Am Abgrund mit der Dollarflut

Die Weltfinanzmärkte taumeln, der globale Spätkapitalismus könnte in eine schwerwiegende Systemkrise geraten

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

So schnell kann die zumindest Finanzwelt – scheinbar - wieder in Ordnung kommen. Die amerikanischen Investmentbanken Goldman Sachs und Lehman Brothers konnten mit ihren am Dienstag gemeldeten Quartalszahlen über den pessimistischen Erwartungen der Analysten bleiben und dies reichte bereits aus, um die Märkte zu einem kleinen Kursfeuerwerk zu verleiten. So fielen die Gewinne von Goldman Sachs „nur“ um 53 Prozent im ersten Quartal 2008, während Lehman Brothers über einen Gewinnrückgang von 57 Prozent berichten durfte. Dabei sind in den nun vorgestellten Bilanzen beider Finanzhäuser die Auswirkungen der jüngsten Turbulenzen auf den Finanzmärkten nicht einmal berücksichtigt. Dennoch legte der Dax um nahezu 3,5 Prozentpunkte zu, der Dow Jones schoss um 2,5 Prozent in die Höhe.

Doch zugleich verdüsterten sich die Wolken auf dem US-amerikanischen Konjunkturhimmel. Am Dienstag musste der als notorischer Schönfärber berüchtigte US-Finanzminister Henry Paulson endlich zugeben, dass die amerikanische Wirtschaft sich in einem „scharfen Rückgang“ befindet. Zugleich weigerte sich Paulson, das innerhalb der Bush-Administration offensichtlich tabuisierte Wort „Rezession“ zu benutzen: Es sei nicht so wichtig, wie man „es“ bezeichne, die Bürger Amerikas wüsten schon längst, dass die Ökonomie „scharf nach unten abgebogen“ sei, philosophierte Paulson gegenüber den Fernsehsender NBC.

Den „Märkten“ war dieses späte Eingeständnis der Finanzministers kaum eine Beachtung wert, genauso wie die Warnungen des Direktors des Internationalen Währungsfonds (IWF), Dominique Strauss-Kahn, der bereits am Montag erklärte, dass die gegenwärtige Finanzkrise lange andauern und ernsthafte Folgen haben werde.

Neben den unerwartet glimpflichen Gewinneinbrüchen bei Goldman Sachs und Lehman Brothers, versetzten die Spekulationen auf eine weitere radikale Zinssenkung durch die US-Notenbank (Fed) die Finanzmärkte in Hochstimmung. Die einem kurzfristigen Strohfeuer gleichenden Kursgewinne, die bereits in ähnlicher Form am 13. März abbrannten, nachdem die Fed weitere milliardenschwere Liquiditätsspritzen ankündigte, dürften auch in diesem Fall sehr schnell verebben. Doch am Dienstag konnte die Fed die einem Junkie gleich auf die nächste Zinssenkung wartenden Märkte noch zufrieden stellen, indem sie den Leitzins um weitere 75 Basispunkte auf 2,25 Prozent senkte.

Die große Dollarflut

Damit setzt die amerikanische Notenbank ihre hektische Betriebsamkeit fort, mit der sie einen totalen Zusammenbruch der Weltfinanzmärkte zu verhindern sucht. Am Wochenende hat Bernanke bereits den Diskontsatz auf 3,25 Prozent gesenkt, die Übernahme der vom Konkurs bedrohten Investmentbank Bear Stearns durch das Bankhaus JPMorgan Chase (Fed rettet Bear Sterns) maßgeblich arrangiert und ein weiteres, miliardenschweres Kreditprogramm für die notleidende Finanzbranche angekündigt (Zwei Dollar pro Aktie der fünftgrößten Investmentbank der USA).

Der Übernahmedeal, bei dem JPMorgan Chase mit Bear Stearns immerhin die fünftgrößte Investmentbank der USA für einen Schnäppchenpreis von 236 Millionen US-Dollar erwarb, wurde den traditionsreichen New Yorker Bankhaus von den amerikanischen Währungshütern noch weiter versüßt: Die Fed sicherte JPMorgan eine Risikoübernahme in Höhe von 30 Milliarden US-Dollar zu. In einem „sehr ungewöhnlichen Schritt“ sicherte die US-Zentralbank den Kredit an JPMorgan dadurch ab, dass sie de facto „das gesamte große Portfolio von Bear Stearns“ übernimmt und die Kontrolle über alle „wichtigen Entscheidungen“ behält, um die „eigenen Verluste zu minimieren“, erklärte die New York Times. Die US-Zentralbank wird sich also als Investmentbank versuchen.

