlegen müssten, um den Produktionsstandorten ihrer Abnehmer nahe zu sein, meinte Matthias Rumpf, der Pressesprecher der OECD.

Der aktuelle Trend zur Moralisierung der Ökonomie, das wurde auf der Berliner Konferenz des Öfteren betont, stellt eine Art Gegenbewegung zur Dominanz des Shareholder-Value-Prinzips in den 90er Jahren dar. Die Mehrzahl der Referenten zeigte sich davon überzeugt, dass der CSR-Boom der letzten Jahre nichts mit einem Wertewandel in Richtung Altruismus zu tun hat, sondern auf eine Reihe handfester Wettbewerbsvorteile zurückzuführen ist: Soziales Engagement erleichtert den Unternehmen die Rekrutierung talentierter Nachwuchskräfte, weil es den Idealismus der Jugend anspricht, und es bietet ideale Anlässe, um mit Entscheidungsträgern aus der Politik ins Gespräch zu kommen.

Das CSR-Konzept kommt dem Trend zum „ethischen Konsum“ ebenso entgegen wie dem Interesse der Pensionsfonds und anderer Investoren an einer langfristigen Geschäftsperspektive. Inwieweit sich diese denkbaren Vorteile in der Praxis tatsächlich realisieren lassen, hängt jedoch von einer entscheidenden Voraussetzung ab: der Glaubwürdigkeit des Engagements. Und um dessen Anerkennung scheint es zumindest in Deutschland nicht gerade zum Besten bestellt zu sein, wenn man dem Programmheft Glauben schenkt: „Medien berichten selten über soziales Engagement der Wirtschaft – und wenn, dann vornehmlich mit einem kritischen Unterton“.

Wilm Herlyn, der Chefredakteur der Deutsche Presseagentur, wies die Kritik der Veranstalter am „Argwohn“ der Journalisten in scharfer Form zurück: „Wir sind nicht dazu da, die Unternehmen hochzujubeln!“, so Herlyn. Er könne genug Negativbeispiele anführen, die den Verdacht rechtfertigten, dass es bei vielen CSR-Projekten in erster Linie um Imagepolitur gehe. Auch Björn Bloching von der Unternehmensberatung Roland Berger hat die Erfahrung gemacht, dass sich das soziale Engagement der Betriebe oft in mehr oder weniger beliebigen Benefizaktionen erschöpft. Bloching führte dies darauf zurück, dass in vielen Betrieben die PR-Abteilungen für die Planung und Umsetzung der CSR-Leitlinien zuständig seien. Glaubwürdig sei die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung jedoch nur, wenn sie die Reorganisation des Kerngeschäfts unter ökologischen und sozialen Gesichtspunkten beinhalte – und das sei keine Aufgabe der Marketingabteilung, sondern der Unternehmensleitung.

Puma und die Sweatshops

Als „Best Practice“-Beispiel für solch eine Reorganisation des Kerngeschäfts hatte man das CSR-Konzept der Puma AG ausgewählt. Deren Pressesprecher Ulf Santjer berichtete über die Bemühungen des Sportartikelherstellers, in einem weltweiten Netz von Zulieferbetrieben die Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards sicherzustellen. Puma setzt dabei auf intensive Schulungen des Führungspersonals vor Ort und auf externe Kontrollen durch die Fair Labor Association. Die Mitarbeiter dieser unabhängigen Audit-Agentur können unangemeldet Betriebsbesichtigungen durchführen und dabei mit den Beschäftigten sprechen, ohne dass ein Vorgesetzter anwesend ist. Verstöße gegen Arbeitsnormen und Umweltauflagen werden in Prüfberichten publik gemacht.

Wenn die Zulieferer die Missstände nicht beseitigen oder es wiederholt zu Beanstandungen kommt, kündigt Puma ihnen die Geschäftsbeziehungen auf. Dies sei in den letzten Jahren bei rund 50 Betrieben der Fall gewesen. Als Schwachstelle des Prüfsystems bezeichnete Santjer die Praxis vieler Zulieferer, bei Kapazitätsengpässen Aufträge an Subunternehmer zu vergeben. Dabei handelt es sich dann oft um eben jene Sweatshops, die dem Konkurrenten Nike das Image des gewissenlosen Ausbeuters eingetragen haben.

Grüner Atomstrom

Von ungelösten Managementproblemen war in dem Vortrag von Jürgen Hogrefe, dem Generalbevollmächtigten des Energieversorgers EnBW, keine Rede. Nachdem er in Al Gore-Manier noch einmal die wesentlichen Fakten zum Klimawandel referiert hatte, wies der frühere Spiegel-Korrespondent darauf hin, dass sich die EnBW durch den geringsten CO2-Ausstoß unter den großen Energieanbietern in Deutschland auszeichnet. „Unsere Kunden möchten verantwortungsvoll produzierten Strom“, betonte Hogrefe, ohne zu verschweigen, dass sich der vergleichsweise geringe CO2-Ausstoß dem überdurchschnittlich großen Anteil von Atomstrom am Energiemix des baden-württembergischen Versorgers verdankt.

Schon in einer der vorangegangenen Diskussionsrunden hatte der FDP-Politiker Wolfgang Gerhardt den Ausbau der Atomenergie zum Gebot unternehmerischer Verantwortung in Zeiten des Klimawandels deklariert. Initiativen wie Greenpeace und Lobby Control bezeichnen diese Benennungsstrategie als „Greenwashing“. Kritische Initiativen kamen auf dem Ethikforum jedoch nicht zu Wort.

No more Nokia

Wie ein Menetekel tauchte in einer Reihe von Redebeiträgen zur Berliner Konferenz das Stichwort „Nokia“ auf. Immerhin galt der finnische Handyhersteller lange Zeit als Vorzeigeunternehmen in Sachen sozialer Verantwortung. Um seine Verwurzelung im Ruhrgebiet zu demonstrieren, engagierte sich das Bochumer Werk in besonderer Weise im Bereich des Corporate Community Involvement. Ein Schwerpunkt der Aktivitäten lag auf der Förderung von Kinder- und Jugendprojekten.

Mit der Verlagerung der Produktion nach Rumänien steht nun auch das Förderprogramm vor dem Aus. Und genau das ist wohl die größte Hypothek für die Glaubwürdigkeit der Unternehmensverantwortung: Wenn es hart auf hart kommt, d.h. wenn die beständig steigenden Renditeerwartungen keine andere Wahl lassen, landen die Hochglanzbroschüren mit den fröhlichen Kinderfotos im Altpapier und die Kommunalpolitiker, die den Nachhaltigkeitsdiskurs des Managements für bare Münze genommen haben, reiben sich verwundert die Augen: War da was?