Aber auch sonst gibt sich die Federal Reserve alles andere als knauserig. Den 20 wichtigsten US-Investmenkbanken sicherte Bernanke ebenfalls am Wochenende ein neues „Kreditprogramm“ zu, im Rahmen dessen die Kreditinstitute Wertpapiere direkt mit der Zentralbank handeln dürfen. Ähnlich der bereits in letzter Woche zugesagten Finanzspritze von 200 Milliarden US-Dollar können die auf Bergen unverkäuflicher, zumeist durch faule Hypotheken kontaminierter „Wertpapiere“ sitzenden Investmentbanken diese komplex strukturierten Bonds – für die es de facto keinen Markt mehr gibt - als „Sicherheit“ bei der Fed deponieren. Doch im Gegensatz zu ähnlichen, früheren Maßnahmen der US-Zentralbank, werde es diesmal „kein Limit bei der Menge des Geldes geben, das geliehen werden kann“.

Sozialisierung der Kosten der Krise?

Wir Alle hätten doch gerne solch eine verständnisvolle Bank an unserer Seite: Ein unbegrenzter Kredit, und als Sicherheit dürften wir all den Finanzmüll entladen, den Keiner mehr haben will. Der Newsblog Counterpunch kommentierte schon die vorangehende Finanzspritze der Fed an die Wall Street, bei der Kredite in Höhe von 200 Milliarden US-Dollar „versteigert werden“, entsprechend:

Wir werden nie erfahren, ob Bernankes wahre Absicht bei der Ankündigung der neuen Auktion von 200 Milliarden US-Dollar darin bestand, den finanzschwachen Banken einen Platz zu schaffen, wo sie ihren durch Hypotheken abgesicherten Müll abladen können... Aber es funktioniert gut, nicht wahr? Nun können die Banken all die wertlosen MBS (Mortgage Backed Securities) gegen US-Anleihen bei nahezu vollem Nennwert tauschen. Was für ein Geschäft! Das muss von Anfang an der der Plan gewesen sein.

Die massive, inflationstreibende Flutung der Finanzmärkte mit frisch gedruckten Dollars durch die Fed geht also mit der Tendenz einher, die Risiken, denen die Banken derzeit ausgesetzt sind, zu sozialisieren, also der im Würgegriff der aufziehenden Rezession befindlichen Bevölkerung aufzubürden. Die „Regierung“ – also der amerikanische Steuerzahler – übernehme vermittels der Fed die „schwer zu verkaufende“ Vielzahl an Investitionen, sagt die New Yort Times beiläufig.

Die Konsequenz dieser „Lösungsstrategie“ der Finanzkrise benannte mit dankenswerter Offenheit der auch sonst um deutliche Worte kaum verlegenen Vorstandschef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, der den Staat aufforderte, doch einzugreifen und all die faulen hypothekenbesicherten Wertpapiere zu übernehmen, mit denen die Finanzhäuser in den vergangenen Jahren des Booms auf den US-Immobilienmarkt riesige Gewinne erwirtschaftet haben, die wahrlich keine „Peanuts“ waren.

Nun, nach dem Platzen der Spekulationsblase, möchte der ansonsten eisern die Freiheit des freien Marktes und Unternehmertums verteidigende Ackermann am liebsten die rapide zum Sozialfall verkommende Finanzbranche in die Nestwärme eines fürsorglichen und spendablen Sozialstaates überführen, den er und seinesgleichen keinem Hartz-IV-Empfänger gönnen würden. Die Banken könnten die „Situation nicht mehr retten“, gestand Ackermann das Scheitern der ansonsten gepriesenen „Selbstregulierungskräfte des Marktes“ ein: „Wir haben nicht die Zeit zu warten, bis der US-Häusermarkt über Jahre das Ungleichgewicht abbaut“, da dies zu lange dauern würde. Man darf getrost davon ausgehen, dass die Regierung den Wünschen Ackermanns nachkommen wird – es wäre sonst das erste Mal, dass sich die deutsche Politik einem Ukas der Deutschen Bank widersetzt.

Einen weiteren, oftmals übersehenen Vorteil hält die absichtliche massive Dollarabwertung seitens der Fed ebenfalls für alle Dollarschuldner – vorerst - parat. Durch die Inflation sinken auch die Schuldenberge der USA real im Wert, wie beispielsweise die Billionenreserven an US-Wertpapieren und Dollars, die ostasiatischen Zentralbanken aufgrund des Handelsüberschüsse mit den Vereinigten Staaten akkumuliert haben. Zudem kann durch den fallenden Dollar endlich auch das Handelsdefizit der USA gesenkt werden, da im Dollarraum produzierte Waren in Relation zum Ausland billiger werden.

Doch auch hier kann bald ein Punkt erreicht sein, der zu einem massiven Zusammenbruch des Dollars und des gesamten Weltwährungssystems führt, sollten die riesige Dollarbeträge haltenden Zentralbanken Asiens sich entscheiden, dessen schleichenden Wertverfall nicht mehr hinzunehmen und massiv Greenbacks auf den Markt zu werfen. Zudem senkt die Fed beständig die Zinsen, wodurch ein Zinsgefälle zwischen dem Dollar- und EU-Raum zugunsten des Euro entsteht.